Nach einigen Patzern wächst die Kritik an Nationalkeeper Rene Adler. Hat Bundestrainer Joachim Löw mit seiner frühen WM-Entscheidung pro Adler einen Fehler gemacht? Die Torwart-Legenden Uli Stein und Toni Schumacher sind da unterschiedlicher Meinung.
Bei einer WM als Nummer Eins im Tor der deutschen Nationalmannschaft zu stehen: Davon träumt so ziemlich jeder junge Keeper. Für Rene Adler ist dieser Traum seit einigen Wochen zum Greifen nah - seit Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke dem 25-Jährigen das Vertrauen ausgesprochen haben.
Doch nun droht dieser Traum für Adler zum Alptraum zu werden. War der Bayer-Keeper zu Saisonbeginn noch die Konstanz in Person, leistete er sich in den vergangenen Wochen immer wieder grobe Patzer. Erst in Bremen, dann mit der Nationalmannschaft in München, nun in Nürnberg und zuhause gegen Hamburg.
Stein kritisiert Löw
"Wenn so was in der Schülermannschaft passiert, sagt man: 'Such dir eine andere Sportart!' Seit Adler die Nummer Eins für die WM ist, macht er Fehler auf Fehler", wetterte Franz Beckenbauer bei SKY nach dem Gegentor gegen Hamburg, als Adler seinen Kasten ohne Not verlassen hatte, den hohen Ball im Luftkampf mit dem eigenen Mitspieler Sami Hyypiä aber nicht zu Packen bekam.
Beckenbauer brachte mit seiner Schelte zum Ausdruck: Jetzt, wo Adler unter strenger Beobachtung steht, wackelt er. Klar, dass seine Kritiker einen Zusammenhang zwischen Löws Nominierung und Adlers Patzern sehen.
Das sieht auch der ehemalige Nationaltorhüter Uli Stein so. "Ich fand es unnötig, sich so früh zu entscheiden", sagte Stein gegenüber SPOX.
"Es könnte letztlich aber noch ein Vorteil sein, weil Adler jetzt seine Fehler abstellt und dann pünktlich zur WM wieder in Top-Form ist."
Schumacher findet Löws Verhalten richtig
Denn allen Patzern zum Trotz sieht der 55-Jährige den Leverkusener nach wie vor als klare Nummer Eins und hat keinerlei Verständnis für die Schelte des Kaisers.
"Das ist eine Position, von der er nichts versteht. Man kennt doch den Franz: Bei Torhütern lag er als Trainer schon häufig daneben", sagte Stein mit Blick zurück auf die WM 1986 in Mexiko, bei der ihm Beckenbauer Toni Schumacher vor die Nase gesetzt und Stein nach dessen Kritik ("Suppenkasper!") nach Hause geschickt hatte.
Toni Schumacher sieht das natürlich etwas anders - auch bei der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der Nominierung. Für den zweimaligen Vize-Weltmeister war Löws Verhalten nämlich genau richtig.
"Bei der letzten WM hieß es, man habe sich zu spät entschieden und nun soll es zu früh sein? Das kann doch nicht sein", sagte der 56-Jährige zu SPOX. "Löw wollte damit nur ausdrücken, dass er Adler vertraut. Das war schon richtig so."
Adler sehr selbstkritisch
Fakt ist dennoch: Adler befindet sich in einer ausgemachten Formkrise und muss dort schleunigst raus.
Beim Gegentor in Bremen glitt ihm ein harmloser Ball durch die Hosenträger, im Länderspiel kam er zu spät, beim dritten Treffer der Nürnberger zögerte er zu lange und gegen Hamburg hätte der neunmalige Nationalspieler den Ball haben müssen, als er aus seinem Kasten kam - egal, ob Hyypiä ihn hörte, oder nicht.
"Das Tor gegen Hamburg war ein klarer Torwartfehler. Es läuft für Adler einfach unglücklich", sagt Stein, der allerdings die selbstkritische Art von Adler zu schätzen weiß: "Zu Fehlern zu stehen, ist eine Stärke."
