Ein Haudegen, ein Youngster, die große Überraschung bei einem Aufsteiger und noch ein paar mehr: Gilt bei der deutschen Nationalmannschaft das Leistungsprinzip, dann hätten diese Spieler sehr gute Chancen auf die WM. Hier kommt Hansi Flicks Schattenkabinett.
Am Donnerstag (12 Uhr im Liveticker) wird Hansi Flick den Kader für die Weltmeisterschaft in Katar bekannt geben. 26 Spieler darf der Bundestrainer mit zum Turnier nehmen und noch immer scheinen einige Planstellen frei.
Bleibt Flick bei seinem postulierten Leistungsprinzip, dann könnte sich ein halbes Dutzend Spieler berechtigte Hoffnungen machen: Alte Haudegen, Senkrechtstarter, große Überraschungen sind darunter - mit allerdings auch völlig unterschiedlichen Chancen, am Ende tatsächlich Teil der deutschen Reisegruppe zu sein.
Sebastian Rode (Eintracht Frankfurt)
Die beste Offensivreihe ist nur so gut wie ihre defensive Absicherung dahinter. Den Beweis dafür tritt Sebastian Rode in den vergangenen Wochen bei Eintracht Frankfurt an. Der Routinier scheint so wertvoll wie nie für die Eintracht, ist hinter den Angreifern Jesper Lindström, Randal Kolo Muani und Mario Götze sowie seinem deutlich offensiver ausgerichteten Partner auf der Doppel-Sechs Daichi Kamada so etwas wie eine Ein-Mann-Armee bei der Sicherung der vorletzten Linie der Frankfurter.
Rode ist wie der ganz persönliche Verteidigungsminister des Quartetts, räumt auf, was im Gegenpressing so durchrutscht, hilft im tiefen Aufbau, treibt sich auch mal im Halbraum herum oder in kurzen Sequenzen auf der Zehn und rückt mit der zweiten Welle bei Angriffen auch bis tief in den gegnerischen Strafraum vor. Rode musste sich immer wieder mit teilweise schweren Verletzungen herumplagen, schien vor zwei Jahren schon wie aus der Zeit gefallen.
In der abgelaufenen Saison führte der 32-Jährige seine Mannschaft als Kapitän dann zum Europa-League-Titel und steigert nun die sehr guten Leistungen noch einmal. Auf seine fortgeschrittenen Tage wird Rode sogar noch richtig torgefährlich, war in den Champions-League-Spiele zuletzt - auf Grund der Tabellenkonstellation der Eintracht allesamt Endspiele - der perfekte Anführer und für die Mannschaft mindestens so wichtig wie die mehr beachteten Offensivspieler.
Niclas Füllkrug (Werder Bremen)
Die Zahlen sind beeindruckend genug, dass Niclas Füllkrug aber nach mehr als einem Drittel der Saison bei zehn Saisontreffern (und zwölf Scorerpunkten) liegt und ein echter Bewerber um die Torjägerkanone in der ersten Saison nach Robert Lewandowski und Erling Haaland ist, konnten auch die kühnsten Optimisten nicht erwarten.
Seit Ole Werner in Bremen übernommen hat, läuft es für den davor von kleinen und großen Verletzungen gebeutelten Füllkrug. Der 29-Jährige ist so gefährlich und wertvoll wie nie und der Spieler für die entscheidenden Tore beim Aufsteiger.
Füllkrugs Qualitäten im gegnerischen Strafraum bei hohen und flachen Hereingaben und wenn der Torabschluss mit dem ersten Kontakt gefragt ist, könnten gegen die vermutlich eher tiefstehenden Gegner der deutschen Mannschaft in bestimmten Spielsituationen gefragt sein. Einen Angreifer mit der körperlichen Präsenz Füllkrugs, der dem Gegner in direkten Duellen auch selbst wehtun kann, hat Hansi Flick ansonsten nicht im Portfolio.
Robin Knoche (Union Berlin)
Auch ein 0:5 in Leverkusen kann die Leistung von Robin Knoche im bisherigen Saisonverlauf nicht konterkarieren. Das Debakel dürfte ein Ausrutscher der Berliner bleiben und wenn man Unions Fähigkeit zur Reaktion nach Tiefschlägen kennt, schon bald wieder vergessen sein. Man darf die Partie nicht ausklammern, aber sie darf eben auch nicht Knoches bisher famose Saison beschädigen oder in Frage stellen.
Was der Innenverteidiger seit Monaten bei und für Union zeigt, gehört zur internationalen Klasse. Als einziger Innenverteidiger ist Knoche bei Trainer Urs Fischer absolut gesetzt, besticht durch seine unglaubliche Präsenz im eigenen Strafraum, ist in der Luft fast unüberwindbar und der große Ruhepol im Spiel gegen den Ball der Eisernen.
Knoche macht so gut wie keine Fehler, bleibt auch unter großem Druck souverän und gelassen und ist mit dem Ball am Fuß ein Faktor für Fischers Mannschaft. Gerne wird Knoches Wirken nur auf die Defensive beschränkt, tatsächlich ist der mittlerweile 30-Jährige aber auch ein exzellenter Aufbauspieler und seit ein paar Wochen auch für die Elfmeter bei Union verantwortlich - und dabei fast schon selbstverständlich auch absolut verlässlich.
