Pro Özil in der Startelf: "Löw darf vor der Diskussion nicht einknicken"
Von SPOX-Redakteur Jochen Rabe
Die Diskussion um Mesut Özil ist nichts Neues. In den letzten Tagen hat die öffentliche Debatte allerdings eine Dynamik aufgenommen, die Bundestrainer Joachim Löw vor dem zweiten Gruppenspiel bei der WM gegen Schweden quasi die Pistole auf die Brust setzt. Der Tenor: Jetzt ist das Maß voll, Löw muss Özil endlich aus der Mannschaft nehmen.
Vor dieser Diskussion wird Löw nicht einknicken. Das darf er auch nicht, denn damit würde er einerseits sich selbst und seine Überzeugung verleugnen, andererseits würde er Özil so aus der Rechnung nehmen, das Turnier wäre für ihn gelaufen.
Die Argumente, Özil ausgerechnet jetzt aus dem Team zu nehmen, sind dünn. Sehr dünn. Zumal verschiedene Ebenen in der Debatte verschwimmen. Das Gefühl verfestigt sich, dass tiefere Gründe hinter der Abneigung gegen Özil liegen.
Mesut Özil, das Erdogan-Foto und die Hymnen-Diskussion
Es ist korrekt, dass Özil mit dem Erdogan-Foto einen Fehler gemacht hat. Die Kommunikation rund um den Termin und die damit gesandte Botschaft war extrem unglücklich.
Das rechtfertigt jedoch ebenso wenig die Ableitung eines Unwohlseins, im DFB-Trikot aufzulaufen, wie die absurde Hymnen-Diskussion.
Dass ein ordentlicher deutscher Nationalspieler aus voller Brust die Hymne mitsingen und am besten dabei noch weinen soll, ist folkloristischer Populismus. Die Weltmeister von 1974 blieben beim Erklingen der deutschen Nationalhymne alle stumm. Das war damals normal. Warum auch nicht?
Joachim Löw kennt Mesut Özil als Spieler und Mensch
Löw arbeitet seit vielen Jahren mit Özil zusammen. Er kennt ihn als Spieler und Mensch und vertraut ihm. Ganz sicher kann der Bundestrainer besser beurteilen als mancher lautstarker Experte, ob sich Özil in der Nationalmannschaft wohlfühlt und ob er ihn infolgedessen in seinem Team haben möchte.
Diese Frage hat Löw mit Ja beantwortet. Daran wird auch der Auftritt bei der Niederlage gegen Mexiko nichts ändern.
Özil war gegen Mexiko schwach, keine Frage. Aber wenn man daraus ableitet, dass er sich im Trikot der Nationalmannschaft unwohl fühle, könnte man Sami Khedira, Toni Kroos, Thomas Müller, Timo Werner, Mats Hummels - ach, der ganzen Mannschaft den gleichen Vorwurf machen. Die Leistung war kollektiv schwach. Sich Özil herauszupicken, legt andere Beweggründe offen.
Mesut Özils negative Körpersprache
Natürlich hat Özil keine positive Körpersprache. Sein apathischer Blick, seine hängenden Schultern und seine undynamisch wirkenden Bewegungen sorgen seit dem ersten Tag seiner Karriere dafür, dass ihm nach einem schwächeren Spiel die Motivation abgesprochen wird. Das ist im Verein so, das ist in der Nationalmannschaft so. Diesen Habitus wird er nicht mehr ändern.
Mit dieser Körpersprache stand Özil nun aber schon 26 Spiele in Folge bei großen Turnieren für Deutschland auf dem Platz. Und das Abschneiden des DFB-Teams bei Europa- und Weltmeisterschaften war in dieser Phase sehr erfolgreich.
Özil zeigte in dieser Phase, dass er alles für das Team geben möchte. Er schoss entscheidende Tore, zog in Drucksituationen bei Elfmetern nicht den Schwanz ein und stand nicht zuletzt vor vier Jahren beim WM-Titel in Brasilien in allen Spielen auf dem Platz.
Mesut Özil kann dem DFB-Team etwas Besonderes geben
Löw vertraut Özil, weil er der Mannschaft etwas geben kann, was ihr sonst niemand geben kann.
Selbst wenn er gefühlt kaum an einem Spiel teilnimmt, hat er immer seine Momente, spielt trotzdem in jeder Partie drei, vier Pässe in Räume, die sonst niemand sieht. Seine kreative Qualität ist im deutschen Kader nach wie vor einzigartig. Nicht umsonst hat Özil seit seinem Wechsel in die Premier League - nicht gerade eine Wald-und-Wiesen-Liga - mehr Assists gegeben als jeder andere.
Joachim Löw wird Mesut Özil das Vertrauen nicht entziehen - zu Recht
Die Partie gegen Mexiko gab keine Grundlage, das Vertrauen in diese Qualitäten zu verwerfen. Weil eben niemand auf dem Höhepunkt seines Schaffens war.
Deswegen wird Löw Özil beim Spiel gegen Schweden dieses Vertrauen auch nicht entziehen. Zu Recht. Wenn er das zum jetzigen Zeitpunkt tut, positioniert er sich gegen seine eigene Überzeugung. Er würde zum Umfaller vor populistischen Forderungen, die keiner logischen Argumentationslinie folgen.
Das würde nicht zu seinem Verhalten in seiner Amtszeit passen. Zu einer sturen Überzeugung, die ihm zwar wie 2012 vor die Füße fiel, die ihn aber letztlich auch zum Weltmeister-Trainer machte.