DFB-Team: Mesut Özils Erklärungen zum Rücktritt und Erdogan-Foto im Wortlaut

Von SPOX
Mesut Özil hat sich zu seinem Treffen mit Erdogan geäußert.
© getty
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Was mich in den letzten paar Monaten vielleicht am meisten enttäuscht hat, war der Umgang mit mir durch den DFB im Allgemeinen und durch Präsident Reinhard Grindel im Besonderen. Nachdem das Bild mit Erdogan erschienen war, bat mich Joachim Löw, meinen Urlaub abzubrechen, nach Berlin zu kommen und ein gemeinsames Statement abzugeben, um das Gerede zu beenden und die Sache geradezurücken.

Während ich versuchte, Grindel meine Herkunft zu erläutern und den Sinn hinter dem Foto, war er mehr daran interessiert, über seine eigenen politischen Ansichten zu sprechen; mit meiner Meinung ging er sehr geringschätzig um. Während sein Verhalten herablassend war, kamen wir zu der Einigung, uns auf Fußball und die bevorstehende WM zu konzentrieren.

Darum bin ich auch dem Media Day in der Vorbereitung ferngeblieben. Ich wusste, die Journalisten würden über Politik und nicht Fußball sprechen und mich attackieren, auch wenn es so schien, als sei das Thema vorbei, nachdem Oliver Bierhoff im Vorfeld des Spiels gegen Saudi-Arabien ein TV-Interview gegeben hatte.

In Zuge der Ereignisse traf ich mich auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Anders als Grindel war Präsident Steinmeier professionell und daran interessiert, was ich über meine Familie, meine Herkunft und meine Entscheidungen zu sagen hatte. Bei dem Meeting waren nur ich, Ilkay und Präsident Steinmeier dabei. Grindel war verärgert, dass er nicht reindurfte, um seine politische Agenda herauszuposaunen.

Ich kam mit Präsident Steinmeier überein, dass wir eine gemeinsame Erklärung abgeben würden in der Absicht, zur Tagesordnung zurückzukehren und den Fokus wieder auf Fußball zu richten. Grindel war sauer, dass nicht sein Team das erste Statement veröffentlichen sollte, sondern dass Steinmeiers Presseabteilung den Hut in der Angelegenheit aufhatte.

Seit dem Ende der WM ist Grindel wegen seiner Entscheidungen im Vorfeld des Turniers gehörig unter Druck geraten und das völlig zu Recht. Erst kürzlich forderte er öffentlich von mir, erneut meine Handlungen zu erklären, und gleichzeitig machte er mir Vorwürfe für die schlechten Mannschaftsleistungen in Russland, dabei hatte er in Berlin gesagt, das Thema sei beendet.

Ich spreche hier und jetzt nicht wegen Grindel, sondern weil ich es will. Ich werde nicht länger der Sündenbock für seine Inkompetenz und dafür sein, dass er seinen Job nicht angemessen erledigt. Ich weiß, dass er mich aus dem Team haben wollte, nachdem das Foto aufgetaucht war, und tat diese Meinung bei Twitter kund, ohne nachzudenken oder Rücksprache zu halten, doch Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben sich vor mich gestellt und mich unterstützt.

In den Augen von Grindel und seinen Befürwortern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen und Immigrant, wenn wir verlieren. Und obwohl ich hier Steuern bezahle, Einrichtungen für Schulen anschaffe und mit Deutschland 2014 die Weltmeisterschaft gewonnen habe, bin ich in der Gesellschaft nicht akzeptiert. Ich werde behandelt wie jemand, der anders ist.

Ich habe 2014 den Bambi bekommen als Beispiel für die erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft, ich habe 2014 das Silberne Lorbeerblatt der Bundesrepublik Deutschland erhalten und ich war ein German Football Ambassador 2015. Aber ganz klar, ich bin kein Deutscher ...? Gibt es Kriterien, um ein ganzer Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle?

Meine Freunde Lukas Podolski und Miroslav Klose werden nicht ständig Deutsch-Polnisch genannt, also warum bin ich Deutsch-Türkisch? Liegt es an der Türkei? Liegt es daran, dass ich Moslem bin? Ich denke, das ist ein wichtiger Punkt. Indem man von Deutsch-Türkisch spricht, kennzeichnet man die Leute bereits, deren Familie aus mehr als einem Land stammt. Ich wurde in Deutschland geboren und bin hier erzogen worden - warum also akzeptieren die Leute nicht, dass ich Deutscher bin?

