Gegen Polen wird Bundestrainer Löw so viele Neulinge testen wie nie zuvor (20.45 Uhr im LIVE-TICKER). Sieben Kandidaten hoffen auf ihr Debüt. Aber wer hat das Zeug, langfristig zum Nationalspieler zu werden?
Benedikt Höwedes war wegen eines Muskelbündelrisses knapp zwei Monate verletzt, der Schalker reiste mit der Empfehlung von zwölf Minuten Spielzeit beim Saisonfinale gegen Nürnberg zur Nationalmannschaft.
Dass Höwedes mit dieser Vorgeschichte überhaupt Bestandteil einer DFB-Auswahl in einem offiziellen Länderspiel sein darf, ist schon ungewöhnlich genug. Dass Höwedes mit seinen 18 Länderspieleinsätzen der "erfahrenste" der 18 Akteure ist, die Joachim Löw für das Testspiel gegen Polen (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) berufen hat, beweist die besonderen Vorzeichen, unter denen die Partie am Dienstagabend in Hamburg über die Bühne gehen wird.
Zwar stehen im Aufgebot auch zehn Spieler, die es in den vorläufigen 30-Mann-Kader für Brasilien geschafft haben - rund vier Wochen vor einer Weltmeisterschaft sind acht Spieler, die rein gar nichts mit dem Endturnier zu tun haben, aber ein Novum.
Gleich sechs Debütanten werden gegen Polen in der Startelf stehen, so viele wie zuletzt im Dezember 1951 gegen Luxemburg (4:1). Das ehemals als Testlauf für die WM vorgesehen Spiel tritt jetzt unter den Decknamen "Zukunftsspiel" an, wie es Teammanager Oliver Bierhoff ausdrückt. "Ein Spiel mit Aussicht" nennt es der Bundestrainer, der etwaige Diskussionen um den Stellenwert erst gar nicht aufkommen lassen will: "Jedes Länderspiel hat für uns eine hohe Bedeutung, bei dem Spiel gegen Polen geht es um Perspektiven für die Zukunft - wir wollen den Blick über die WM in Brasilien hinaus nach vorn richten. Einige Spieler können bei den kommenden großen Turnieren prägende Figuren der Nationalmannschaft werden."
Marc-Andre ter Stegen ist der einzige unter den Acht, der bereits Länderspielerfahrung hat. Sieben andere stehen gegen Polen vor ihrer Premiere und im Hinblick auf die Zeit nach der Weltmeisterschaft auf einem ersten Prüfstand.
Oliver Sorg und Christian Günter, Sebastian Jung, Antonio Rüdiger, Christoph Kramer, Sebastian Rudy und Maximilian Arnold dürfen ein erstes Mal vorspielen. Bis auf die Position des Torhüters sind Spieler für alle Mannschaftsteile vertreten, darunter auch klassische Problemzonen der A-Nationalmannschaft. Die Perspektiven und Chancen der Kandidaten im Überblick.
Oliver Sorg (23, Abwehr, SC Freiburg): Die Vergleiche mit Philipp Lahm sind natürlich nicht zulässig, auch wenn Sorg den Kapitän der A-Nationalmannschaft schon als eine Art Vorbild betrachtet.
Sorg war in den U-Mannschaften des DFB ein Spätzünder, hat "nur" fünf Spiele bei der U 21 absolviert und flog davor quasi unter dem Radar. Dafür ist seine Entwicklung in den letzten beiden Jahren umso bemerkenswerter. Zu Hause ist Sorg - nur 1,75 Meter groß, tiefer Körperschwerpunkt, wendig, beidfüßig - auf der rechten Seite in der Viererkette, der 23-Jährige kann aber auch links eingesetzt werden. Dass er damit in ein Anforderungsprofil passt, das nur wenige in Deutschland bedienen können, erhöht seine Chancen. Die Suche nach geeigneten Außenverteidigern hält schließlich unvermindert an.
Christian Günter (21, Abwehr, SC Freiburg): Sein Debüt in der Bundesliga liegt gerade erst anderthalb Jahre zurück. Seitdem hat sich Günter - besonders in der Schlussphase dieser Saison - in den Vordergrund gespielt. Als Pendant zu Teamkollege Sorg bearbeitet er in Freiburg die linke Außenbahn. Das erste Junioren-Länderspiel folgte erst im Oktober 2013, ein 4:0-Sieg der U 20 über die Niederlande. Günter hat in dieser für den SC sehr anspruchsvollen Saison mit der Dreifachbelastung und dem Abstiegskampf eine Menge dazugelernt. Günters großes Plus ist sein Offensivdrang, was ihm allerdings durchaus auch schon Probleme in der Defensive bereitet hat. Für ihn gilt ähnlich wie für Sorg: Der 21-Jährige ist auf einer Mangelposition unterwegs.
