Mario Balotelli: Der Großkotz

Stefan Rommel
15. Juni 200915:37
Mario Balotelli erzielte in 32 Spielen für Inter Mailand 11 ToreGetty
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Großmaul oder begnadeter Virtuose? Inter Mailands Mario Balotelli ist beides in einer Person. Deshalb spaltet er die Tifosi - und deshalb steht der 18-Jährige sich auch immer selbst im Weg.

Wie alles anfing, weiß niemand mehr so genau. Die Roma-Fans hatten jedenfalls plötzlich ein paar Bananen parat und warfen sie Mario Balotelli vor die Füße.

Balotelli war mit Freunden in einer Bar in Rom unterwegs, es kam in der Folge zu leichten Handgreiflichkeiten. In Italiens Fußball-Bibel "Gazzetta dello Sport" wurde die Sache tagelang ausgeschlachtet. Die Tifosi hatten wieder ihr hässliches Gesicht gezeigt und große Teile des Landes raunten pikiert.

Aber es gab auch andere, und die gaben Mario Balotelli die Schuld an dem Eklat. Auch das gehört irgendwie zu Italien und es gehört ganz speziell dazu, wenn Balotelli in eine Sache verwickelt ist.

Ein Schwarzer unter Italienern

Mario Balotelli, 18, hat zweifellos einen italienischen Vornamen und einen italienischen Nachnamen. Er besitzt auch einen italienischen Pass und er spielt bei Inter Mailand in der italienischen Serie A.

Er benimmt sich wie ein junger Bursche sich eben benimmt: laut, aufmüpfig und manchmal respektlos. Aber Balotelli hat ein Problem: Er ist ein Schwarzer unter Italienern. Und als solcher habe er sich nach dem Dafürhalten vieler auch zu verhalten. Devot und unauffällig.

Vor drei Monaten wurde Juventus Turin nach einer Partie gegen Inter zu einem Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit verdonnert. Die Juve-Fans hatten Balotelli 90 Minuten lang mit rassistischen Schmähungen überzogen, darunter: "Es gibt keine italienischen Neger."

"Ich bin italienischer als ihr alle!"

Seine dunkle Hautfarbe wirkt in einigen Stadien des Landes wie ein Teilchenbeschleuniger, auch wenn das so offen nie jemand zugeben würde. Es ist ein Geschwür, dass der Calcio trotz eines strafferen Strafenkatalogs und Intervention aus Politik und Gesellschaft nicht los wird. Die Ohnmacht und der Hass der Tifosi auf seine fußballerische Überlegenheit entlädt sich dann in rassistischem Gegröle und Affengebrüll.

Balotelli steht in der Ecke des Unterdrückten, aber das will er sich nicht gefallen lassen. Also redet er. "Das geht jetzt an die Leute, die in der curva standen: Ich bin italienischer als ihr alle!"

Hätte er besser geschwiegen. Denn wegen Äußerungen wie dieser stellen sich viele in Italien die Frage: "Wie viel Schuld trägt Balotelli selbst an seiner Situation?" Und es gibt noch mehr, die darauf antworten: "Eine ganze Menge."

Ein Nachwuchsstürmer als Straßenrowdy

Der frühere Inter-Trainer Luigi Simoni gehört zu ihnen. "Gegen seinen Teamkollegen Sulley Muntari, der ist schließlich auch aus Ghana, gab es in Turin keine Schmähung. Nur Mario provoziert das mit seinem Verhalten."

Bei Inters fulminantem 3:3 gegen die Roma, dem besten Spiel der abgelaufenen Saison, erzielte Balotelli zwei Tore und holte einen Elfmeter raus. Mit einer Schwalbe.

Den Strafstoß verwandelte er vor der Gästekurve selbst - und kam danach auf die wenig glorreiche Idee, die Roma-Fans mit aufrechtem Zeigefinger auf den Lippen zu provozieren und ihnen danach noch frech die Zunge rauszustrecken.

Es sind Flegeleien wie diese oder ein schmissiges "romanisti di merda", scheiß Römer, in Richtung Roma-Legende Christian Panucci, die aus dem hoch veranlagten Nachwuchsstürmer einen Straßenrowdy machen. Dann übersteigt die Zahl seiner Feinde die seiner Bewunderer.

"Ich konnte nicht mit ansehen, wie er sich gegenüber Panucci aufgeführt hat. Wenn Christian ihm all seine Trophäen zeigen würde, könnte er sich höchstens ein Erinnerungsfoto davon machen."

