Neun Erkenntnisse aus Deutschland vs. Frankreich: Gut kopiert ist halb gewonnen

Stefan Petri
07. September 201810:36
Joachim Löw vertraute gegen Frankreich auf eine altbewährte Taktik.getty
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Die deutsche Nationalmannschaft hat mit dem Remis gegen Weltmeister Frankreich zum Auftakt der Nations League einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Bundestrainer Joachim Löw setzte auf Altbewährtes - und spiegelte dabei nicht nur die Taktik der Franzosen. Einiges in der Aufstellung überraschte positiv. Aber es gibt auch weiterhin ungelöste Baustellen.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 1: Löw setzt auf alte Lösungen

Im Bestreben, die Sicherheit in der Defensive zu verstärken, holte der Bundestrainer eine Taktik aus der WM-Mottenkiste: Die Viererkette mit vier Innenverteidigern. Die hatte er zuletzt bei der WM 2014 angewendet und Philipp Lahm damals überraschend ins Mittelfeld beordert. Erst Shkodran Mustafis Verletzung spülte Lahm damals zurück in die Viererkette, Benedikt Höwedes verteidigte auch im Finale noch auf der Außenposition.

Die Abkehr von den hoch aufrückenden Außenverteidigern zurück zur defensiven Stabilität war dabei nicht nur dem Fakt geschuldet, dass sich auf links immer noch keine hochkarätige Alternative festgespielt hat. Gleichzeitig wurde ja auch ein Sechser als Absicherung für Toni Kroos und seinen Nebenmann gesucht.

Und dann war da ja noch der Gegner: Mit vier gelernten Innenverteidigern in der Kette war die Equipe Tricolore Weltmeister geworden, hatte Offensivdrang für Sicherheit geopfert. Dabei hatte Didier Deschamps quasi den vorigen Titelträger kopiert - und nun kopierte Löw seinerseits wieder Frankreich. Ob es sich um eine einmalige Lösung handelt, wird sich noch zeigen. Möglich aber auch, dass sich der Trend bis zum nächsten Turnier auch bei anderen Teams durchgesetzt hat.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 2: Kimmich folgt schon wieder auf Lahm

Joshua Kimmich hatte Philipp Lahm nicht nur bei den Bayern als Rechtsverteidiger abgelöst, sondern auch im DFB-Team. Und das mit Erfolg, wie beeindruckende Statistiken in puncto Flanken und Vorlagen beweisen. Kimmich war rechts hinten in den letzten Jahren eine der Konstanten im Team, trotz seiner jungen Jahre.

Nun machte er aus dem Nichts einen Schritt, den Lahm vor einigen Jahren auch gemacht hatte: raus aus der Kette und vor die Abwehr. "Für ihn war es eine wunderbare Nachricht, als ihm der Trainer gesagt hat, er spielt im Mittelfeld", erklärte Thomas Müller. Die Parallele: Beide sagten von sich, sich im Zentrum eigentlich wohler zu fühlen als auf dem Flügel. Der Unterschied: Lahm hatte die Position im Verein auch unter Pep Guardiola bekleidet, bevor Löw ihn versetzte. Andererseits ist Kimmich im Unterschied zu Lahm kein gelernter Außenverteidiger, sondern kommt aus dem Zentrum.

Gegen Frankreich machte Kimmich seine Sache sehr gut, zeigte sich spritzig und zweikampfstark (78 Prozent) und entlastete so Toni Kroos. Müller lobte seine "fast fehlerlose Leistung" und die Ruhe am Ball, die Kimmich ausstrahlte. Ob er sich schon in der Zentrale festgespielt hat, werden die kommenden Monate zeigen. In diesem Fall dürfte allerdings auch die Diskussion aufkommen, die man auch bei Philipp Lahm führte: Ist er angesichts der mangelnden Alternativen auf den Außen nicht als Rechtsverteidiger wertvoller?

