Der deutschen Mannschaft, mit einem Punkt Vorsprung Tabellenführer vor den Russen, genügt im Hexenkessel Luschniki-Stadion schon ein schnödes Remis, um dann am kommenden Mittwoch in Hamburg mit einem Sieg gegen die abgeschlagenen Finnen den Weg nach Südafrika endgültig freizumachen.
Dafür schenkt der Bundestrainer einem Debütanten das Vertrauen: Der Hamburger Jerome Boateng bestreitet sein erstes Spiel für Deutschland - und hat dabei als rechter Verteidiger gleich die Aufgabe Russlands Schlüsselspieler Andrej Arschawin aus der Partie zu nehmen. Philipp Lahm kehrt auf die linke Seite zurück.
Ebenfalls überraschend vertraut Jogi Löw im Angriff dem Duo Miroslav Klose und Lukas Podolski, Mario Gomez sitzt nur auf der Bank. Hinter den Spitzen soll der junge Bremer Mesut Özil das deutsche Spiel ordnen, die Doppelsechs besetzen Michael Ballack und der Leverkusener Simon Rolfes.
Löw macht sich keine Sorgen
Die Ausgangslage hält Löw so oder so für komfortabel: "Ich habe keine Sorgen", sagte der Bundestrainer auf der letzten Pressekonferenz am Freitagnachmittag und führt als Begründung an: "Was mir ein gutes Gefühl gibt, ist die Tatsache, dass wir das Spiel nicht unbedingt gewinnen müssen. Wir müssen nicht auf Teufel komm raus alles auf eine Karte setzen. Wir hätten auch mit einem Unentschieden eine gute Ausgangslage."
Löw wechselte seine konzentriert vorgetragenen Statements mit einigen zur Schau gestellten Schmunzlern ab. Einer der entscheidenden Sätze ging dabei fast unbemerkt unter. "Die Taktik der Mannschaft richte ich auf ein Unentschieden aus. Das beschäftigt mich Tag und Nacht." Eine deutsche Mannschaft, die sich in der Ära nach Rudi Völler nach dem Gegner richtet und nicht am eigenen Spiel orientiert? Eigentlich unvorstellbar.
Löw rückt von seinem Dogma ab
Der Kern der Löw'schen Gedankenspiele solle die Defensivarbeit der Mannschaft sein. "Wir müssen den schnellen russischen Kontern aus dem Weg gehen und auch mal mit zehn, elf Mann in der Defensive stehen." Also lässt Löw im "wichtigsten Spiel des Jahres" von seinem eigenen Dogma ab: Defensive zuerst, Offensive je nach Bedarf. Es ist eine fast ungewohnte Situation auch für den Bundestrainer: Die Ausgangslage ist wie die in einem normalen Punktspielbetrieb.
Den aber hat die DFB-Auswahl nur in Qualifikationsrunden zu bewältigen - und durch die einzige der Löw-Ära spazierte die Mannschaft vor zwei Jahren im Schongang. Ein Punkt steht zwischen den Russen und Deutschland und dieser eine Punkt soll die Mannschaft eher reagieren lassen auf das, was die Gastgeber so fabrizieren, als dass sie selbst agieren - wie es Löw und dessen Vorgänger Jürgen Klinsmann in die Gehirne der Spiele implantiert hatten.
Ist alles nur ein guter Bluff?
Die taktische Ausrichtung der Mannschaft ergibt als Zahlenkette ein schmuckes 4-2-3-1. Auf dem Papier eine deutlich defensivere Variante im Vergleich zum gewohnten 4-4-2. Aber Löw ließ so viel Raum für Spekulationen um die Interpretation seiner Formation und deren Personal, dass ihm auch ein wirklich guter Bluff zuzutrauen ist.
Denn gerade die Defensivbewegung der gesamten Mannschaft war es, die zuletzt einigen Grund zur Sorge bereitete. Und die soll jetzt der Heilsbringer sein gegen eine Mannschaft, die vor Esprit und Spielwitz nur so sprüht? Man kann den Ausführungen Löws einfach nicht voll Glauben schenken.
"Dem Team hat er andere Dinge erzählt"
So sieht es auch Hansi Müller, der als Experte auf Einladung des Generalsponsors Mercedes-Benz in Moskau weilt, im Gespräch mit SPOX. "Ich würde das, was Joachim Löw da gesagt hat, nicht überbewerten. Er weiß genau, wie er die Sache angehen muss und wie er der Mannschaft die richtige Balance mit auf den Weg gibt. Dem Team hat er sicherlich ganz andere Dinge erzählt."
Zudem hatten auch alle Verantwortlichen, zuletzt Teammanager Oliver Bierhoff am Donnerstag vor dem Abflug aus Mainz, immer wieder betont, in Russland voll auf Sieg spielen zu wollen.
Mit welchem Personal, ließ der Bundestrainer auch noch offen. "Ich habe noch zwei, drei Möglichkeiten, was die Besetzung der Mannschaft betrifft. Wir brauchen auf jeden Fall Spieler, die sehr wendig sind, Handlungsschnelligkeit ist gefragt."
Ballack fühlt sich mit Hitzlsperger am wohlsten
Zwei Ausschlusskriterien für Thomas Hitzlsperger, der momentan beim VfB Stuttgart eine schwere Zeit durchlebt und vor drei Wochen sogar ein Spiel Pause bekommen hatte - um den Kopf frei zu bekommen. Geholfen hat es wenig. Allerdings fühlt sich Michael Ballack in Abwesenheit von Torsten Frings mit dem Stuttgarter an seiner Seite am wohlsten.
Es bleiben viele Fragen bis zum Anpfiff um 17 Uhr im Luschniki-Stadion. Nur eins ist sicher: Das Spiel der Spiele wird für die Mannschaft und auch für Löw zu einer weiteren harten Reifeprüfung.
"Man spürt, dass die Anspannung und Konzentration der Spieler stündlich steigt", sagte Löw. "Meine Mannschaft weiß, wie sie reagieren muss. Wir sind bestens vorbereitet."