Dass Joachim Löw auch ein guter Schauspieler sein könnte, zeigte der Bundestrainer auf der Pressekonferenz im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Fast die kompletten 90 Minuten davor war Löw am Spielfeldrand gestanden, hatte gefuchtelt und geflucht und seine Mannschaft einfach nicht verstanden.
Dann saß er aber auf dem Podium und zeigte sich gelassen und souverän und war sichtlich bemüht, das überaus glückliche 2:1 im EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich als wichtigen Arbeitssieg zu deklarieren. Seine Wut und die Emotionen hatte er offenbar auf der Trainerbank zurückgelassen.
Ohne Leichtigkeit und Spielwitz
Die deutsche Nationalmannschaft spielte eins der schlechtesten Pflichtspiele seit Jahren. Von der mittlerweile gewohnten Dominanz war kaum etwas zu spüren, es fehlten Leichtigkeit und Witz und die Selbstverständlichkeit, mit der Löws Mannschaft einen Gegner sonst beherrschen kann.
Man kann sich kaum daran erinnern, wann die deutsche Mannschaft einem Gegner so oft den Ball im Mittelfeld quasi schenkte. Es waren nicht die schwierigen Risikopässe, die Deutschland immer wieder in Bedrängnis brachten. Sondern die ganz einfachen Dinge.Jeder aus der Viererkette und dem defensiven Mittelfeld durfte mal, einige sogar doppelt und dreifach. Normalerweise passieren solche Fehler nicht oft in einem Spiel, weshalb sie noch mehr auffallen als bedrohlicher Gefahrenherd. In Wien wurde der Fehlpass gewissermaßen kultiviert.
"Wir hatten viele Abspielfehler, weil wir unseriös gepasst haben", formulierte Bundestrainer Joachim Löw seinen Unmut darüber fast im Wiener Duktus. Es verrutschte aber nicht nur der Adressat ein ums andere Mal. Selbst wenn das Zuspiel sicher seinen Weg zum gewünschten Abnehmer fand, war es drucklos abgesendet worden, es fehlten Schärfe und Geschwindigkeit.
Gegner zum Kontern eingeladen
"Wir haben es nicht geschafft, schnell durchs Mittelfeld durchzuspielen und mit Tempo nach vorne, um dann den Abschluss zu suchen", so Löw weiter. So blieb das deutsche Spiel fast über die gesamten 90 Minuten in einem selbst verursachten Stau an Unzulänglichkeiten stecken und bot den Österreichern eine Vielzahl sehr konkreter Kontermöglichkeiten.
"Der eine oder andere Spieler hat nicht den Rückwärtsgang eingelegt in machen Situationen, so wie es eigentlich hätte sein müssen", schimpfte Löw. "Deswegen gab es immer wieder Überzahlsituationen. In der Organisation hatten wir nicht immer äußerste Disziplin."
Angeschlagene und müde Spieler
Die DFB-Auswahl wog im immerselben Trott und es vermochte keiner der vielen erfahrenen Spieler die Richtung zu ändern und der Partie einen neuen Rhythmus zu geben. Im letzten Oktober, beim Qualifikationsspiel gegen die Türkei, fehlte Bastian Schweinsteiger verletzt. Toni Kroos ersetzte ihn damals ganz vorzüglich.
Aber dieses Mal waren die Rahmenbedingungen andere. Es fehlten noch weitere etablierte Kräfte, dazu waren andere Spieler angeschlagen oder wirkten einfach müde und überspielt. In der Summe ergibt das dann eine Leistung wie die von Wien.
"Wir hatten viele Fehlpässe und haben uns den Ball auch oft hoch zugespielt. Das ist sonst nicht unsere Art, Fußball zu spielen. Das hat es dem Gegner dann leicht gemacht", resümierte Teammanager Oliver Bierhoff.
Österreich spielte quasi am Limit, rannte und kämpfte wie besessen und angetrieben von einem frenetischen Publikum und hätte selbstverständlich mindestens einen Punkt verdient gehabt. Aber die Gastgeber vergaßen, die deutsche Mannschaft für ihre Lethargie zu bestrafen. Ein abgeklärterer Gegner hätte sich nicht zweimal bitten lassen.
Mario Gomez sei Dank
Es hatte den Anschein, dass die deutsche Mannschaft bis auf eine vernünftige Anfangsphase nie den richtigen Bezug zu dieser Partie fand, weder körperlich noch mental. Dass es am Ende doch zum sechsten Sieg im sechsten Qualifikationsspiel gereicht hat, war ein glücklicher Zufall. Oder, um Löws Worte aufzugreifen, ein unseriöser Sieg.
"Wir hatten heute schon ein bisschen Dusel", gab Manuel Neuer zu. Und es war Mario Gomez' Lauf geschuldet. Der Bayern-Stürmer hatte an so ziemlich jeder gefährlichen Aktion wahlweise seine Füße oder seinen Kopf im Spiel.
"Ein toller Übersteiger"
Die deutsche Führung erzielte er aus einer unübersichtlichen Situation heraus, nach einem Eckball. Gomez stolperte den Ball irgendwie ins linke Eck, befand nachher aber schnippisch, er habe doch "einen tollen Übersteiger" hingelegt.
Der Siegtreffer - und das darf nach einer schwachen Leistung wie dieser nicht verwundern - entsprang dann einem Relikt des deutschen Fußballs: Flanke aus dem Halbfeld, Kopfball, Tor. Philipp Lahms Zuspiel nahm Gomez dankend entgegen und köpfte den Ball in der 90. Minute ins lange Eck.
Sami Khedira noch nicht fit
"Als heute der Ball vor dem Siegtor in den Strafraum flog, wusste ich es schon und habe gedacht 'schon geil'...", skizzierte Gomez die Momente vor dem entscheidenden Treffer genussvoll nach. So endete ein schwieriger Abend doch noch in Wohlgefallen.
Ein Problem bleibt dem Bundestrainer für das letzte Saisonspiel am kommenden Dienstag in Aserbaidschan aber. Lukas Podolski und Simon Rolfes sind angeschlagen, weshalb Letzterer in Wien auch nicht für den nicht fitten Sami Khedira eingewechselt wurde, sondern Löw das Problem mit der Rochade von Mats Hummels ins defensive Mittelfeld lösen wollte.
Tim Wiese ist aus privaten Gründen abgereist.
U-21-Nachnominierung möglich
Die Partie im Ernst-Happel-Stadion jedenfalls hat Löw doch nachdenklich gemacht. In Baku soll zum Abschluss unbedingt noch ein Sieg her, "dann hält uns auf dem Weg zur Endrunde keiner mehr auf", wie Lahm sagte.
Löw denkt deshalb nun doch über die eine oder andere Nachnominierung nach. "Wir werden eine Bestandaufnahme machen, ich muss mir meine Gedanken machen. Denn jetzt wird es auch eng. Wir haben keine defensiven Mittelfeldspieler mehr", sagte Löw.
"Von daher brauchen wir möglicherweise eine Nachnominierung. Kann durchaus auch ein Spieler der U 21 sein."
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