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DFB-Team - Erkenntnis Nr. 3: Ohne Außenverteidiger ist das Spiel über Außen schwer

Es ist keine große Überraschung: Wo die Defensive gestärkt wird, wird der Punch in der Offensive geopfert. Mehrfach kombinierte sich die DFB-Elf über die Flügel bis an die Grundlinie, Ginter und Rüdiger gingen trotz ihrer etwas defensiveren Ausrichtung auch mal in Richtung Grundlinie.

Dann aber wurde es ein bisschen schwieriger - und so ertappte man sich dabei, dass man sich ähnlich viel Platz auf dem Flügel bei einem etwas profilierteren Flankengeber wie etwa Joshua Kimmich gewünscht hätte. Gerade über die rechte Seite war immer wieder Platz da, weil die Abstimmung zwischen Lucas Hernandez und Blaise Matuidi defensiv zu wünschen übrig ließ. Aber von den zehn Hereingaben, die Ginter und Rüdiger zusammengenommen spielten, landete nur eine einzige beim Mitspieler: Ginter fand Reus nach schnellem Umschaltspiel, Areola verhinderte im Tor den Rückstand.

Das soll nicht heißen, dass die Außen in der Offensive ein ausnehmend schlechtes Spiel machten. Ginter hatte seine Momente, und auch beim etwas hektisch auftretenden Rüdiger wurden die Flanken von den Franzosen zumindest nicht verhindert. Aber wenn die beiden im Offensivspiel effektiv auftreten sollen, braucht es genau einstudierte Abläufe und Laufwege. Ein kleiner Trost: Die kann es in so kurzer Zeit noch gar nicht geben - Hoffnung auf Besserung besteht also.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 4: Timo Werner und der Flügel - das passt!

Bei der WM blieb der Angreifer ohne Treffer, hatte gegen Schweden aber trotzdem seine Momente und bereitete beide Treffer vor. Das Besondere: Zu diesem Zeitpunkt war Werner aus dem Zentrum auf den Flügel einer offensiven Dreierreihe gewechselt - und machte es seinen Gegenspielern durch seine Schnelligkeit und den guten Antritt enorm schwer.

"Ich funktioniere auch im Ballbesitzspiel ganz gut", hatte der 22-Jährige im Vorfeld des Spiels im SPOX-Interview betont. Aber selbst dort ist er womöglich mit etwas mehr Platz wertvoller. Gegen die Franzosen spielte Werner seine Stärken immer wieder aus, stieß zur Grundlinie vor und passte in die Mitte, oder ging ins Dribbling. Die gute Leistung gegen Schweden war offensichtlich keine Eintagsfliege, auch wenn es gegen den Weltmeister zu keiner Torbeteiligung kam.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 5: Es fehlt immer noch der Knipser

Mit Werner über die Außen brauchte es einen neuen Mann fürs Zentrum. Dort bot Löw Marco Reus auf, aber der blieb bis auf die erwähnte Schusschance insgesamt blass. Natürlich hätte fast jeder Stürmer der Welt gegen die vielleicht beste Innenverteidigung überhaupt einen schweren Stand, aber Reus ist wie Müller - und nun auch Werner? - eher jemand, der um den Strafraum herum agiert. Platz gab es aus dem Spiel selten, vertikale Pässe im Zentrum blieben gegen tief stehende Franzosen auch aus.

Und so stellt sich wieder die Frage, wer denn vorn die Buden machen soll. Müller ist die Torgefahr im DFB-Dress zuletzt etwas abhanden gekommen, Werner mutiert zum Vorbereiter, Reus ist eine Mischung aus Zehner und falscher Neun. Der Knipser fehlt, und einen wirklichen Brecher hat Löw nach den Rücktritten von Mario Gomez und Sandro Wagner auch nicht mehr zur Verfügung. Das könnte vor allem dann teuer werden, wenn man gegen kleinere Gegner unbedingt gewinnen muss, etwa in der EM-Qualifikation.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 6: Position für Goretzka weiter gesucht

Leon Goretzka hat bei seinem neuen Verein Bayern München einen gelungenen Saisonstart hingelegt und in der Nationalmannschaft die Rückennummer sechs von Sami Khedira geerbt. Dessen Durchschlagskraft zu seinen besten Zeiten kann Goretzka aber noch nicht imitieren.

