Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben am Mittwoch die Ergebnisse der Fehleranalyse nach dem Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland präsentiert. SPOX gibt einen strukturierten Überblick über die wichtigsten Aussagen der Pressekonferenz.
Die Spielweise und die Einstellung der Nationalmannschaft
Joachim Löw über Erkenntnisse der WM: "Die Defensive war wieder viel wichtiger als bei den letzten Turnieren. Fast alle Mannschaften haben nur mit drei Offensivspielern gespielt. Kontersituationen wurden wieder wichtiger und Standardsituationen haben eine größere Rolle gespielt."
...über Ballbesitzfußball: "In Deutschland Bayern München, in Spanien Barcelona, in England Manchester City sind alles Mannschaften, die über einen Ballbesitzfußball Meisterschaften gewonnen haben. Aber die Champions League hat Real Madrid gewonnen. Bei Turnieren sind Anpassungen gefragt."
...über seinen größten Fehler: "Meine größte Fehleinschätzung bei der WM war es zu denken, dass wir mit diesem Ballbesitzfußball zumindest durch die Gruppenphase kommen. Die Rahmenbedingungen haben bei diesen Spielen nicht gepasst. Das war eine riesige Fehleinschätzung, das war fast schon arrogant. Ich wollte die Mannschaft in Sachen Ballbesitz perfektionieren. Aber ich hätte mehr auf eine stabile Defensive setzen müssen. Ich wollte erst nach der Vorrunde die Spielweise adaptieren. Eigentlich war das Spiel gegen Mexiko schon ein K.o.-Spiel. Das habe ich falsch eingesetzt. Wir müssen unsere Spielweise adaptieren, variabler und flexibler sein."
...über die Einstellung: "Wenn man ein Turnier gewinnen will, muss man brennen und einen Enthusiasmus entwickeln. Nach dem WM-Titel 2014 haben wir es nicht geschafft, ein neues Feuer zu entzünden. Dass alle mit Leidenschaft, Enthusiasmus, Kampf und Zweikampfstärke auf voller Flamme ins Turnier gehen. Wir hatten eine kleine Flamme, aber wir konnten das bei diesem Turnier so nicht abrufen. Es wäre meine Aufgabe gewesen, das zu fordern über Ansprache, Trainingsweise und Emotionalität. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse für mich als Trainer. Wenn wir unsere Spielweise anpassen und das Feuer wieder bekommen, haben wir ein sehr gutes Fundament."
Die personellen Konsequenzen
Joachim Löw: "Wir haben ein sehr großes Team und ein großes Team hinter dem Team. Die Leute haben alle eine sehr große Qualität. Aber manchmal ist weniger mehr. Wir haben uns entschieden, dass Thomas Schneider nicht mehr zum Trainerstab gehören wird, sondern die Leitung der Scoutingabteilung übernimmt. Das Trainerteam besteht aus mir, Marcus Sorg und Andreas Köpke. Urs Siegenthaler wird aber weiter für uns arbeiten."
Oliver Bierhoff: "In der Nationalmmanschaft war immer eine besondere Atmosphäre und das war uns auch wichtig. Und dafür ist wichtig, den Personenkreis rund um die Mannschaft so klein wie möglich zu halten. Wir haben das in den letzten Jahren immer erweitert, aber wir werden dort einige Personen streichen. Wir wollen uns wieder mehr auf das Wesentliche konzentrieren, gewisse Abläufe optimieren und den direkteren Kontakt mit den Spielern zu schaffen. Diese Maßnahme ist nicht darin begründet, dass irgendeiner der Betroffenen schlechte Arbeit geleistet hat. Jeder Einzelne beim Team hinter dem Team hat tolle, kompetente Arbeit abgeliefert."
Der Kader der deutschen Nationalmannschaft
Joachim Löw über den WM-Kader: "Es lag nicht an einem einzigen, sondern wir haben alle in der Summe nicht das geleistet, was wir können. Es ist an uns, einen richtigen Mix zu finden zwischen Erfahrung und jungen, dynamischen, hungrigen Spielern. Wir haben wichtige Aufgaben vor uns. Die Nations League nehmen wir sehr ernst, wir spielen gegen den Weltmeister Frankreich und die Niederlande. Es ist wichtig, da die richtigen Schritte einzuleiten. Wir müssen die Mannschaft wieder neu einstellen und eine gute Mischung finden. Dann bin ich mir sicher, dass wir dieses Jetzt-erst-recht-Gefühl hinbekommen und dass die Mannschaft mit einer ganz anderen Freude, Begeisterung und Leidenschaft zu Werke gehen wird."