Francesco Totti ist einer seiner leidenschaftlichsten Gegner: "Es geht nicht, dass Balotelli - der unheimliche fußballerische Anlagen hat - sich so benimmt. Er hat uns Spielern und unseren Tifosi die Zunge gezeigt. Ich bin nicht in der Inter-Kabine und will es auch nicht sein - aber ich glaube, dass er sich auch dort nicht richtig aufführt."

Totti: "Mir hätten sie damals den Arsch versohlt"

Totti ist nur einer von vielen renommierten Beobachtern, die den aufstrebenden Balotelli mit scharfer Kritik strafen. "Das Schöne an ihm ist sein junges Alter. Das weniger Schöne sein Charakter, der noch großes Potenzial nach oben hat", sagt Gigi Buffon. "Mario ist ein guter Junge, aber um ein Champion zu werden, muss er noch viel reifer werden."

Und noch einmal Totti: "Wenn ich mich mit 18 Jahren so aufgeführt hätte, hätten mir Giannini und Cervone damals den Arsch versohlt. Trainer Mazzone hätte mir zwei aufgestrichen und zu Hause hätte ich von meinen Eltern den Rest bekommen."

Auf dem Weg nach oben ist es selten ratsam, sich mit jenen anzulegen, die bereits dort angekommen sind. Tottis und Buffons Worte haben im Calcio Gewicht, Nationaltrainer Marcello Lippi hält sich öffentlich mit seiner Meinung demonstrativ zurück. Aber manchmal sagt ein Schweigen mehr als tausend Worte.

Schlechtes Benehmen: U 21 statt Confederations Cup

Am Sonntag beginnt für den Weltmeister der Confederations Cup in Südafrika, die Generalprobe für die WM in einem Jahr. Davide Santon, das andere große Inter-Talent, ist mit dabei. Balotelli nicht.

Er soll sich bei der U-21-EM in Schweden erst noch einmal beweisen. Lippi mag seine vorwitzige Art nicht in der Squadra sehen, das wissen alle. Also wird sich der junge Stier noch ein wenig beruhigen müssen.

"Mario ist ein großes Talent, einer, der dich Spiele gewinnen lässt. Aber Mister Lippi könnte von seinem Gehabe genervt sein. Hätte sich Mario gebessert, wäre er jetzt hier", muss selbst sein bester Kumpel Santon eingestehen.

"Bei uns wird so ein Verhalten nicht geduldet"

Und Gigi Riva, Ex-Cagliari-Legende und mittlerweile Lippis rechte Hand bei der Squadra Azzurra, sagt: "Ich habe ihn tolle und weniger schöne Sachen machen sehen. Dazu zähle ich seine Verhaltensweisen auf dem Platz. Bei uns wird so ein Verhalten unter keinen Umständen geduldet, denn hier steht das Team im Mittelpunkt. Keiner hat auszuscheren."

Balotellis Art passt nicht ins Kollektiv. Der schale Geruch der Selbstüberschätzung, der viele seiner Aktionen begleitet, wirkt befremdlich.

Die Mehrzahl seiner Tore feiert er mit jener aufgesetzten Coolness wie Thierry Henry früher beim FC Arsenal. "Ich bin euch allen überlegen", will er damit ausdrücken. Die entsprechende Antwort der gereizten Abwehrraubeine lässt dann nicht lange auf sich warten.

Aber auch hier will er das letzte Wort haben. Zehn Gelbe Karten hat er sich schon eingehandelt in lediglich 33 Meisterschaftsspielen für Inter, zumeist durch völlig sinnlose Fouls oder eine lebhafte Diskussion mit dem Schiedsrichter.

Antonio Cassano: der Bruder im Geiste

Es kann kein Zufall sein, dass Antonio Cassano, in jungen Jahren von der "Gazzetta" als "Kobold auf Extasy" getauft,  immer mehr zu seinem Bruder im Geiste wird und seinem größten Fürsprecher wird. Auch Cassano hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Autoritäten, lediglich 15 Länderspiele sprechen eine deutliche Sprache.

"Er ist ein Meister und eine große Persönlichkeit. Er soll sich nicht verbiegen lassen und weiter unbeirrt seinen Weg", sagt Cassano. Aber will man wirklich jemandem Glauben schenken, der sich selbst einen "Hurensohn von der Straße nennt" und mehr Hotelzimmer zertrümmerte, als er Länderspiele auf dem Buckel hat?

Also entwickelt Balotelli weiter seinen Stil, und der bleibt undurchsichtig. Vor allem außerhalb des Platzes. Da hat der 18-Jährige längst seine eigene  Sport- und Modekollektion auf den Markt geworfen.

