Weinende Kinder am "Stade de Farce", Tränengas für die "Horden von Barbaren", aber auch gegen Familien und Freunde des FC Liverpool: "Von der Party zum Fiasko", wie die französische Sportzeitung L'Equipe schrieb, war es beim Champions-League-Finale nur ein erschreckend kurzer Weg. Die chaotischen Szenen riefen böse Erinnerungen an die dunkelsten Stunden des europäischen Fußballs wach - und werfen kritische Fragen an die UEFA auf.
Die Europäische Fußball-Union drückte den Betroffenen ihr "Mitgefühl" aus und kündigte eine Aufarbeitung an. Für viele Augenzeugen steht der Organisator des größten Vereinsspiels der Welt am Pranger: Die Fans treffe "keine Schuld", hieß es von der Organisation Football Supporters Europe, der FC Liverpool zeigte sich "sehr enttäuscht" und forderte eine offizielle Untersuchung.
Für die englische Stürmerlegende Gary Lineker, selbst für die BBC vor Ort, ist klar: Man hätte dieses Weltereignis "nicht schlechter organisieren können". Vor dem Stadion sei es "sehr gefährlich" gewesen, die Olympia-Stadt von 2024 habe ein "absolutes Gemetzel" erlebt.
UEFA verteidigt Vorgehen der Behörden
Tausende Liverpool-Fans, aber auch die Familien und Freunde der Spieler "hatten große Schwierigkeiten, ins Stadion zu gelangen", berichtete Reds-Teammanager Jürgen Klopp nach der 0:1-Niederlage gegen Real Madrid betrübt. Er habe "einige Dinge gehört, die weder gut noch schön sind. Es war knifflig da draußen." Pete Blades, ein 57-jähriger Lehrer, fühlte sich an das Hillsborough-Desaster erinnert, bei dem 1989 97 Liverpool-Fans starben. "Es war genau dasselbe", sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Die UEFA verteidigte sich - und das Vorgehen der lokalen Behörden, die nicht erst seit dem Terroranschlag 2015 auch gegen das Stade de France beim Länderspiel der DFB-Elf höchst empfindlich reagieren. Die Eingänge hinter der Liverpool-Kurve seien "von Tausenden Fans blockiert" worden, "die gefälschte Tickets erworben hatten, welche in den Drehkreuzen nicht funktionierten", teilte der Verband mit: "Als die Menge vor dem Stadion auch nach dem Anpfiff noch anwuchs, löste die Polizei sie mit Tränengas auf."
Zu den Opfern gehörte Liverpool-Legende Alan Kennedy oder Ex-Profi Marvin Matip, Bruder des Reds-Spielers Joel Matip, sowie dessen schwangere Frau. Matips Kollege Andy Robertson berichtete, einer seiner Kumpels sei mit einem vermeintlich gefälschten Ticket abgewiesen worden, die Karte aber definitiv echt gewesen: "Es war ein heilloses Durcheinander."
Französischer Innenminister: Schuld sind die Fans
Schuld daran, meinte der französische Innenminister Gerald Darmanin, trügen einzig die Fans. Insgesamt 238 Menschen mussten (auch wegen Trunkenheit) medizinisch versorgt werden, 105 wurden in Gewahrsam, von diesen 39 in Haft genommen. Das spanische Blatt AS nannte sie "Horden von Barbaren", die britische Sun ätzte gegen das "Stade de Farce". Bilder zeigten Personen, die Ordnerketten durchbrachen und über Zäune kletterten, die Polizei sprach von abgewehrten "Eindringlingen". Der Anpfiff verzögerte sich um 37 Minuten.
Die französische Sportministerin Amelie Oudea-Castera berief für Montag ein Treffen mit Vertretern aus den Bereichen Sicherheit und Fußball ein. "Priorität hat, sehr genau herauszufinden, was schiefgelaufen ist, um alle Lehren daraus zu ziehen", sagte Oudea-Castera.
Schon beim Europa-League-Finale von Eintracht Frankfurt in Sevilla hatte es gravierende Probleme gegeben, weshalb Paris-Augenzeuge Karl-Heinz Rummenigge einen Dialog forderte. "Wir müssen wieder ein bisschen runterkommen, dürfen nicht abwarten, bis was passiert, und müssen in aller Ruhe mit den Fans zu einer Normalität zurückfinden", sagte er bei Bild-TV: "Das sind unschöne Szenen, die der Fußball nicht braucht."
Ähnlich sei es beim EM-Finale im vergangenen Jahr gewesen, als "englische Fans, die keine Tickets hatten, reingedrängt" seien ins Wembley-Stadion, betonte der frühere Bayern-Boss. Niemand wolle die 1980er Jahre zurück, meinte er eingedenk von Katastrophen wie jener im Heysel-Stadion, wo 1985 39 Anhänger ums Leben gekommen waren. "Wir können uns glücklich schätzen", schrieb die Times, "dass wir nicht (wieder) von einer großen Katastrophe reden müssen."