Mit 24 Jahren war Oliver Kahn einfach Oliver Kahn. Der Torwart stand damals beim Karlsruher SC zwischen den Pfosten und war ein ganz normaler Bundesliga-Keeper. Noch kein Titan, zu dem Kahn später "ernannt" wurde.
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Seit Mitte Januar ist auch Rene Adler 24 Jahre alt. Ein ganz normaler Bundesliga-Keeper ist der Leverkusener aber längst nicht mehr. Adler ist bereits Nationalkeeper. Und Adler ist auch schon ein klein wenig Titan. Allerdings nur im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach einem Haarriss in der Rippe im Mai 2006 wurde beim Bayer-Schlussmann eine Titanplatte eingesetzt, die den maladen Knochen stabilisieren sollte. Mehr Titan ist bei Adler aber nicht. Und der Titan, also ein neuer Kahn, will der 24-Jährige auch gar nicht sein.
Rensings Zukunft = Adlers Realität
"Peter Schmeichel hat mir am meisten imponiert", gibt Adler offen zu. "Bei ihm habe ich immer ganz genau hingeschaut." Auch Michael Rensing nennt den Dänen "eins meiner Vorbilder".
Hingeschaut hat der Bayern-Keeper allerdings am häufigsten bei Oliver Kahn. Zwangsläufig. Jahrelang trainierte Rensing tagtäglich mit Kahn und lernte vom 96-maligen deutschen Nationalspieler. Jahrelang kam Rensing allerdings auch nur sporadisch zu Einsätzen.
Dabei wurde ihm von allen Seiten ein herausragendes Talent sowie überragende Fähigkeiten bescheinigt und eine große Zukunft prophezeit, auch in der Nationalmannschaft. Rensings Zukunft ist für Adler längst Realität.
Zügiger Aufstieg
Der Leverkusener hat einen festen Platz im DFB-Team und - ebenfalls im Gegensatz zu Rensing - schon gut zwei Jahre Erfahrung als Stammtorhüter in der Bundesliga auf dem Buckel.
Nachdem Adler im Februar 2007 in Leverkusen Hans-Jörg Butt als Nummer eins beerbte, ging es für den jungen Keeper steil bergauf. Eine fehlerfreie Rückrunde und eine teilweise hervorragende Saison 2007/2008 brachten Adler ins Notizbuch von Jogi Löw und letztlich auch in dessen EM-Kader.
Fans wie Experten wähnten in Adler den neuen Nationaltorwart, und zwar für die kommenden Jahre. Adler war plötzlich "Everbody's Darling".
Rensings Probleme mit dem Erbe
Von Rensing sprach dagegen im Zusammenhang mit der Nationalelf kaum jemand mehr. Dabei hatte der Bayern-Keeper die Jugendmannschaften des DFB durchlaufen und in der U 21 auch den Vorzug vor Adler erhalten. Alles allerdings Vergangenheit. Der Leverkusener war am Münchner vorbeigezogen.
Seit Kahns Rücktritt kann Rensing immerhin mit gleichen Mitteln versuchen, die damals entstandene Lücke zu Adler wieder zu schließen. Allerdings trägt Rensing am Erbe seines Vorgängers weitaus schwerer als Adler.
Schon nach seinen ersten Auftritten als Nummer eins stand Rensing - nicht immer berechtigt - in der Kritik. Seine Fähigkeiten wurden in Frage gestellt, die Öffentlichkeit diskutierte bereits über einen Ersatz für den vermeintlich schwächelnden Bayern-Keeper. Auch der Name Adler fiel.
Adlers erste kleine Krise
Rensing selbst wurmte diese Diskussion und nach einiger Zeit brach sich sein Zorn auch öffentlich Bahn. "Manche Dinge, vor allem von Leuten, die nie selbst im Tor gestanden sind und alles besser wissen wollen, sind Schwachsinn", sagte Rensing über eine kritische Anmerkung von Franz Beckenbauer.
Seither setzt sich Rensing immer mal wieder öffentlich zur Wehr und legt sich mit seinen Kritikern, egal ob Experten oder Medien, an.
Die Leistungen seiner Torhüterkollegen sind ihm "total egal". Zumindest an Profil hat der Bayern-Keeper dadurch gewonnen. Ob er sich damit allerdings einen Gefallen tut? Rensing muss gute Leistungen folgen lassen.
Die braucht auch Adler. Vor allem seit er im Herbst 2008 gegen Russland in der Nationalmannschaft debütierte, wird der 24-Jährige noch genauer beobachtet. Nun, im Winter 2009, durchlebt der Bayer-Keeper allerdings seine erste (kleine) Krise. Die Zahl der Kritiker nimmt - wie bei Rensing - zu, die kleinsten Schwächen werden sofort registriert. Wie bei Rensing.
Völler kritisiert Kollegenschelte
Öffentlich beschweren mochte sich Adler darüber allerdings noch nicht. Dass es in ihm dennoch brodelt, zeigte seine öffentliche Kollegenschelte nach der Niederlage in Hannover.
Rudi Völler empfahl seinem Torhüter jedoch sogleich, "sich erstmal an die eigene Nase zu fassen", schließlich habe man ihn nach den letzten Patzern auch nicht öffentlich an den Pranger gestellt.
Adler wird das verstanden haben und einsehen, dass er in letzter Zeit an Souveränität verloren hat. Auf und abseits des Platzes. Der Kampf um die Nummer eins in der Nationalmannschaft scheint dadurch wieder offener, als noch vor einem halben Jahr.
Und Robert Enke, Tim Wiese, Manuel Neuer und auch Michael Rensing dürfen sich wieder berechtigte Hoffnungen machen. Vielleicht aber beißen sich am Ende doch alle die Zähne aus - an ein klein wenig Titan.
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