Grindels Ansichten finden sich auch anderswo. Ich wurde von Bernd Holzhauer (ein deutscher Politiker) als Ziegenf***er bezeichnet, weil ich das Bild mit Erdogan gemacht habe und türkischer Herkunft bin. Weiterhin hat mir Werner Steer (Chef des Deutschen Theaters München) geraten, mich "nach Anatolien zu verpissen", eine Gegend in der Türkei, in der viele Immigranten leben.

Wie ich bereits erwähnte: Mich zu kritisieren und zu beleidigen aufgrund meiner familiären Abkunft, ist ein beschämender Schlag unter die Gürtellinie. Diskriminierung als Werkzeug für politische Propaganda zu benutzen, sollte zum sofortigen Rücktritt der Personen führen, die sich dieses respektlosen Verhaltens schuldig machen. Diese Leute haben mein Bild mit Präsident Erdogan als Gelegenheit genommen, ihre zuvor verborgenen rassistischen Ansichten auszudrücken, und das ist gefährlich für die Gesellschaft.

Sie sind nicht besser als die deutschen Fans, die mir nach dem Schweden-Spiel sagten: "Özil, verpiss dich du scheiß Türkensau. Türkenschwein, hau ab." Von Hassmails, Drohanrufen am Telefon und Kommentaren auf Social Media, die ich und meine Familie erhielten, möchte ich gar nicht sprechen. Sie alle stehen für ein Deutschland der Vergangenheit, ein Deutschland, das nicht offen ist für neue Kulturen, und ein Deutschland, auf das ich nicht stolz bin. Ich bin sehr zuversichtlich, dass viel stolze Deutsche, die eine offene Gesellschaft begrüßen, mir zustimmen werden.

Von Ihnen, Reinhard Grindel, bin ich enttäuscht, wobei mich Ihr Verhalten nicht überrascht. 2004 saßen Sie im deutschen Bundestag und haben erklärt "Multikulturalismus ist nur ein Mythos und eine Lebenslüge" und sie stimmten gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und gegen die Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung, und sie erklärten, dass die islamische Kultur in vielen deutschen Städten schon viel zu tief verwurzelt sei. Das ist unentschuldbar und unvergesslich.

Die Behandlung, die ich beim DFB erfahren habe und von vielen anderen, hat mich davon überzeugt, dass ich das deutsche Nationaltrikot nicht mehr tragen möchte. Ich fühle mich nicht gewollt und habe den Eindruck, dass die Erfolge, die ich seit meinem Debüt 2009 erzielt habe, vergessen sind. Menschen mit einem rassistisch gefärbten Background sollten nicht im größten Fußballverband der Welt arbeiten dürfen, wo es viele Spieler aus binationalen Familien gibt. Die Haltung dieser Menschen spiegelt einfach nicht die Leute wider, die sie angeblich repräsentieren.

Schweren Herzens und nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich nach den Ereignissen der letzten Zeit nicht mehr für Deutschland international spielen werde, solange ich Rassismus und Verachtung spüre. Ich trug das deutsche Trikot immer mit großem Stolz und großer Freude, doch das ist nicht länger der Fall.

Diese Entscheidung zu treffen, fiel mir extrem schwer, weil ich immer alles für meine Mitspieler, den Trainerstab und die guten Menschen in Deutschland. Aber wenn hochrangige DFB-Funktionäre mich so behandeln, wie sie das getan haben, meine türkischen Wurzeln verachten und mich zum Werkzeug ihrer eigenen politischen Propaganda machen, dann ist es genug. Dafür spiele ich nicht Fußball, und ich werde mich nicht zurücklehnen und gar nichts tun. Rassismus darf nie und nimmer hingenommen werden.

Mesut Özils Leistungsdaten mit der deutschen Nationalmannschaft

WettbewerbSpieleToreAssists
Freundschaftsspiele30510
WM-Qualifikation20910
WM1624
EM-Qualifikation15512
EM1124
GEsamt922340