Welche Elogen kann es noch geben? Wie muss man ein nahezu perfektes Spiel beschreiben, um dessen Dramaturgie zu erfassen?
Die deutsche Nationalmannschaft hat Argentinien in einem WM-Viertelfinale 4:0 geschlagen. Vier. Null.
Es fallen dann Worte des Unglaubens oder welche, die man sonst eher in Verbindung mit großen Unglücken oder Katastrophen bringt. Wahnsinn zum Beispiel.
"Das ist Wahnsinn, was hier abgelaufen ist. Wenn man Argentinien mit 4:0 vom Platz fegt, dann muss man erstmal nach Worten suchen", sagte Thomas Müller.
Reichlich Superlative zu verteilen
Der Münchener und zukünftige Nachwuchsspieler des Turniers war es, der dem Spiel nach weniger als 180 Sekunden jene Richtung vorgab, die den Argentinier in ihrer Eindimensionalität da schon fast das Genick gebrochen hatte.
Müller hat jetzt in fünf WM-Spielen sieben Scorerpunkte gesammelt, Miroslav Klose hat nach seinem Doppelpack 14 WM-Tore und verfolgt den großen Ronaldo in der ewigen WM-Torjägerliste, Bastian Schweinsteiger hat in einem erneut großen Spiel seine Metamorphose zu einem der besten Spieler der Welt im Prinzip abgeschlossen.Es ließe sich immer so weiter über den Einzelnen berichten, aber im Endeffekt war der Abend von Kapstadt kein Abend einer Einzelperson, nicht von Müller, Klose, Schweinsteiger und schon gar nicht von Messi oder Maradona.
Die Mannschaft der Namenlosen
Es war der Abend der Mannschaft. Einer deutschen Mannschaft, die die Welt und sich selbst staunend zurücklässt, weil sie gar nicht mehr deutsch sein will in ihrer Kühlheit und Effizienz.
Wichtige Spurenelemente davon sind immer noch auszumachen. Aber es sind die Deutschen, die mit zwei Siegen bei acht zu eins Toren gegen England und Argentinien ins Halbfinale getänzelt und nicht marschiert sind - und nicht etwa die Spanier mit ihren beiden biederen 1:0-Siegen.
Viele große Mannschaften mit Ambitionen und sehr, sehr vielen Stärken und herausragenden Individualisten sind längst wieder zu Hause oder gerade auf dem Weg dorthin.
Aber die Mannschaft der Namenlosen ist noch in Südafrika und sie wird bleiben bis ganz zum Schluss. Die Fußballwelt hat sich ein bisschen verändert, weil Deutschland sich ein bisschen verändert hat.
"Alte Tugenden" nur noch Grundlagen des Erfolgs
Die Gegner stehen bei der Suche nach dem Geheimnis des Erfolgs vor einem Rätsel. Früher war das einfacher. Kraft plus Ausdauer plus eiserner Wille plus eine Menge Glück plus eine günstige Auslosung schummelten so manche deutsche Mannschaft bis ins Finale.
Heute sind jene Attribute allenfalls noch die Basis für den Erfolg. Die entscheidenden Feinheiten sind andere. Jetzt erst wird klar, wie wichtig die Inhalte in den Trainingslagern auf Sizilien und in Südtirol waren.
Wie zauberhaft schnell es Joachim Löw gelungen ist, der neuen Mannschaft auch gleich eine neue Spielidee mit auf den Weg zu geben, sie zu einer Einheit zu formen und ihr das Rüstzeug mit auf den Weg zu geben, es bis nach ganz oben zu schaffen.
Den Rest hat sich das Team dann erarbeitet. Durch das zittrige 1:0 gegen Ghana, vielleicht das wichtigste Spiel bisher in der jungen Geschichte dieser Mannschaft. Durch die Demonstration gegen England und jetzt das Unvorstellbare gegen Maradonas Argentinien.
Kein Platz für Messi
"Das war ein sehr großer Schritt für uns. Es war sehr wichtig, dass wir einen Top-Favoriten auf das Finale geschlagen haben. Es ist wichtig für jeden Spieler zu sehen, dass man solche Mannschaften schlagen kann", sagte Philipp Lahm
Natürlich auch begünstigt von einem fatalen Maradona, der bereits nach fünf Minuten hätte sehen müssen, dass sein System mit Mascherano als einzigem defensiven Bastiönchen gegen die Deutschen nie gut gehen konnte und der sich so sehr auf die Stärken seiner Mannschaft verlassen hatte, dass ihm die des Gegners offenbar völlig egal waren.
Hier hat der Stab um Löw vorzügliche Arbeit geleistet. Gerade in der als Schwachstelle ausgemachten deutschen Abwehr verschwanden so viele Zuspiele der Argentinier im Nichts, mit den am Ende 53 Prozent Ballbesitz wusste die Albiceleste fast nichts anzufangen.
Löw: "Das war fast unvorstellbar"
Dazu nahmen Schweinsteiger und der erneut zwar nicht spektakuläre, aber auf das deutsche Spiel eben ungeheuer einflussreiche Sami Khedira auch noch Leo Messi aus dem Spiel und Argentinien damit jede Hoffnung.
"Die Mannschaft hat den Willen von Champions gezeigt", sagte Löw nach dem Spiel fast schon pathetisch. "Was die Ergebnisse und die Höhe angeht, war das wirklich fast unvorstellbar vor dem Spiel."
Lediglich die Gelbe Karte gegen Müller und dessen Sperre im Halbfinale gegen Spanien trübten die Stimmung. Denn selten zuvor hat sich eine Fußball-Nation nach nur sieben Länderspielen so sehr an einen Spieler gewöhnt wie an Thomas Müller.
Aber diese Mannschaft hat sich auch daran gewöhnt, Rückschläge hinzunehmen und auf ihre Art zu verarbeiten. Am Mittwoch wartet der Europameister Spanien. Der heimliche Weltmeister heißt jetzt schon Deutschland.