SMB45, SuperMarioBalotelli45, heißt der Entwurf. Die 45 steht für seine Rückennummer bei Inter. Die Anlehnung an den weitaus berühmtereren Claim CR7 ist nicht zu übersehen.

Das Scheitern in Barcelona

Vor drei Jahren spielte er in der La Masia in Barcelona vor. Im womöglich besten Jugendinternat der Welt "habe ich alle überzeugt, wirklich alle", beteuert Balotelli noch heute mit einer Mischung aus überbordendem Stolz und zorniger Wut.

Das Problem damals: Er war noch kein italienischer Staatsbürger.

Balotelli hätte sich bei einem Engagement in Katalonien auch noch für einen spanischen Pass bewerben können. Um die internationalen Interessen zu wahren und keinen Streit mit dem italienischen Verband anzuzetteln, verzichtete Barca deshalb auf einen Vertrag und schickte Balotelli nach einer Woche wieder zurück nach Italien.

Wenig später nahm ihn Inter unter Vertrag. So jedenfalls besagt es die Legende, verfasst von Balotelli selbst.

Soziales Engagement: Balotellis weicher Kern

Der hat hinter seiner schillernden und rauen Macho-Fassade aber auch ein weiches Herz. Seit einigen Jahren betreut er zusammen mit seinem Bruder und Berater Corrado das "Mata Atlantica Project". Sein Weg führt ihn dann jährlich nach Brasilien, in die Favellas, zu den Ärmsten der Armen. Dort spendet er ein wenig Trost und sehr viel Geld.

Mit dem World Wild Fund For Nature (WWF) bietet er auf Sizilien Camping- und Adventure-Urlaube für Waisenkinder an. Balotelli nimmt selbst daran teil. Während seine Teamkollegen in der Sommerpause in Monte Carlo oder auf den Bahamas die Füße in den Swimming Pool halten und Cocktails trinken, schläft Balotelli mit einer Handvoll Teenies unterm Moskitonetz auf einer Luftmatratze.

Balotellis Kindheit: Krankheit und Armut

Er weiß selbst am besten, wie schwer das Leben am äußeren Rand der Gesellschaft sein kann. Eigentlich heißt er mit Nachnamen auch noch Barwuah. Seine Familie kam 1988 aus Ghana nach Palermo. Zwei Jahre später wurde Mario geboren. Eine schwere Darmerkrankung zeichnete dann sein Schicksal.

Seine Eltern waren arm wie Kirchenmäuse und konnten die kostspielige Behandlung nicht finanzieren, also gaben sie ihren Sohn zur Adoption frei. So lautet zumindest die Version seines Vaters Thomas. Nur ein paar Kilometer entfernt nahm ihn die Familie Balotelli aus Brescia auf. Nach einigen Jahren riss der Kontakt zu seinen leiblichen Eltern ab.

Ritterschlag von Ibrahimovic, Ärger mit Mourinho

Mit 15 Jahren und 289 Tagen läuft er für den AC Lumezzane erstmals im Profi-Fußball auf und wird zum jüngsten Spieler aller Zeiten der Serie C. Zwei Jahre später wechselt er zum FC Internazionale. Ein paar Monate später wird Zlatan Ibrahimovic über ihn sagen: "Balotelli ist besser, als ich es mit 18 Jahren war!"

Es ist Balotellis Glück, dass er Jose Mourinho zum Trainer hat - auch wenn er das nicht immer einsehen will. "Mit mir zu arbeiten ist entweder sehr einfach oder sehr schwierig. Einfach für diejenigen, die gewinnen wollen, an das Team denken und sich verbessern wollen. Sehr schwierig hingegen für den, der glaubt, der Beste der Welt zu sein, der nicht gerne arbeitet und der glaubt, dass alle ihm etwas schuldig sind, er aber niemandem."

Der Portugiese hatte Balotelli einige Spiele lang nicht mehr berücksichtigt. "Er ist weder auf und noch viel weniger neben dem Platz 'high profile', auch wenn jemand das so verkaufen möchte. Er ist noch nicht reif genug. Aber eines Tages wird er verstehen, dass ich es nur gut mit ihm meinte."

So lange wird Mario Balotelli noch lernen müssen. Sehr viel sogar. Auf und außerhalb des Platzes.

"Vor zwei Jahren hat mir Cristiano Ronaldo sein Trikot gegeben", erinnerte er sich neulich in einem Interview. Und dann, mit ernster Miene: "Das war sehr klug von ihm: Eines Tages wird er mich nach meinem fragen."

Mario Balotelli im Steckbrief