Am Montagabend tummeln sich vor dem Emirates Stadium immerhin einige wenige Fans. Arsenal-Fans hauptsächlich, die mir von der teuren Eintrittskarte erzählen, die sie natürlich schon vor dem Hinspiel-Debakel erworben haben.
Natürlich werden sie am Dienstag im Stadion sein, das steht außer Frage, betont die Gruppe, wenngleich zahlreiche andere Gunners-Fans ihre Tickets schon zurückgegeben haben sollen. Nicht so diese Jungs: Es ist schließlich Champions League. K.o.-Phase. Gegen Bayern München.
Im Unterton schwingt eine gewisse Wehmut mit, weshalb ich ihnen ihre Begeisterung nicht hundertprozentig abkaufe. Noch nicht.
Bedeutungslosigkeit und Stolz
Ein Blick auf die andere Seite: Für die Bayern-Fans mutet das Achtelfinal-Rückspiel irgendwie überflüssig an. Ein 5:1-Polster nimmt der deutsche Meister aus dem Hinspiel mit nach London, wo ohne den ganz großen Kräfteverschleiß noch zu Ende gebracht werden muss, was vor drei Wochen mehr als nur begonnen wurde.
Neben der - von Vereinsseite natürlich nicht kommunizierten - Überflüssigkeit empfinden die Bayern aber auch Stolz und vor allem Macht. Nachdem das Team aufgrund der enttäuschenden Auftritte zum Rückrundenstart erst an die Wand geredet wurde, blieb einem nach den letzten fünf Spielen (5:1 gegen Arsenal, die Mentalitätsleistung beim späten 1:1 in Berlin, 8:0 gegen den HSV, 3:0 gegen Schalke und 3:0 in Köln) nichts anderes übrig, als den bayrischen Demonstrationen ein Höchstmaß an Respekt zu zollen.
Plötzlich sind in München alle Sorgen wie weggeblasen, so scheint es. Der Sprechgesang von den "Super-Bayern" war lange Zeit nicht zu hören in der Arena, zuletzt kehrte er gleich mehrfach zurück. Ein sehr positives Gefühl, dass die Spieler auch mit nach England nehmen: "Wir stehen gut da. Wir haben alle Möglichkeiten, unsere Mannschaft versprüht eine gute Stimmung", versicherte Thomas Müller am Montag und Carlo Ancelotti ergänzte: "Morgen ist eine gute Möglichkeit, zu zeigen, dass wir fokussiert sind."
Ausgangslage so gut wie lange nicht
Vor dem Spiel am Dienstag im Emirates Stadium spricht wirklich alles für den Rekordmeister. Die Ausgangslage zum Beginn der wichtigsten Saisonphase ist so gut wie lange nicht.
Personell haben sich in den vergangenen Tagen auch die letzten Sorgen verflüchtigt. Franck Ribery ist wieder bei der Mannschaft und spielte in Köln nach seiner Einwechslung vielversprechend. Jerome Boateng steht am kommenden Wochenende gegen Frankfurt vor der Rückkehr in den Kader. Douglas Costas im Rheinland erlittene Blessur stellte sich als Kleinigkeit heraus - nicht der Rede wert. "Alle sind fit", sagte Ancelotti am Montagabend zufrieden.
Verglichen mit der Situation vor ziemlich genau einem Jahr ist das zweifellos eine Luxussituation. Wer zurückdenkt, erinnert sich beim damaligen Achtelfinal-Hinspiel in Turin an die improvisierte Innenverteidigung Alaba-Kimmich, da neben Boateng auch Benatia und Martinez verletzt fehlten. Arjen Robben erlitt vor dem Rückspiel damals eine schwere Adduktorenverletzung, die ihn für den Rest der Saison außer Gefecht setzte.
Aktuell jedenfalls kennt der FC Bayern jene Probleme nicht. Gut, Philipp Lahm fehlt in London gesperrt. Mit einem Augenzwinkern. Denn auch das ist ein Vorteil, läuft er so immerhin nicht Gefahr, das Viertelfinale zu verpassen, wenn es womöglich gegen einen anspruchsvolleren Gegner geht.
Arsenal extrem formschwach
Einem solchen haben die Münchner mit dem FC Arsenal mal wieder nicht gegenübergestanden. Denn auch vor dem Rückspiel kann die Verfassung der Gunners ausschließlich als Pluspunkt für die Bayern gewertet werden.
Drei der letzten vier Ligaspiele hat Arsenal verloren, sich dabei phasenweise aufgegeben. Und wenn Arsenal, wie in Liverpool, mal dran ist, sich zurückzukämpfen, fehlt doch die letzte Überzeugung, das wirklich schaffen zu können.
Die Partie in München war kein Ausrutscher, sondern vielmehr die extreme Aus- und Weiterführung des momentanen Mentalitätsmangels der Gunners. "Im Moment hat Arsenal einige Probleme", stellte auch Franck Ribery auf der Pressekonferenz am Montagabend fest.
Kein "Was wäre, wenn...?"
Die Ausgangslage vor dem Rückspiel am Dienstag könnte deutlicher nicht sein. Es gab in der Historie des Fußballs schon einige vergleichbare Fälle, in denen dann trotzdem gewarnt wurde. Denn: Wie oft bedeuteten klare Vorzeichen nicht schon die Ruhe vor dem großen Sturm?
Ob er sich an eine Situation erinnern könne, in der er in seiner Karriere schon einmal so einen Vorsprung verspielt habe, wurde Müller auf der PK gefragt. "Das müsste beim Quali-Spiel in Berlin gewesen sein", antwortete er und bezog sich auf das 4:4 gegen Schweden mit der Nationalmannschaft 2012.
"Aber wir sind jetzt beim FC Bayern", stellte er deutlich klar: "Wir wollen uns nicht mit 'Was wäre, wenn...?' beschäftigen. Wir sind in einer guten Verfassung und haben gerade ein Momentum, das wir so weit tragen wollen, wie es nur geht."
Arsenal-Fans freuen sich auf Bayern
Für die Bayern gibt es natürlich keinen Grund, nicht schon fürs Viertelfinale zu planen. Sind sie genau deshalb noch verwundbar? "Arsenal wird uns früh attackieren. Wenn wir in den ersten 15, 20 Minuten nicht konzentriert sind, kann viel passieren", warnte Ribery vorbildlich.
Ist das also Arsenals Chance, das Unmögliche noch möglich zu machen? Nein, lautet die Antwort. Denn dazu sind nicht nur die Vorzeichen für den FCB zu gut, sondern auch die Bayern selbst.
Das entnehme ich dann auch noch den wartenden Gunners-Fans vor dem Stadion. Ihr Echo ist unmissverständlich: "Wir freuen uns darauf, so eine Weltklasse-Mannschaft wie Bayern München zu sehen. Das ist es, worauf wir uns am Dienstag im Emirates freuen. Es erinnert uns an die Glanzzeiten unseres Klubs und weckt die Hoffnung, auch wieder dahin zu kommen." Da verstehe ich schließlich doch noch ihre Begeisterung. Begeisterung für den Gegner.
Ein gewisser Druck lastet am Dienstag im übertragenen Sinn also doch auf den Bayern, wenn man so will. Denn die Fans wollen schönen und erfolgreichen Fußball sehen - die zuletzt geschundenen Fans des FC Arsenal.
FC Arsenal - FC Bayern: Die Statistik zum Spiel