Es ehrt Adler, dass er sich nach dem Hamburg-Spiel klar zu seinen Patzern bekannte. "Ich muss der Mannschaft ein Kompliment machen. Das ist eine geile Truppe, die mich - ich will nicht sagen - durchschleppt. Aber ich hoffe, es kommen wieder Tage, wo ich es der Mannschaft zurückgeben kann", ging Adler mit sich selbst hart ins Gericht.
Neuer und Wiese wittern ihre Chance
Dennoch weiß er: Sein Vorsprung auf seine Konkurrenten Manuel Neuer und Tim Wiese ist nach den Leistungen der letzten Wochen geschmolzen - zumal Neuer seit Wochen in Top-Form ist (schon zwölf Mal zu Null in der Liga) und Wiese zuletzt in Valencia eine Weltklasseleistung abrief.
Das sieht auch Schumacher so: "Adler hat keinen Persilschein ausgesprochen bekommen. Eines ist doch klar: Wenn er so weiter macht, wird er bei der WM nicht spielen. Es wäre ein Fehler von Neuer, jetzt nicht anzugreifen."
Und die Konkurrenz wittert ihre Chance. Schalkes Neuer machte nach dem 2:1-Sieg gegen Stuttgart klar, dass er in Südafrika zwischen den Pfosten stehen möchte.
Er strebe nach wie vor danach, bei der WM im Tor zu stehen, sagte er am Freitagabend. "Ich werde in der Liga und im Pokal Vollgas geben und damit meine Bewerbung abgeben", so Neuer selbstbewusst.
Wiese: "Mal sehen, wer im Tor steht"
Auch Tim Wiese, derzeit nur Nummer drei, wetzt die Messer. "Ein Tim Wiese gibt niemals auf. Es sind ja noch ein paar Wochen. Und dann wollen wir doch mal sehen, wer gegen Australien im Tor steht", sagte der Bremer der "Sport-Bild".
Jeder einzelne der drei Torhüter hat bereits Erfahrungen gesammelt, die für sich sprechen. Adler kennt sich in der Nationalelf bestens aus, weil er bereits bei der EM 2008 neben Jens Lehmann und Robert Enke dabei war.
Zudem hielt er beim vorentscheidenden 1:0-Sieg in der Quali in Russland hervorragend und war bis zum Argentinien-Spiel im DFB-Trikot stets eine Bank.
Neuer hat dagegen beim EM-Sieg der U 21 bewiesen, dass er sich im Verlaufe eines Turniers enorm steigern kann und dann zu überragenden Leistungen fähig ist.
Für Wiese spricht indes die internationale Erfahrung, die der 28-Jährige seit Jahren in Bremen sammelt und in dieser Saison in der Europa League erneut mit starken Auftritten bestätigt.
Völler stärkt Adler den Rücken
Adler muss nun beweisen, dass er mit dem enormen Druck umgehen kann.
"Ich weiß, wie das ist. Als Nummer Eins steht man eben besonders unter Beobachtung. Aber ich bleibe dabei: Meine Reihenfolge ist Adler, Neuer und dann Wiese", sagt Stein. Schumacher sieht dagegen einen kleinen Vorteil für Neuer: "Es ist deutlich einfacher der Jäger zu sein, als der Gejagte."
Adler würde mit einer Stabilisierung seiner Leistung auch den Verantwortlichen beim DFB einen Gefallen tun, die eine Torwartdiskussion wie vor der WM 2006 vermeiden wollen. Matthias Sammer sagte bereits, er habe "keine Bauchschmerzen" bei diesem Thema. Löw meinte nach dem Länderspiel schützend: "An ihm hat es sicher nicht gelegen. Es wird keine neue Torwartdiskussion geben."
Und auf seinen Verein Bayer Leverkusen kann sich der 25-Jährige auch verlassen.
"Ich hasse Torhüter, die nichts riskieren und nur für die Galerie spielen. Rene riskiert viel. Deshalb lieben wir ihn, und deshalb ist er auch zu Recht die Nummer Eins in Deutschland", sagte Sportdirektor Rudi Völler.
Nun muss Adler das in ihn gesetzte Vertrauen aber wieder bestätigen.