Sebastian Jung (23, Abwehr, Eintracht Frankfurt): Einer der begehrtesten Rechtsverteidiger der Republik, kokettiert mit einem Wechsel in der Sommerpause. Unter anderem soll Schalke an ihm dran sein, auch Leverkusen und Wolfsburg waren schon in der Verlosung. Hat nach einer überragenden vorherigen Saison jetzt eine Spielzeit mit ein paar Tiefen und Verletzungen erlebt. Gute Dynamik, starke Technik, auch in der Defensive ordentlich. Jung bringt alles mit, jetzt muss er den nächsten Schritt machen. Das Debüt in der A-Nationalmannschaft wäre ein Anfang, nachdem er im Herbst 2012 schon einmal eingeladen, aber nicht eingesetzt wurde. Seine Perspektive ist richtig gut, weil er weiter als zum Beispiel Sorg ist. Und Philipp Lahm (30) wird auch nicht jünger...
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Antonio Rüdiger (21, Abwehr, VfB Stuttgart): Der Innenverteidiger bekam für viele Experten überraschend eine Einladung. Rüdiger hatte teilweise erhebliche Probleme in dieser Saison, besonders unter Trainer Thomas Schneider, der dem immer noch relativ unerfahrenen Spieler gleich eine Schlüsselrolle in der Viererkette zugewiesen hatte und Rüdiger damit nicht auf Anhieb klar kam. Unter Huub Stevens stabilisierte er sich merklich und zeigte auch, was er an Vorzügen mitbringt: Überzeugende körperliche Fähigkeiten, ein gutes Zweikampfverhalten, eine gute Spieleröffnung.
Was aber auch immer wieder durchscheint: Stellungs- und Leichtsinnsfehler und manchmal fehlt ihm unter starkem Druck noch etwas die Ruhe am Ball. Immerhin scheint er nach seinem zweiten Platzverweis in der Vorrunde sein Temperament besser in den Griff bekommen zu haben. Das Problem ist, dass auf seiner Position die Konkurrenz zahlreich, qualitativ hochwertig und noch verhältnismäßig jung ist.
Christoph Kramer (23, Mittelfeld, Borussia Mönchengladbach): Schaffte den Sprung von der 2. Liga direkt ins DFB-Team. Kramer war vor der abgelaufenen Saison noch ein Nobody, jetzt gehört er zu den in der Defensive stärksten Sechsern der Liga. Unglaublich fleißig und zuverlässig, ein Laufwunder mit sehr solider Technik und in den letzten Partien sogar torgefährlich. Kramers Spiel erinnert an das von Sven Bender: Sachlich nüchtern und unspektakulär. Aber eben ungemein wichtig für die Mannschaft, mit vielen kleinen Momenten in der Balleroberung oder wenn es gilt, dem Gegner im entscheidenden Moment das Zuspiel zu verhindern. Kramers Spielverständnis ist enorm, seine Antizipation auf einem sehr hohen Level. Große Ambitionen hegt er dennoch (noch) nicht. "Vielleicht kann ich gegen Polen ein paar Sekunden spielen", sagt er. Wenn er die Leistungen der abgelaufenen Saison bestätigen kann, dürfte er aber zumindest im Dunstkreis der Nationalmannschaft bleiben.
Sebastian Rudy (24, Mittelfeld, 1899 Hoffenheim): Seine Karriere steckte vor einiger Zeit in einer Sackgasse. Erst als Markus Gisdol in Hoffenheim übernahm, fand Rudy wieder seinen Rhythmus und ist seitdem in Hoffenheims junger Mannschaft eine der Leitfiguren. Mit 24 Jahren und 125 Bundesligaspielen ist er fast schon ein alter Hase. Rudy hat kaum eine Schwäche in seinem Spiel, auf der anderen Seite besitzt er aber auch keine außergewöhnlichen Fähigkeiten, die ihn deutlich von seinen Kontrahenten im defensiven Mittelfeld unterscheiden würde. Er ist ein klassischer Allrounder, mit gutem Passspiel und einem vernünftigen Torabschluss. Die Nominierung jetzt ist der Bonus auf eine sehr gelungene Saison. Danach dürfte Rudy in der Nationalmannschaft aber nicht mehr so oft anzutreffen sein. Dafür ist die Konkurrenz zu stark und aus dem Jugendbereich drängt schon die neue Generation nach vorne.
Maximilian Arnold (19, Angriff, VfL Wolfsburg): Zusammen mit Robin Knoche das größte Talent der Wölfe. Arnold hat sich im Klub gegen starke Konkurrenz im Angriff durchgesetzt und in 28 Saisonspielen zehn Scorerpunkte gesammelt (sieben Tore, drei Vorlagen). Arnold bringt als hängende Spitze alles mit: Dynamik, eine starke Schusstechnik und Spielverständnis. Das Kopfballspiel ist noch ausbaufähig, seine Abgebrühtheit vor dem Tor mit 19 Jahren aber schon erstaunlich. Angeblich soll Arsenal schon auf ihn aufmerksam geworden sein. Im vorderen Drittel kann Arnold jede Position spielen, hat im Klub auf den Flügeln, auf der Zehn und ganz vorne im Sturmzentrum schon gespielt. Ein kleiner Vorteil: Es gibt nicht so viele Linksfüßer mit ähnlichen Qualitäten. Sein Nachteil: Ganz vorne in der Spitze fühlt er sich nicht so wohl. Hier gäbe es auf mittelfristige Sicht aber am ehesten eine Chance auf einen Platz im Team. In der Reihe dahinter ist die Konkurrenz mit Müller, Reus oder Götze unheimlich stark.
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