Bastian Schweinsteiger ist neuer Kapitän der Nationalmannschaft, Thomas Schneider wird Nachfolger von Hansi Flick als Co-Trainer. Joachim Löw hat die dringenden Personalfragen mal konservativ, mal überraschend geklärt. Alles folgt aber dem einen übergeordneten Thema: Den Umbruch so reibungslos wie möglich zu vollziehen.
Bastian Schweinsteiger steht derzeit bei neun Spielen, die er als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft bestritten hat. Damit war er immerhin einmal öfter Spielführer einer DFB-Auswahl als beispielsweise Rudi Völler oder Helmut Rahn.
Aber eben auch einmal weniger als Rudolf Gramlich oder Adolf Jäger. Für die wenigen, die es unter Umständen wieder vergessen haben: Gramlich war einst für Eintracht Frankfurt aktiv, Jäger spielte bei Altona 93.
Bastian Schweinsteiger spielt für den FC Bayern München. Der Rekordmeister der Bundesliga hält auch beim Deutschen Fußball-Bund die Rekorde, etwa den der Spieler mit den meisten Einsätzen als Kapitän. Die ersten sechs Positionen sind von Bayern-Spielern belegt, von Lothar Matthäus (75 Spiele) bis Franz Beckenbauer und Oliver Kahn (beide 50).
"Kein radikaler Umbruch"
Schweinsteiger ist seit wenigen Wochen 30 Jahre alt, Matthäus' Bestmarke wird er nicht mehr angreifen können und auch die von Beckenbauer und Kahn und die von Michael Ballack (55), Philipp Lahm (53) und Karl-Heinz Rummenigge (51) sind kaum noch einzuholen. Dem Münchner wird das herzlich egal sein. Dass er ab sofort aber der Anführer der Weltmeister sein darf, wird auch ihn nicht kalt lassen.
Bisher war er der Adjutant hinter Lahm, der Rolle als Junior-Partner verlieh Bundestrainer Löw mit dem Beisatz "Aggressiv Leader" eine etwas stärkere Bedeutung. Nach der kleinen Rücktrittswelle nach dem WM-Triumph von Rio de Janeiro musste Löw die Reihen neu sortieren.
Drei Weltmeister-Spieler sind weg, darunter Kapitän Lahm und noch dazu der Co-Trainer. "Es wird keinen radikalen Umbruch geben", sagt der Bundestrainer und verweist auf einen ruhigen, sanften Übergang. Dementsprechend hat Löw die vakanten Positionen innerhalb seines Zirkels ausgewählt. So, wie man das schon öfter von bei ihm gesehen hat.
Einsatz, Loyalität, Verlässlichkeit
Er umgibt sich weiter mit jenen, von denen er hundertprozentigen Einsatz und Loyalität erwarten kann. "Ich weiß, dass ich mich auf Bastian verlassen kann", sagt Löw. "Wenn es darauf ankam, war er immer da. Diese Entscheidung war deshalb für mich immer klar." Dass Schweinsteiger eine Art Zwischenlösung sein wird, stört den Bundestrainer dabei keineswegs. Bis einschließlich zur Europameisterschaft in Frankreich in zwei Jahren plant Löw mit dem Final-Helden als Kapitän.
"Wir haben jetzt seit vielen, vielen Jahren, seit zehn Jahren, ein Vertrauensverhältnis. Er hat eine immense Erfahrung, genießt eine hohe Akzeptanz in der Mannschaft und im Trainerkader, ist ein wichtiger Kommunikator für uns", so Löw.
Bierhoff als letzter Nicht-Bayern-Spieler
Schweinsteiger ist nach Lahm, Ballack, und Kahn der vierte Bayern-Spieler in Folge, der als Kapitän ins Amt gehievt wurde. Der Letzte, der nicht in diese Reihe passt, war vor 16 Jahren Oliver Bierhoff. Eine "Persönlichkeit" und ein "Ansprechpartner für den Trainer" müsse ein Kapitän sein, zudem soll er in der Lage sein, Konflikte innerhalb der Gruppe frühzeitig zu erkennen, sagt Bierhoff.
Als "Erster unter Gleichen" bezeichnet sich Schweinsteiger nun selbst. "Ich habe meine Art zu führen, die sich in den letzten Jahren entwickelt und als erfolgreich erwiesen hat. Ich weiß aber auch, dass nun weitere Verpflichtungen dazukommen werden, insbesondere auch außerhalb des Platzes", ahnt der 108-malige Nationalspieler bereits, dass er sich anders als in der Vergangenheit bald nicht mehr so oft zurückziehen kann.
Etwas sehr staatstragend formuliert er vielleicht deshalb auch sein Ziel. "Ich werde mich da reinarbeiten. Mehr als zehn Jahre Bayern München, mehr als 100 Länderspiele - ich kenne viele Akteure in Sport, Wirtschaft und Politik. Darauf werde ich aufbauen."
Seite 1: Der schleichende Umbruch
Seite 2: Mit Schneider beginnt die Jagd
Thomas Schneider kann nicht auf eine ähnliche Vita wie Bastian Schweinsteiger verwiesen. Trotzdem wird er ab Mitte Oktober zweiter Mann im Staat. Es gehört nämlich weiterhin auch zu Löws Gewohnheiten, ab und an überraschende Dinge zu forcieren. Etwa, einen wie Schneider bald zu seinem Co-Trainer bei der Nationalmannschaft zu machen.
