Jamal Musiala ist ein kompletter Spieler - dank Thomas Müller und Harry Kane
Jamal Musiala wäre auch ohne seinen goldenen Treffer der auffälligste Akteur in Bayerns Offensive (SPOX-Note: 2) und der beste Spieler auf dem Platz gegen Benfica gewesen.
Als einziger von den vier Offensiv-Akteuren der Bayern war er auch in den ersten 30 Minuten schon extrem bemüht, das Spiel nach vorne anzukurbeln, zudem fand er immer wieder Lücken in dieser vielbeinigen Abwehr, teils fand er auch Lücken, die eigentlich gar nicht da waren. Hätten seine Mitspieler ein wenig mehr Vertrauen in ihn gehabt und wären sie früher und vehementer in die richtigen Räume gelaufen, es hätten auch in den ersten 30 Minuten schon zumindest mehr Torchancen herausspringen müssen.
Musialas Tor war dann insofern ein eher untypischer Musiala-Treffer, weil er über den Kopf des Technikers den Weg ins Gehäuse fand und zudem aus nächster Tornähe zustande kam.
Wobei, was heißt untypisch? Immerhin ist Musiala der einzige Kopfballtorschütze in dieser Spielzeit für den FC Bayern, der Treffer gegen Benfica war bereits sein zweiter mit dem Kopf. Gar nicht mal so übel für einen, der von sich selbst behauptet, eigentlich gar kein guter Kopfballspieler zu sein. Nach seinem Premierenkopfballtreffer beim 5:0 gegen den VfL Bochum in der Bundesliga war Musiala anschließend vor den TV-Mikrofonen in Lachen ausgebrochen, nachdem er "Oh, mein Gott" gesagt hatte.
Klar, Musialas größte Stärken sind und bleiben seine enormen technischen Fähigkeiten, sein Ball-Magnetismus in den Füßen, seine Art, wie er seine Mitspieler in Szene setzt und gegnerische Abwehrreihen auseinanderreißt. Doch Musiala, der immer noch erst 21 Jahre alt ist, entwickelt sich mehr und mehr zum kompletten Spieler in der Offensive. Er ist robuster geworden in den Zweikämpfen, scheint das Spiel noch besser lesen zu können - und dazu kommt jetzt auch noch seine neue gefundene Liebe zu Kopfbällen. "Jamal ist eigentlich kein schlechter Kopfballspieler. Er muss es einfach öfter probieren", analysierte Thomas Müller und gab dem 14 Jahre Jüngeren eine Weisheit mit, quasi von einem Out-of-the-Box-Fußball-Denker-Veteranen zum Jüngeren. "Tore fallen halt zumeist in der Box. Daher ist es wichtig, dass Jamal öfter näher ans Tor geht. Und dann macht es ihm auch Spaß, wenn er das Gefühl hat, dass er auch das kann", sagte Müller.
Womöglich hätte Müller auch sagen können, dass sich Musiala da gerne was von ihm, dem großen Raumdeuter und Meister des Timings, abschauen könnte. Das tat er natürlich nicht, das übernahm stattdessen Trainer Vincent Kompany. "Es ging bei diesem Tor vor allem darum, dass er in der richtigen Position ist. Ich glaube, dass er die richtigen Vorbilder in der Mannschaft hat. Er schaut im Training sehr gerne darauf, wie sich Thomas Muller und Harry Kane bewegen in diesen Bereichen, sechs, sieben Meter vor dem Tor. Und dann bist du in der richtigen Position."
Kein Mannschaftsteil beim FC Bayern ist so gut besetzt wie die Flügel
Ein wenig überraschend, bildete er am Anfang der Partie Michael Olise und Serge Gnabry die beiden Flügel des FCB. Überraschend, weil Gnabry nach seinem bärenstarken Saisonstart zuletzt wieder einige eher beliebige Leistungen gezeigt hatte und weil Immerspieler Olise (nur beim 4:0 in der zweiten Runde des DFB-Pokals beim 1. FSV Mainz 05 hatte er 90 Minuten lang auf der Bank gesessen) dann doch ein wenig überspielt wirkte zuletzt. Zudem hatte Kingsley Coman in den vergangenen drei Bundesligaspielen getroffen und Leroy Sanés sanftes Heranführen an die Mannschaft nach seiner Verletzung sollte angesichts seiner Form eigentlich auch eher früher als später ein Ende finden.
Prompt taten sich dann auch sowohl Olise, als auch Gnabry extrem schwer gegen die engmaschige Benfica-Defensive. Was freilich nicht nur an ihnen lag, sondern eben auch an den Portugiesen, die an diesem Abend nur am Verteidigen interessiert waren und in ihrer 5-3-2-Grundordnung den Bus in der Abwehr parkten.
