Nach 105 kräftezehrenden Minuten brauchte Rudi Völler für die Verlängerung eine kleine Stärkung. "Es gibt ja noch nicht mal 'nen Kaffee hier", rief der DFB-Sportchef mit gespielter Empörung unter dem Gelächter der Abgeordneten - und stürzte sich gut gelaunt in die 17-minütige Nachspielzeit.
Sympathieträger Völler war bei der Anhörung mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages der klare Punktsieger. "Ganz Deutschland steht hinter Ihnen!", rief ihm der Vorsitzende Frank Ullrich zum Ende der kritisch-kontroversen, aber stets freundlichen Sitzung zu.
"Es war interessant, das mal zu erleben", sagte Völler nach seiner Politik-Premiere, "es war ein gutes Niveau, gute Fragen - und vor allem von Bernd Neuendorf gute Antworten." Neben dem fehlenden Kaffee zeigte sich der Ex-Profi und langjährige Funktionär vor allem über die festgelegten Redezeiten irritiert: "Bei uns im Fußball - da quatscht man so lange, wie man Lust hat."
Vor seinem ungewöhnlichen Gastspiel stand Völler mit Neuendorf im Paul-Löbe-Haus vergnügt für Selfies bereit, doch in Saal 4.300 war dann erst mal Schluss mit lustig. Die Abgeordneten wollten Antworten hören auf ihre bohrenden Fragen zum WM-Desaster, zur leidigen Binden-Debatte - und ganz genau wissen, wie das ungleiche DFB-Duo die deutsche Nationalmannschaft zurück an die Weltspitze führen möchte.
Völler, dunkelblaues Sakko zum weißem Hemd und einen geordneten Zettelstapel vor sich, präsentierte ein bekanntes Rezept aus München als goldene Lösung. "Die Bayern haben diesen wunderbaren Ausdruck", sagte er über das berühmte "Mia san mia" des Rekordmeisters und forderte: "Wir müssen das Wir-Gefühl rüberbringen, dass wir wieder eine Einheit bilden und die Menschen begeistern."
Völler zog die aus seinen bisherigen Erklärungen seit Amtsantritt am 1. Februar bekannten Register. "Es ist meine feste Überzeugung", beruhigte er die Politik mit Blick auf die Heim-EM 2024, "dass wir die nächsten vier bis sechs Jahre eine gute Mannschaft mit wunderbaren Kickern haben." Völler ist sicher: "Wir können mit allen mithalten", sofern Gier und Wille stimmten. Erst längerfristig zögen mangels Nachwuchs "dunkle Wolken" auf.
Neuendorf, schwarzes Sakko zum weißen Hemd, vier Zettelstapel und ein Notizbuch vor sich, hatte einen deutlich schwereren Stand als "Rudi Nationale". Die FIFA und "One Love", die Wiederwahl von Weltverbandschef Gianni Infantino, die Menschenrechte und der Fonds für die Arbeitsmigranten in Katar - geduldig erläuterte er zu diesen kritischen Themen die bekannten DFB-Positionen.
Das Scheitern bei der WM, betonte er abermals, sei nicht auf die Debatte um die Kapitänsbinde zurückzuführen gewesen. Auch habe der DFB die Mannschaft nicht zur "Mund zu"-Geste vor dem Japan-Spiel (1:2) gedrängt, sondern die Stars hätten "aus Verärgerung" über die FIFA gehandelt.
Dass Innenministerin Nancy Faeser auf der Tribüne die Binde getragen habe, sei "allein" die Entscheidung der SPD-Politikerin gewesen, ergänzte Neuendorf. Als der AfD-Politiker Jörn König die "One Love"-Binde indirekt mit einer Hakenkreuzbinde verglich, schritt Völler ein. Damit, maßregelte er König, habe er "ein bisschen zu dick aufgetragen". Danach wiederholte Völler seinen Standpunkt, Faeser hätte die Aktion lassen sollen.
Die Nachwuchsprobleme, erläuterte Völler, werde ein weiterer neuer Sportdirektor lösen müssen. "Das geht nicht von heute auf morgen." Mit Neuendorf wolle er sich "in den nächsten Wochen" mit Kandidaten treffen, "wir sind dran".
Die akuten Probleme werde Bundestrainer Hansi Flick bis zur EM in knapp 16 Monaten in den Griff bekommen, versicherte Völler auch den Menschen auf der prall gefüllten Zuschauertribüne. Dann werde es gelingen, "dass wir wieder Deutschlands liebstes Kind werden".