Jogi Löw verabschiedet sich nach der EM ungeachtet aller Kritik als einer der erfolgreichsten Bundestrainer der DFB-Geschichte. Das bringt fast nur Vorteile für alle Seiten. Spannend wird indes die Nachfolgefrage. Ein Kommentar.
Nun hat er es doch getan. Nach 17 Jahren beim DFB will der "ewige" Joachim Löw tatsächlich sein Amt zur Verfügung stellen. Besser spät als nie.
Der Schritt des 61-Jährigen war überfällig, doch er hat gerade noch rechtzeitig den Zeitpunkt für einen selbstbestimmten Abschied gefunden. Zumal er in der EM-Endrunde im Sommer noch ein großes Ziel vor Augen hat, ein sofortiger Rücktritt so kurz vor dem Turnier hätte dagegen nur für Chaos gesorgt.
Die Entscheidung erspart ihm anhaltend nervende Nachfragen über seine Zukunft in den kommenden Monaten und eine negative Grundstimmung vor der Vorrunde im eigenen Land.
Vor allem aber muss Löw nun keine Rücksicht mehr auf die aktuelle öffentliche Meinung oder die Perspektiven in den nächsten Jahren nehmen, sondern kann als Projektarbeiter bis zur EM machen, was er für richtig hält - und sogar seinen alten Sturkopf vergessen, zum Beispiel für den kurzfristigen Erfolg Thomas Müller und eventuell auch Mats Hummels und Jerome Boateng zurückholen.
Jogi Löw: Image hat nach WM-Debakel massiv gelitten
Darüber hinaus hat Löw offensichtlich gerade in den vergangenen Wochen im Freiburger Home Office erkannt, dass ihm trotz Vertrags bis 2022 im siebten Lebensjahrzehnt die Spannkraft und Motivation fehlen, eine weitere Verjüngung der Nationalmannschaft und die beiden Mammut-Aufgaben WM in Katar und Heim-EM 2024 in Angriff zu nehmen.
Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie war er ja nicht unbedingt Stammgast in allen Bundesligastadien gewesen und selbst seriöse Medien haben in den vergangenen Jahren immer öfter die Frage gestellt, was der Bundestrainer in der monatelangen Winter-Länderspielpause eigentlich beruflich mache.
Zudem hat sein Image natürlich massiv unter dem WM-Debakel 2018 in Russland und der 0:6-Blamage vergangenen November in Spanien gelitten, als DFB-Präsident Fritz Keller seinen badischen Landsmann vergeblich zum jetzt doch noch erfolgten Rückzug nach der EM drängte.
Trotz der jüngsten Misserfolge wird der seit 2006 amtierende Löw aber als einer der erfolgreichsten Bundestrainer in die lange Geschichte des Verbandes eingehen. Mit den meisten Länderspielen sowie dem trotz der letzten Niederlagen immer noch drittbesten Punkteschnitt und vor allem als einer von nur vier deutschen Weltmeister-Coaches.
Jogi Löw: Triumph von Rio sein Meisterstück
Der Triumph von Rio 2014 war Löws Meisterstück, weil er Hansi Flick als Assistenten hatte und weil er konsequent pragmatisch wie nie zuvor und auch danach nicht mehr seinen Job gemacht hat. Obwohl Manuel Neuer, Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger kurz vor Turnierstart verletzt waren, obwohl kein echter Linksverteidiger im Team stand und obwohl in Miro Klose ein einziger, 36 Jahre alter Stürmer dabei war. Trotzdem war die DFB-Auswahl die beste Mannschaft des Turniers - und zwar wegen und nicht trotz Jogi Löw.
Den häufig geäußerten Vorwurf, Löw habe insgesamt aber zu wenig mit der "goldenen Generation" gewonnen, kann man höchstens für die Europameisterschaften gelten lassen, bei denen das DFB-Team und der Bundestrainer sowohl 2012 als auch 2016 unnötig und teilweise fahrlässig die Titel verschenkten. Zum Abschluss hat er nun die letzte Chance, diesen fehlenden Pokal doch noch zu holen. Schwierig, aber nicht unmöglich und in jedem Fall eine spannende finale Herausforderung.
Klopp, Flick, Rangnick - wer wird Löw-Nachfolger?
Gespannt sein darf man, wer dann ab Sommer die nach wie vor wichtigste deutsche Fußball-Mannschaft trainieren wird. In Flick, Jürgen Klopp und Ralf Rangnick werden gleich drei Toptrainer als Kandidaten gehandelt.
Aber sowohl der FC Liverpool als auch der FC Bayern wollen ihre Erfolgscoaches nicht vorzeitig aus deren laufenden Verträgen abgeben. Daran kann sich in den kommenden Monaten allerdings noch einiges ändern.
Wenn Klopps Negativserie anhält oder sich Flicks Meinungsverschiedenheiten mit FCB-Sportvorstand Hasan Salihamidzic zu einem echten Zerwürfnis entwickeln, könnte der Weg zum DFB doch noch frei werden - zumal beide mit Meisterschaft und Champions-League-Sieg schon jetzt alles bei ihren aktuellen Klubs erreicht haben.
Sofort zur Verfügung stünde hingegen Rangnick, der dem Vernehmen nach auch großes Interesse an einer übergeordneten Funktion als Bundestrainer und sportlicher Leiter der Akademie haben soll. Allerdings erscheint eine Zusammenarbeit mit Oliver Bierhoff höchst unwahrscheinlich, und der Direktor Nationalmannschaften und Akademie will im Gegensatz zu seinem Weggefährten Löw beim DFB bleiben.
Viel Arbeit, aber auch viele Chancen für den Neuen
Wer auch immer der neue Mann werden wird: Über mangelnde Arbeit wird er sich nicht beklagen können. Das Image des Verbandes ist nach zahlreichen Pleiten und Pannen am Boden, im Nachwuchsfußball gibt es gravierende Defizite und die Gewinnermentalität der Nationalteams von den Junioren aufwärts ist in diesem Zuge offenbar auch verloren gegangen.
Und trotzdem sind die Voraussetzungen für den nächsten Bundestrainer nicht die schlechtesten: Die massiven Einschränkungen des gesamten Fußballs durch die Corona-Pandemie dürften sich dem Ende zuneigen, der Kader der DFB-Auswahl hat nach wie vor enormes Potenzial und die nächsten Herausforderungen mit der WM in eineinhalb Jahren und der Heim-EM in drei Jahren stehen praktisch vor der Tür.
Gelingt Löws Abschluss im Sommer, würde der neue Bundestrainer mit Rückenwind starten. Scheitert die Mannschaft hingegen, wäre es umso mehr Zeit für einen Neustart mit einem unverbrauchten Bundestrainer. So oder so: Es ist in jedem Fall der richtige Zeitpunkt für Löw zu gehen.