Das taten sie zwar auch noch nach Sanés Einwechslung in der 57. Minute, aber der Dribbler hatte deutlich mehr auffällige Szenen als zuvor Olise. Er brachte mit seinem Schwung Elastizität in diese zähe Masse eines Fußballspiels. Auch Coman war eine Belebung fürs Spiel. "Leroy und Kingsley haben in ihren 1:1-Duellen heute sehr gute Entscheidungen getroffen. Die anderen beiden haben 60 Minuten lang die Gegner bearbeitet, wenn dann solche Spieler von der Bank kommen und die sofort da sind, ist das natürlich top", sagte Joshua Kimmich später.
In diesem Zusammenhang muss man feststellen, dass der FC Bayern in keinem Mannschaftsteil auch in der Tiefe so gut und so variabel besetzt ist wie auf den Flügelpositionen.
Die Münchner haben mit Sané einen 1:1-Spieler, der Spiele auch alleine entscheiden kann. Sie haben mit Gnabry einen, der robust ist und immer für Tore gut ist. Mit Kingsley Coman haben sie einen schnellen, eher klassischen Flügelspieler und mit Olise noch einen trickreichen, kreativen Spieler mit einem feinen linken Fuß. Kompany könnte im Grunde für jeden Gegner seine passenden Flügelspieler aussuchen.
Zumal mit Mathys Tel und Thomas Müller zwei weitere Angreifer im Kader stehen, die noch mal andere Qualitäten in die Flügel bringen können. "Leroy hat heute das Spiel gedreht", sagte Kompany, der aber präzisierte: "Wir haben eine hohe Konkurrenz auf den Flügeln und Spieler, die für die Entscheidung sorgen können".
Kompanys Vertrauen in Min-Jae Kim und Dayot Upamecano zahlt sich aus
Zum vierten Mal hintereinander gelang dem FC Bayern am Mittwoch ein Spiel ohne Gegentor, das hatte es zuletzt 2020 gegeben.
Umso bemerkenswerter, weil vor der Weiße-Westen-Serie gelegentliche Gegentorfluten stattgefunden hatten mit dem 3:3 gegen Eintracht Frankfurt und vor allem dem 1:4 gegen den FC Barcelona am vorhergehenden Champions-League-Spieltag. Vor allem diese sieben Gegentore hatten zu einer Sicherheitsdebatte rund um den deutschen Rekordmeister geführt. Doch damalige Forderungen, Kompany müsse risikoärmer agieren und sein extrem hohes Pressing überdenken, waren damals schon zu kurz gedacht. Denn die Münchner schafften die gegentorlose Serie nun mit der gleichen Herangehensweise wie bei der Niederlage gegen Barcelona.
Sicher, Benfica war nicht sonderlich daran interessiert, mit dem Ball in die Nähe von Manuel Neuers Tor zu kommen, doch durch das hohe Pressing und das konsequente Vorwärtsverteidigung der Innenverteidiger hielten die Bayern ihre Gegner ohnehin von der Gefahrenzone weg. Der einstige Weltklasse-Innenverteidiger Kompany hat durchaus einen defensiven Plan, einen sehr radikalen und durchaus riskanten zwar, aber einen, der sehr gut funktionieren kann, wenn die ganze Mannschaft mitmacht. Gegen Benfica rannten auch Stürmer Harry Kane und Jamal Musiala nach hinten, Joao Palhinha packte seine Grätschen schon auf Höhe des Mittelkreises aus.
Außerdem zahlt sich weiter aus, dass Kompany von Anfang an den beiden Innenverteidigern Min-Jae Kim und Dayot Upamecano sein vollstes Vertrauen ausgesprochen hat. Vor allem Kim, eher ein gelernter Strafraumverteidiger und sehr guter Zweikämpfer, hat sich - auch wenn er beim Bundesligaauftakt gegen Wolfsburg und in Barcelona patzte - spielerisch klar verbessert. Gegen Benfica war er nach Kimmich der Spieler mit den meisten Ballaktionen, seine Passquote lag nahe an der Perfektion. Darunter waren natürlich sehr viele sehr kurze Pässe über drei, vier oder fünf Meter. Aber mit solchen Pässen holt man sich eben auch das nötige Selbstvertrauen. Und mit Sprüchen vom Trainer wie diesen: "Ich war vom ersten Tag im Training an überzeugt, dass die Jungs das können", sagte Kompany.