"Jetzt ist man natürlich enttäuscht und angefressen", sagte Löw. "Klar, wenn mal dreimal führt - wie im September. Das ist ganz schön ärgerlich. Wir werden das thematisieren vor dem Ukraine-Spiel. Es sind einige Punkte anzusprechen. Wir haben aber auch einige gute Kombinationen drin gehabt. Es war so ein bisschen Licht und Schatten. In der Ukraine wird eine andere Mannschaft auf dem Platz stehen. Ich kann versichern, dass alle heiß sind. Wir wollen in der Ukraine unbedingt gewinnen - und ich denke, wir werden das auch schaffen."
Ersatz-Kapitän Julian Draxler stieß ins selbe Horn: "Wir haben die Türken eingeladen, Tore zu schießen, und es wieder nicht geschafft, den Sieg über die Zeit zu bringen. Wenn du 2:1 führst, musst du es souveräner spielen. Das haben wir wieder nicht geschafft und ist enttäuschend. Wir haben drei Tore geschossen, aber im Endeffekt müssen wir die Spiele gewinnen und das haben wir heute nicht geschafft. Es ist natürlich nicht so leicht, wenn man zum ersten Mal in dieser Formation zusammenspielt, aber ein paar Grundregeln muss man trotzdem befolgen."
Auch bei Debütant und Torschütze Florian Neuhaus überwog "in erster Linie Ärger, dass wir noch den Ausgleich geschossen haben." Aufgrund seines Treffers zum 2:1 seit er aber sehr glücklich: "Ein sehr schöner Tag für mich. Wenn nicht sogar der schönste Tag meiner Karriere."
Deutschland gegen Türkei: Die Analyse
Wenige Stunden vor dem Freundschaftsspiel erschütterte eine ungemütliche Nachricht den DFB: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main führte eine Razzia in der Zentrale des Verbandes sowie in Wohnungen von sechs "gegenwärtigen und ehemaligen" Verbandsfunktionären durch. Es bestehe der Verdacht der Steuerhinterziehung, hieß es in einer Pressemitteilung.
Auf dem Rasen warteten weitere ungemütlichere Nachrichten. Die deutsche Elf, noch ohne Mittelfeldregisseur Toni Kroos und die Stars des FC Bayern im Einsatz, tat sich gegen die eng gestaffelten und leidenschaftlich in die Zweikämpfe gehenden Türken von Anfang an schwer. Bis auf ein wegen Abseits aberkanntes Tor in der 7. Minute durch Draxler, der die B-Auswahl als Kapitän anführte, kreierte der Favorit in Hälfte eins kaum Gefahr im letzten Drittel.
Auffällig im ersten Abschnitt: Über die linke Seite von Schulz und aus dem Zentrum kamen kaum Impulse. Debütant Neuhaus und Brandt holten sich zwar immer wieder früh den Ball ab, fanden mit ihren Zuspielen aber nur selten Tiefe.
Die Türken hingegen schafften es nach Balleroberung mehrfach, aus ihrer soliden 4-5-1-Grundordnung heraus zu kontern. Viel ging über die rechte Seite, wo Karace die deutsche Defensive um Rüdiger immer wieder vor Probleme stellte. Zur Pause führte trotzdem das DFB-Team, weil die türkische Abwehr einmal nicht aufpasste und Draxler nach einer Hereingabe von Havertz überlegt abschloss (45.).
Starkes DFB-Debüt von Neuhaus - Türkei trifft spät
Kurz nach dem Seitenwechsel schlugen die Türken zwar schnell durch ihren Kapitän Tufan zurück (49.), sahen sich aber immer höherem Druck der Deutschen ausgesetzt. Neuhaus krönte sein starkes Debüt mit einem Treffer, dem eine schöne Kombination mit Havertz vorausgegangen war (58.). Brandt legte vier Minuten später fast nach, als er mit einem satten Abschluss Gästekeeper Günök zu einer Glanztat zwang. Ein weniger guter Pass von Tah und ein eigentlich strafwürdiger Rempler von Karace an Neuhaus führten in einer wilden Phase aber zum erneuten Ausgleich des Außenseiters (67.).
Die Schlussphase war von vielen Wechseln und mehreren Halbchancen geprägt - und zwei weiteren Toren. Erst erzielte Waldschmidt den vermeintlichen Siegtreffer (81.), ehe die Türken in der Nachspielzeit nochmals durch den eingewechselten Karaman zuschlugen. Unter dem Strich war es für die ersatzgeschwächte deutsche Mannschaft, die in dieser Konstellation wohl nie wieder zusammenspielen wird, aber ein guter, weil intensiver Test.
Deutschland gegen Türkei: Die Aufstellungen
Deutschland: Leno - Can, Koch, Rüdiger (59. Tah) - Henrichs, Neuhaus (79. Dahoud), Brandt (85. Stark), Draxler (59. Hofmann), Schulz (70. Gosens) - Havertz, Waldschmidt
Türkei: Günok - Sangare, Demiral, Ayhan (75. Kabak), Kaldirim - Tufan, Okay (63. Karaman) - Karaca (69. Tekdemir), Yazici (46. Tokoz), Kilinc (46. Ünder) - Enes Ünal (85. Ömür)
Deutschland gegen Türkei: Die Daten des Spiels
Tore: 1:0 Draxler (45.), 1:1 Tufan (49.), 2:1 Neuhaus (58.), 2:2 Karace (67.), 3:2 Waldschmidt (81.), 3:3 Karaman (90.+4)
- In ihrem 21. Länderspiel gegen die Türkei kassiert die DFB-Elf erstmals drei Gegentore.
- Deutschland spielt zum dritten Mal in Folge remis - nie hatte das DFB-Team eine längere Serie (zuvor siebenmal drei Remis in Folge).
- Deutschland traf in jedem der vergangenen 16 Länderspiele (zuletzt torlos beim 0:3 in den Niederlanden im Oktober 2018).
- Deutschlands Nationaltorhüter warten seit vier Partien auf ein Länderspiel ohne Gegentor (seit dem 4:0 gegen Weißrussland im November 2019).
- Starke Bilanz unter Senol Günes: In seinem 15. Spiel mit der Türkei bleibt der Coach zum 13. Mal ohne Niederlage (neun Siege, vier Remis).
Der Star des Spiels: Florian Neuhaus (Deutschland)
Wurde der 108. Debütant der Ära Löw und zeigte sich sehr engagiert. Der erste deutsche Torschuss kam von ihm (15.), das zweite Tor auch - nach starkem Zusammenspiel mit Havertz. Verlor vor dem 2:2 den Ball, wurde dabei aber gefoult.
Der Flop des Spiels: Antonio Rüdiger (Deutschland)
Die mangelnde Spielpraxis merkte man ihm in einigen Szenen an. Physisch zwar robust, aber immer wieder mit dem Hang zur unnötigen Härte und leichten Unsicherheiten. Zum Zeitpunkt seiner Auswechslung in der 59. Minute mit den meisten deutschen Ballaktionen.
Der Schiedsrichter: Benoit Bastien (Frankreich)
Der Unparteiische aus Frankreich blieb in der für Freundschaftsspiel-Verhältnisse kampfbetonten Begegnung überwiegend abgeklärt, leistete sich aber einen großen Fehler, als er das 2:2 der Türkei wegen Foulspiels von Karace an Neuhaus nicht aberkannte.