Die meisten Experten waren verblüfft, als am Dienstagvormittag erste Gerüchte um Schneider durchsickerten. Den ehemaligen Trainer des VfB Stuttgart hatte wohl kaum einer auf der Rechnung. So überwertet die Kapitänsfrage in der Nationalmannschaft auch sein mag, so wichtig ist diese Personalie im Hinblick auf die kommenden Jahre. Darin sind sich alle einig.
In Hansi Flick hatte Löw in all den Jahren den nahezu perfekten Wegbegleiter: Fachlich herausragend, immer loyal und angenehm zurückhaltend. Flicks Wechsel ins Fach des Sportdirektors beim DFB hat die Aufgabenstellung gerade nach dem WM-Triumph doch sehr verändert.
Selektion der Talente
Die deutsche Mannschaft wird von nun an die gejagte sein. Löw wird mit zusätzlichen Problemen konfrontiert werden, nicht umsonst gibt es bereits jetzt Überlegungen, neben Schneider noch einen zweiten Co-Trainer zumindest partiell hinzuzuziehen.
"Es ist durchaus vorstellbar, dass wir einen unserer U-Trainer als weiteren zusätzlichen Co-Trainer gelegentlich zum A-Team hinzuziehen. Gerade mit Hinblick auf das Turnier 2016", deutet Löw an. Eine der großen Aufgaben von Schneider wird es sein, den Nachschub an talentierten Spielern zu kanalisieren und zu moderieren.
In den acht Jahren seiner Amtszeit hat Löw über 60 Spieler zu ihrem Debüt im Nationaldress verholfen. Er hat viel getestet - weil ihm die Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga einen top ausgebildeten Spieler nach dem anderen auf den Hof parkten. Womöglich hat der Bundestrainer demnächst nicht mehr so viel Zeit, sich um jeden Einzelnen der Neuen entsprechend zu kümmern.
"Er wird sich wunderbar einfügen"
Mit der U 17 des VfB wurde Schneider in seinen ersten beiden Jahren als Trainer erst Vizemeister, dann Deutscher Meister. Dass der zu frühe Ausflug zu den Profis vor wenigen Monaten scheiterte, ist im Hinblick auf Schneiders Qualifikation und sein Einsatzgebiet beim DFB eher zweitrangig. Den von Löw beschriebenen sanften Umbruch soll er nun entscheidend mitgestalten.
Lange hatte sich Löw Zeit genommen bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Hansi Flick. "Wir haben viele Gespräche mit mehreren Kandidaten geführt", sagte Löw. Unter anderem mit Marcus Sorg, der jüngst mit der U 19 des DFB den Europameistertitel holen konnte. Auch Thomas Tuchel wurde in diesem Zusammenhang immer mal wieder ins Gespräch gebracht. Am Ende haben Kleinigkeiten den Ausschlag gegeben.
Als Erster unter Gleichen wird Schneider in wenigen Wochen seinen Dienst aufnehmen. Dass sich er und Löw noch aus gemeinsamen Zeiten beim VfB kennen, hat die Sache sicherlich vereinfacht und die Gespräche entsprechend angenehm für beide Seiten gestaltet.
"Thomas passt sehr gut zu uns. Von seinen menschlichen Qualitäten und seinen Fähigkeiten als Trainer bin ich zu 100 Prozent überzeugt. Ich freue mich sehr auf die gemeinsame Arbeit, er wird sich wunderbar in unser Team einfügen", sagt Löw.
Gut zusammengestellter Mannschaftsrat
Fast untergegangen in den Erzählungen über Kapitäne und Co-Trainer war am Dienstag der neu zusammengesetzte Mannschaftsrat. Mit Lahm, Miro Klose und Per Mertesacker hatten gleich drei Mitglieder abgedankt. In der täglichen Arbeit bei Treffen der Nationalmannschaft und erst Recht bei großen Turnieren kommt dem immerhin dem Mannschaftsrat eine ganz entscheidende Rolle zu - und nicht etwa nur dem Kapitän.
Gerade bei der deutschen Mannschaft, die in Brasilien wie keine andere den Teamgeist hervorheben konnte und damit letztlich den Unterschied zu den One-Man-Nationen Brasilien mit Neymar, Argentinien mit Messi und die Niederlande mit Robben machen konnte, war die Zusammensetzung des Gremiums die eigentlich spannende Frage.
Mit der Benennung von Manuel Neuer, Thomas Müller, Sami Khedira und Mats Hummels hat Löw sich voll auf einen stimmigen Konsens eingelassen. Neuer war wegen seiner Sonderstellung als bester Torhüter der Welt ein Kandidat für das Kapitänsamt, Müller kann mit seiner integrativen Art der Nachfolger von Mertesacker werden.
Khedira war bereits bei der U 21 Kapitän und gilt für die Zeit nach der EM 2016 ebenso als Kandidat für die Schweinsteiger-Nachfolge wie Hummels, der aktuell zudem den BVB-Block in der Mannschaft repräsentiert und als wichtiges Gegengewicht zur starken Bayern-Fraktion gesehen werden kann.