...über den Umbruch: "Es ist wahnsinnig wichtig, dass wir eine gute Achse haben. Es ist ein gutes Fundament. Wir haben jetzt noch vier oder fünf ältere Spieler, alle anderen sind noch nicht so lange dabei. Wir brauchen eine Achse, an der sich junge Spieler orientieren können. All diesen Spielern traue ich zu, dass sie viel mehr zeigen können als bei der WM. Sie haben eine große Qualität und das wissen sie auch. Wenn schwierige Gegner kommen, ist es wichtig, so eine Achse zu haben - wenn sie ihre Leistung zeigen."
...über Säulen der Zukunft: "Wir haben relativ viele junge Spieler dabei. Joshua Kimmich, Niklas Süle, Leon Goretzka, Julian Brandt, Leroy Sane sind Spieler, die sicherlich noch viele weitere Turniere bestreiten werden und sicher noch nicht am Zenit ihres Leistungsvermögens angekommen sind. Es gibt auch Spieler wie Serge Gnabry, die wir beobachten. Wir haben Persönlichkeiten, die voran gehen: Kimmich ist seit zwei Jahren immer dabei und hat eine gute Einstellung, Julian Draxler hat das beim Confed Cup sehr gut gemacht. Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm sind auch erst in diese Führungsrollen hineingewachsen."
...über Sami Khedira: "Mit Sami Khedira habe ich ein längeres Gespräch geführt. Er hat mir gesagt, aus der Nationalmannschaft tritt man nicht zurück. Er hat seine Bereitschaft signalisiert. Ich habe ihm aber auch gesagt, dass ich jetzt Raum und Platz für die eine oder andere Änderung schaffen möchte und dass wir zu gegebener Zeit weiter sprechen werden. Er hat sich klare Ziele gesetzt. Er hat signalisiert, dass er alles dafür tun wird, sich wieder für die Nationalmannschaft anzubieten."
...über Leroy Sane: "Ich war damals der Meinung, dass der Kader so der beste ist. Ich habe damals mit Leroy Sane gesprochen und ihm gesagt, seine Zukunft bei der Nationalmannschaft muss nach der WM beginnen. Er hatte in der Vorbereitung und im Trainingslager nicht die besten Leistungen gebracht. Zu dem Zeitpunkt war ich überzeugt von der Entscheidung. Aber sein großes Potenzial und sein außerordentliches Talent ist unbestritten und war uns immer klar. Meine Bereitschaft und meine Idee, mit Leroy weiter zu arbeiten, habe ich schon damals mit ihm besprochen."
...über Ilkay Gündogan: "Ilkay hatte sich auch im Trainingslager schon einmal erklärt und ein klares Statement abgegeben. Ich weiß bei ihm, dass er sich mit unseren Werten absolut identifiziert und sich immer wohlgefühlt hat. Ilkay konnte bei der WM nicht seine gewohnte Leistung abrufen. Aber über die nächsten Jahre sehe ich ihn als sehr wichtigen Spieler für uns. Er konnte es aufgrund von Verletzungen in den vergangenen Jahren nicht immer zeigen, aber er ist ein Spieler, bei dem ich davon ausgehe, dass er jetzt den Durchbruch bei uns schafft.
Er hat in den letzten Tagen ein Interview gegeben, in dem er sich sehr deutlich zu dieser Geschichte geäußert hat. Er hat sich noch einmal zu unseren Werten bekannt. Mehr kann er nicht tun. Er hat dieses Foto gemacht, er hat sich erklärt, das war nicht glücklich. Sicherlich schlagen zwei Herzen in seiner Brust, aber er ist in Deutschland aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat die Werte hier verinnerlicht. Er hat in den Wochen darunter gelitten. Ich hoffe, dass die Zuschauer das jetzt akzeptieren."
...über Mario Götze: "Mario Götze ist bei uns nicht abgeschrieben. Er hat ein gutes Alter und große Qualitäten. Meine Sicht der Dinge ist, dass er sich bei Dortmund in diesem Jahr zeigen soll. Wenn er das schafft, dass er in Dortmund konstant gute Leistungen zeigt, wird er auch bei uns wieder ein Thema. Am Wochenende hat er leider nicht gespielt. Aber ich denke, er hat die Qualität, es zu schaffen."
