Die Einlaufshirts zum Auftakt der Qualifikation für das zu Recht scharf kritisierte WM-Turnier 2022 in Katar mit "Human Rights" zu bemalen, war eine gute Aktion der deutschen Nationalmannschaft. Aber daran müssen sich die Spieler und der Verband nun messen lassen. Da gehört auch dazu, dass Gesichter der Mannschaft wie Joshua Kimmich nicht mehr in Werbespots für eine katarische Fluggesellschaft auftreten. Auch wegen solcher Vorgeschichten haftete dem Zeichen am Donnerstagabend eine gewisse Doppelmoral an. Ein Kommentar.
Die Sache mit dem "Zeichen setzen" im Fußball hat so seine Tücken. Politik habe im Stadion nichts zu suchen, sagen die einen. Der Fußball müsse seine große Reichweite nutzen, um auf Missstände oder gesellschaftlich relevante Themen hinweisen, sagen die anderen. Und das mit Recht.
Nicht immer gelingt das mit dem "Zeichen setzen" aber so gut, wie beispielsweise am 20. Februar, als die Mannschaft von Eintracht Frankfurt beim Aufwärmen T-Shirts mit den Konterfeis der Opfer des rassistischen Attentats von Hanau trugen und Amin Younes eines dieser Shirts bei einem Torjubel hochhielt. Warum die Aktion so gut ankam? Ganz einfach: Sie war von vorne bis hinten glaubwürdig und stringent; die Eintracht äußert sich stets zu gesellschaftlichen Themen.
Nun war die T-Shirt-Aktion der deutschen Nationalmannschaft sicherlich nicht das Gegenteil von glaubwürdig oder stringent. Es war ein gutes Zeichen, dass sich die Spieler am Donnerstagabend pünktlich zum Auftakt in die Qualifikation zum zu Recht scharf kritisierten WM-Turnier in Katar positionierten. Für Menschenrechte und gegen die im Emirat betriebene fatale Ausbeutung von Gastarbeitern oder die Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen.
Und wem, wenn nicht Leon Goretzka, der wegen seiner stets klaren Aussagen zum Thema Rassismus und seiner aktiven Auseinandersetzung mit Themen wie dem Holocaust als Vorbild für mündige Fußballprofis gilt, würde man das Statement, das er im Namen der Mannschaft nach dem 3:0-Sieg über Island gab, abkaufen? "Wir möchten der Gesellschaft klarmachen, dass wir das nicht ignorieren, sondern klar sagen, was für Bedingungen da herrschen müssen", erklärte er.
DFB-Stars zwischen T-Shirt und Qatar-Airways-Werbespot
So weit, so gut, so glaubwürdig. Dennoch haftete der Aktion eine gewisse Doppelmoral an. Fünf der elf Spieler in der Startelf des Qualifikationsspiels stehen beim FC Bayern München unter Vertrag. Bei jenem Verein, der während der Winterzeit regelmäßig zum Trainingslager im Wüstenstaat mit der bedenklichen Menschenrechtslage gastiert und sich die Partnerschaft mit der staatlichen Fluggesellschaft Katars fürstlich bezahlen lässt.
Nun sind Spieler natürlich nicht für das Sponsoring verantwortlich und haben dort auch sicherlich kein Mitspracherecht. Aber dass in Leroy Sane und Joshua Kimmich zwei Spieler, die noch vor einem Monat in einem scheinheiligen Werbespot jener katarischen Fluggesellschaft nachdenklich posierten und "Ain't no sunshine" zum Besten gaben, sich nun T-Shirts überstreiften, um ein Zeichen gegen die verheerende Menschenrechtslage im WM-Gatsgeberland zu setzen, zeugt nicht unbedingt von einer stringenten Haltung.
Unter solchen Umständen sind Zweifel an der Nachhaltigkeit solcher Botschaften angebracht. Die T-Shirt-Aktion alleine genügt nicht. Es braucht weitere Konsequenzen - von Spieler-, aber auch Verbandsseite. Das bedeutet beispielsweise für Kimmich, Sane und Co., dass sie nicht mehr in Werbespots für Qatar Airways auftreten.
Und für den DFB, mit dem die Aktion nach Angaben von Goretzka "gemeinsam" entstanden sei, bedeutet es, sich ab sofort nicht nur intern (wie behauptet) "intensiv" mit der Menschenrechtslage im WM-Gastgeberland auseinanderzusetzen, sondern dies auch öffentlich zu tun.
Beispielsweise Fragen nach einem möglichen WM-Boykott, den eine große Mehrheit laut einer vom Spiegel durchgeführten bevölkerungsrepräsentativen Civey-Umfrage befürwortet, nicht einfach so als "nicht sinnvoll" (DFB-Präsident Fritz Keller) abzutun, sondern an der öffentlichen Diskussion zumindest teilzunehmen.
WM-Boykott in Katar: Norwegen als Vorbild
Das Thema hat spätestens nach den Enthüllungen des Guardian über 6.500 Todesopfer im Verlauf der Bauarbeiten seit 2010 eine neue Dimension der Brisanz bekommen. Die FIFA erklärte, dass wegen der "sehr strengen Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen vor Ort" die Häufigkeit "von Unfällen auf Baustellen der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft im Vergleich zu anderen großen Bauprojekten auf der ganzen Welt gering" gewesen sei. Die katarischen Behörden sprechen von drei unmittelbar mit der Arbeit zusammenhängenden Todesfällen auf den WM-Baustellen seit Baubeginn 2014 und von 35 Todesfällen, die nicht unmittelbar mit der Arbeit zusammenhingen.
Als Vorbild für die transparente und aktive Auseinandersetzung mit dem Thema dient der norwegische Fußballverband. Dieser hat nach einer Reihe von Boykott-Aufrufen vieler Erstligaklubs im Falle einer WM-Qualifikation am 20. Juni eine Sonderversammlung zu dieser Frage einberufen. Auch deshalb bot die T-Shirt-Botschaft, die Erling Haaland und Co. bereits am Mittwoch beim Spiel der norwegischen Auswahl gegen Gibraltar ins Emirat sandten ("Menschenrechte - auf und neben dem Platz") mehr Stringenz und Glaubwürdigkeit als jene des DFB-Teams.