Vielmehr scheint Löw immer noch auf der Suche nach dem richtigen Platz für den talentierten Mittelfeldmann zu suchen. In den letzten Monaten wurde Goretzka mehrfach auf dem rechten Flügel als eine Art Müller-Ersatz gebracht, hing dort aber ohne viel Bindung zum Spiel in der Luft. Gegen Frankreich spielte er als zweite Acht neben Toni Kroos, interpretierte diese Rolle aber sehr offensiv und schaffte Überzahl auf rechts.

Nur: Gute Aktionen waren auch diesmal Mangelware. Goretzka machte in der zweiten Halbzeit Platz für Gündogan und sprach anschließend etwas gequält davon, sich "geopfert" zu haben, "zwischen den Reihen zu stehen und Platz für die anderen zu schaffen. Das ist nicht ganz einfach, weil man dann relativ wenig am Spiel teilnimmt." Goretzka beendete seinen Arbeitstag mit 25 Ballaktionen.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 7: Umschaltspiel muss verinnerlicht werden

Mit den eigenen Waffen wollte man die Franzosen schlagen. Aber an das geforderte, schnelle Umschaltspiel muss sich der eine oder andere Akteur im DFB-Dress noch gewöhnen: Zu selten wurde das Spiel schnell gemacht, auch nach Ballgewinn, lieber wurde abgedreht oder der Ball noch einmal quer oder nach hinten gespielt.

Das lag sicherlich auch daran, dass man sich geschworen hatte, unnötige Ballverluste zu verhindern. Der Respekt vor dem Gegner war groß. Aber wenn es schnell nach vorn gehen soll, dann müssen auch die passenden Bälle her, um das Spiel schnell zu machen. Und Offensivspieler, die die Wege nach hinten gehen, aber wenig später wieder in den freien Raum starten. So kam man im gesamten Spiel auf vielleicht zwei schnelle Angriffe aus dem Umschaltspiel. Beide sorgten für Gefahr und kreierten die Chancen von Reus und Müller.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 8: Team kann auch mit Ballbesitz Konter verhindern

Die vorsichtige, aber auch enorm konzentrierte Leistung der DFB-Elf sorgte umgekehrt dafür, dass Frankreich über den gesamten Spielverlauf kaum zu aussichtsreichen Kontern kam. Die Absicherung stimmte, Reus klärte auf dem linken Flügel zum Beispiel nach einer Ecke einmal gegen Griezmann. Deutschland stand dicht, die Offensive arbeitete nach hinten mit.

Dabei wurde der eigene angestrebte Ballbesitz allerdings nicht komplett geopfert: Nach 90 Minuten stand der entthronte Weltmeister bei über 60 Prozent Ballbesitz. Das zeigt: Wenn er richtig umgesetzt wird, muss man auch Ballbesitzfußball nicht automatisch dazu führen, dass man hinten offen steht.

DFB-Team - Erkenntnis Nr. 9: Die Zuschauer stehen weiterhin hinter dem Team

Nach der verpatzten WM war eine Menge Kritik auf die Spieler, aber auch auf den Verband und die Selbstdarstellung der Mannschaft im allgemeinen niedergeprasselt. Löw, Bierhoff und Co. gelobten Besserung, und auch wenn in den Tagen in München noch nicht alles von der angestrebten Fannähe umgesetzt werden konnte, sind die Fans gewillt, den Neustart zu unterstützen.

Zwar war die Allianz Arena nicht unbedingt ein Tollhaus, aber den Fans war die Nervosität anzumerken - im positiven Sinne. Sie wollten ein gutes Ergebnis sehen und unterstützten die Mannschaft nach Kräften dabei, sodass sich mehrere Spieler anschließend lobend äußerten.

Das zeigte sich auch am Fall Ilkay Gündogan. Die Pfiffe gegen den Mittelfeldmann wurden schnell von aufmunterndem Applaus weggespült, der sichtlich erleichterte Gündogan bedankte sich seinerseits mit Applaus. Es scheint, als könnte eine weitere Baustelle der letzten Monate so langsam aber sicher geschlossen werden.