...über die Grüppchenbildung: "Da wird sehr viel geschrieben. Teilweise auch Dinge, die so nicht zutreffen. Nach unseren Analysen und Gesprächen konnten wir diese Cliquenbildung mit Konflikten, die nicht überbrückbar sind, nicht identifizieren. Es gehört dazu, dass mal ein Spaß gemacht wird, aber keine unüberbrückbaren Differenzen. Wir hatten nicht diesen Teamgeist, der 2014 da war. Manchmal dauert es ein bisschen, bis sich das entwickelt. Diesmal hatten wir den Spirit nicht so. Es war sehr professionell, aber dieser Funke war nicht da. Nach meinem Wissen sind die Spieler aber gut miteinander klargekommen."
DFB: Der Kader für die Spiele gegen Frankreich und Peru im Überblick
Spieler | Position |
Manuel Neuer | Torwart |
Marc-Andre ter Stegen | Torwart |
Jerome Boateng | Abwehr |
Matthias Ginter | Abwehr |
Jonas Hector | Abwehr |
Mats Hummels | Abwehr |
Thilo Kehrer | Abwehr |
Joshua Kimmich | Abwehr |
Antonio Rüdiger | Abwehr |
Nico Schulz | Abwehr |
Niklas Süle | Abwehr |
Jonathan Tah | Abwehr |
Julian Brandt | Mittelfeld/Angriff |
Julian Draxler | Mittelfeld/Angriff |
Leon Goretzka | Mittelfeld/Angriff |
Ilkay Gündogan | Mittelfeld/Angriff |
Kai Havertz | Mittelfeld/Angriff |
Toni Kroos | Mittelfeld/Angriff |
Thomas Müller | Mittelfeld/Angriff |
Nils Petersen | Mittelfeld/Angriff |
Marco Reus | Mittelfeld/Angriff |
Leroy Sane | Mittelfeld/Angriff |
Timo Werner | Mittelfeld/Angriff |
Die Personalie Mesut Özil
Joachim Löw: "Sein Berater hat mich spätnachmittags am Sonntag angerufen und hat mir gesagt, dass Mesut gleich die dritte Erklärung herausgibt und seinen Rücktritt bekanntgibt. Der Spieler selbst hat mich nicht angerufen. Normalerweise rufen mich die Spieler bei Rücktritten an und es gibt gute Gespräche. Mesut hat sich aber für einen anderen Weg entschieden, mich nicht anzurufen. Ich habe in den letzten zwei Wochen mehrfach versucht, ihn anzurufen, aber ich habe ihn nicht erreicht. Wir haben die Situation mit dem Foto unterschätzt, auch ich habe das unterschätzt. Wir haben alles versucht, auch mit Präsident Steinmeier, um das auszuräumen. Das Thema hat Kraft gekostet. Aber das soll kein Alibi für unser Ausscheiden sein. Es war für mich aus sportlichen Gründen immer klar, dass ich Ilkay und Mesut aus sportlichen Gründen nominiere. Mit seinen Rassismus-Vorwürfen hat Mesut überzogen. Ich kann ganz klar sagen, dass im DFB niemals ein Ansatz von Rassismus vorhanden war. Die Spieler mit Migrationshintergrund haben immer gerne für uns gespielt und daran hat sich nichts geändert."
...auf die Frage nach der persönlichen Enttäuschung: "Mesut Özil war lange mein Spieler bei der Nationalmannschaft. Wir haben zusammen vieles erlebt, manche Rückschläge, aber auch viele Erfolge. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass Özil einer der besten deutschen Spieler war, die es in den letzten 20, 30 Jahren gab. Das wird immer bleiben. Sicherlich wird es die Möglichkeit geben, dass ich irgendwann mit ihm ein persönliches Gespräch gibt. Ich hätte mir gewünscht, dass er sich persönlich bei mir meldet. Im ersten Moment war sicherlich eine Enttäuschung da, dass ich es nicht von ihm persönlich erfahren habe."
Oliver Bierhoff: "Ich habe mit Mesut neun wunderbare Jahre gehabt. Dass dieser Rücktritt so vollzogen wurde, schmerzt uns alle, ihn auch. Es tut uns unglaublich leid, dass diese Situation so entstanden ist. Wir haben die Situation unterschätzt, dass auch politische Reaktionen stattfinden. Ich habe mich mit unglaublich vielen Menschen unterhalten aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Und ich habe es in meinen 30 Jahren Profierfahrung nie erlebt, dass die Meinungen so weiter auseinander gehen. Eines ist klar: Ein Nationalspieler kann keine Zielscheibe für rassistische Beleidungen sein. Und ich weise den Vorwurf des Rassismus im DFB und in der Nationalmannschaft klar zurück."