DFB-Team - Vorbereitung auf die WM in Katar: Zeitplan
Datum | Termin |
21. Oktober | Vorauswahl des 50 Mann großen Kaders |
10. November | Bekanntgabe des endgültigen 26-Mann DFB-Kaders |
14.-18. November | Trainingslager in Oman |
16. November | Testspiel gegen Oman |
18. November | Ankunft im WM-Quartier in Katar |
23. November | WM-Auftakt gegen Japan in Doha |
Youssoufa Moukoko (Borussia Dortmund)
Vor ein paar Wochen wäre eine Nominierung von Moukoko noch eine große Überraschung gewesen, mittlerweile aber würde Flick das in der Nationalmannschaft seit Jahrzehnten als Credo gepflegte Leistungsprinzip außer Kraft setzen, ließe er den 17-Jährigen zu Hause.
Moukoko war in zwölf Bundesligaspielen an zehn Treffern direkt beteiligt, mit dem Doppelpack am Wochenende gegen Bochum schraubte er sein Torekonto auf nun schon sechs Treffer. Noch beeindruckender erscheinen die Zahlen, wenn man Moukokos tatsächliche Einsatzzeit gegenrechnet. Nachdem der Angreifer zu Beginn der Saison lediglich Ergänzungsspieler war und "nur" zu einigen Kurzeinsätzen kam, hat er sich mittlerweile klar an Anthony Modeste vorbeigeschoben.
586 Spielminuten hat Moukoko in der Liga gesammelt, im Schnitt ist er also alle knapp 59 Minuten an einem Dortmunder Tor beteiligt. Entweder als Torschütze oder als Vorbereiter. Letzte Woche habe er schon mit Flick telefoniert, verriet Moukoko nach der Partie gegen Bochum. Der Bundestrainer habe ihm gesagt, "dass ich einfach so weitermachen soll und wer Leistung bringt, wird am Ende auch dabei sein."
Moukoko ist topfit, voll im Rhythmus, unbekümmert und im Torabschluss nahezu unerreicht. Gilt das Leistungsprinzip auch noch im Spätherbst 2022, führt an Moukoko kaum noch ein Weg vorbei.
Mitchell Weiser (Werder Bremen)
"Mitch macht manchmal Sachen, die auch mich überraschen. Ich hätte jedenfalls nicht mehr gedacht, dass der Ball noch so gespielt wird." So beschrieb Niclas Füllkrug die Sekunden vor seinem Tor zum 1:0 gegen Schalke. Mitchell Weiser hatte den Treffer vorbereitet, ebenso wie später dann auch das zweite Bremer Tor durch Marvin Ducksch. Beide Male servierte Weiser herausragend, einmal per Hacke, dann mit einem Tiefenpass mit seinem schwächeren linken Fuß.
In der abgelaufenen Saison und in der Vorbereitung auf die aktuelle Spielzeit galt Weiser in Bremen als kleiner Problemfall, wankelmütig und im eher negativen Sinn unberechenbar in seinen Leistungen. Eigentlich war Weiser schon wieder zurück in Leverkusen, blieb dann aber doch noch in Bremen und ist bei Werder so etwas wie die Entdeckung der Saison.
Nur Kolo Muani und Alassane Plea haben in der Liga mehr Tore vorbereitet als Weiser, der schon auf sechs Assists kommt. "Er ist ein Schlüsselspieler bei uns", sagt Werders Trainer Ole Werner. Das Problem: In der Nationalmannschaft gibt es Weisers Position als rechter Schienenspieler vor der Dreierkette nicht, Flick plant klar mit der Viererkette in der letzten Linie.
Mergim Berisha (FC Augsburg)
Vor ein paar Wochen wurde noch geflissentlich darüber gelächelt, als Augsburgs Sportchef Stefan Reuter seinen Spieler förmlich in die Nationalmannschaft und zur WM reden wollte. "Sollte es noch Überraschungen im WM-Kader geben, ist unser Angreifer Mergim Berisha einen Gedanken wert", schrieb Reuter Ende September in einer kicker-Kolumne. Der Spieler sei "extrem torgefährlich. Mergim ist fußballerisch richtig gut und hat vom ersten Tag an gezeigt, dass er sich gegen Top-Innenverteidiger behaupten kann."
Als U21-Europameister sei es auch fast schon zwangsläufig, dass ein Spieler in den Fokus der A-Nationalmannschaft rücke, so Reuters Vermutung. Was damals noch wie ein verwegener Plan erschien, hat sich in den vergangenen Wochen dann doch als ganz nachvollziehbare Alternative erwiesen.
Berisha jedenfalls wartet mit ein paar durchaus beeindruckenden Zahlen auf, hat jetzt in acht Bundesligaspielen sieben Scorerpunkte gesammelt. Der 25-Jährige kann als Mittelstürmer oder über die Halbräume angreifen und fühlt sich auch auf der Zehn wohl. Was in diesem Fall Fluch und Segen zugleich ist: Die Variabilität in seinem Spiel ist zwar ein Vorteil - die Alternativen mit einem vergleichbaren Spielerprofil in Kai Havertz, Serge Gnabry oder auch Thomas Müller aber auch enorm.