Die Identität der deutschen Nationalmannschaft
Oliver Bierhoff: "Nationalspieler zu sein, ist etwas ganz Besonderes und eine Auszeichnung. Die Spieler kommen mit großem Stolz zu uns. Sie wollen mit dem Adler auf der Brust spielen und dieses Trikot tragen. Das war auch bei den Spielern so, die zur Weltmeisterschaft gefahren sind. Aber das muss auch gelebt werden. Das werde ich künftig wieder mehr einfordern. Wir haben 2006 einen Verhaltenskodex entwickelt und wir haben es irgendwann gelebt. Aber vielleicht haben wir das irgendwann schleifen lassen. Ich werde wieder verstärkt klare Vorgaben machen, aber wir werden dieses Bild gemeinsam mit den Spielern entwerfen. Wir werden daran arbeiten."
Die Entfremdung zu den Fans der Nationalmannschaft
Oliver Bierhoff: "Wir haben die Unterstützung unserer Fans für zu selbstverständlich genommen. Wir waren nachlässig und haben gedacht, dass das Weiterkommen und die Unterstützung ein Selbstläufer ist. Wir waren uns der Verantwortung zu wenig bewusst, wie viel Fußball für dieses Land bedeutet. Natürlich steht man dann als Verantwortlicher in der Kritik. Das habe ich verstanden und nachvollziehen können. Wer meine Karriere verfolgt hat, weiß, dass sie sehr häufig mit Kritik verbunden war. Dass mich diese Kritik aber nie niedergeschlagen hat, sondern noch mehr angestachelt hat."
...über die Vorwürfe: "Diese Vorwürfe haben mich besonders getroffen. Trotz unserer Bemühungen, die wir im Vorhinein getroffen haben - z.B. ein Fanländerspiel um 18 Uhr mit 5 Euro Eintritt -, sind wir den Bedürfnissen unserer Fans offenbar nicht näher gekommen. Deswegen werden wir in Zukunft daran arbeiten, die Nahbarkeit und Bodenständigkeit und die Nähe zu den Fans wieder herzustellen. Dazu gehört, dass wir häufiger wieder die Türen aufmachen werden, dass wir öffentliche Trainingseinheiten abhalten. Wir werden auch in weiteren Formaten wieder die Nähe zu den Fans aufbauen."
Die Kommerzialisierung, #ZSMMN und Die Mannschaft
Oliver Bierhoff über die Kommerzialisierung: "Die Kommerzialisierung ist nicht nur im Fußball ein Thema. Aber das wurde mir vorgeworfen. Da möchte ich einiges klarstellen. Die Abschlüsse von Sponsoring und die Inhalte liegt nicht in meiner Verantwortung. Meine Verantwortung ist es, für ein sympathisches Auftreten der Nationalmannschaft zu sorgen und das habe ich in den letzten 14 Jahren geschafft. Das ist natürlich auch attraktiv für Sponsoren. Die Einnahmen daraus sind das größte Rückgrat der Einnahmen des DFB. Wann immer wir über wirtschaftliche Dinge diskutieren, müssen wir wissen, dass es weniger Geld für den gesamten Fußball in Deutschland gibt und nicht nur für die Nationalmannschaft. Dennoch müssen wir den Spagat zwischen Kommerz und dem Fokus auf das Wesentliche schaffen. Wir haben 2018 keinerlei mehr Aktivitäten gemacht als 2014, als alles so toll war."
...über #ZSMMN: "Die Kampagne #ZSMMN war ein DFB-Claim. Da gab es keinerlei kommerziellen Hintergrund. Wir wollten zeigen, dass wir auf die Russen zugehen, aber vielleicht war es zu dominant vorgetragen. Dennoch müssen wir schauen, dass wir das Gemisch aus selbstgefälligem Auftreten und der Darstellungsweise dieses Gefühl ermöglicht haben. Das müssen wir uns anheften. Wir müssen mit unseren Partnern gemeinsam die Mannschaftsaktivitäten zu analysieren."
...über Die Mannschaft: "Ich habe den Vorschlag unseres Präsidenten angenommen, den Begriff Die Mannschaft zu analysieren und zu hinterfragen, nachdem ich mit verschiedenen Stakeholdern gesprochen habe."
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