"In welcher Welt wächst mein Sohn auf?"

Jochen Tittmar
26. Mai 201710:29
Roman Weidenfeller spielt seit 2002 für den BVBgetty
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Roman Weidenfeller spielt seit 2002 für Borussia Dortmund und ist in der BVB-Historie der Spieler mit den zweitmeisten Einsätzen. Vor dem DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt (Sa., 20 Uhr im LIVETICKER) spricht Weidenfeller im Interview über seine Anfänge beim BVB, die Auswirkungen des Anschlags auf den Mannschaftsbus und seine Zukunft in Dortmund.

SPOX: Herr Weidenfeller, am Samstag endet mit dem DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt Ihre 15. Saison für Borussia Dortmund. 2002 sind Sie nach Westfalen gewechselt. Können Sie sich noch erinnern, wie der Transfer zustande kam?

Roman Weidenfeller: Es waren damals einige Vereine an mir interessiert. Ich wurde von meinem Berater darauf vorbereitet, dass ich einen Anruf aus Dortmund erhalten würde. Michael Zorc und Matthias Sammer haben sich dann um mich bemüht. Mir war daher schnell klar, dass es für mich nur der BVB sein kann. Der Klub, das Stadion, die Fans - das waren sehr gute Gründe, um sich überzeugen zu lassen. Ich selbst hatte auch die Vision, Titel zu gewinnen und wollte dafür ganz bewusst zu einem großen Klub gehen.

SPOX: Anfangs mussten Sie sich mit dem Status als Nummer zwei hinter Jens Lehmann zufrieden geben.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Roman Weidenfeller am Trainingsgelände in Dortmundspox

Weidenfeller: Mir war klar, dass ich mich hinten anstellen musste. Ich sah aber die Herausforderung, von dieser Position aus nach einer gewissen Zeit angreifen zu können. Der Name Jens Lehmann war klangvoll, er war Nationaltorwart und brachte hohe Qualität mit. Ich habe gerade in meiner ersten Saison unheimlich von ihm profitieren und lernen können.

SPOX: Was genau?

Weidenfeller: In erster Linie die Strafraumbeherrschung. Jens stammte ja wie ich noch aus der alten Torwartschule. Er war der Vorreiter, der das Spiel außerhalb des Strafraums und seinen eigenen Strafraum beherrscht hat - bis Manuel Neuer es dann perfektioniert hat. Damals stand das noch nicht täglich auf dem Trainingsprogramm. Jens hatte das Flankenspiel immer wieder trainieren lassen. Das habe ich versucht, mir von ihm abzuschauen: Diesen ständigen Ehrgeiz, ob im Training oder beim Spiel.

SPOX: Welche Beziehung hatten Sie anfangs zueinander, Lehmann war ja kein unproblematischer Zeitgenosse?

Weidenfeller: Die Zusammenarbeit mit Jens war bestimmt nicht immer einfach, da wir zwei Alphatiere waren. Ich hatte schon in jungen Jahren einen sehr starken Charakter, für Jens galt das genauso. Es hat uns beiden sehr gut getan, uns im Training gegenseitig zu pushen. Wir sind uns professionell begegnet, dabei hat es mit ihm immer sehr viel Spaß gemacht. Heute haben wir einen sehr guten Kontakt, schätzen uns beide.

SPOX: Wenn Sie jetzt darauf zurückblicken, wie denken Sie über Ihre Zeit als junger Profi?

Weidenfeller: Ich war und bin von meinem Weg überzeugt. Vieles würde ich daher nicht anders angehen. Ich finde, es war richtig, frühzeitig forsch und ehrgeizig zu sein, denn nur wenn man Ziele formuliert, kann man sie sich auch erarbeiten. Ich hätte mir sicherlich den einen oder anderen Kommentar sparen können und das Herz nicht ganz so extrem auf der Zunge tragen müssen. (lacht) Andererseits gehört das eben zu meiner Art. Dazu stehe ich bis heute, denn sie hat mir in all den Jahren auch geholfen.

SPOX: Das Herz auf der Zunge zu tragen, war in Kaiserslautern auch einfacher als in Dortmund, oder?

Weidenfeller: Durchaus. Beim FCK war alles sehr beschaulich, im Vergleich zum Medienaufkommen in Dortmund ein gewaltiger Unterschied. Ich musste es deshalb erst einmal lernen, mit den Journalisten und den verschiedenen Medien richtig umzugehen. Klar bin ich auch mal auf die Schnauze geflogen, mit der Zeit hat sich das dann gut eingespielt. Als Fußballer versteht man schnell, welche Bedeutung manche Äußerungen haben können.

SPOX: Wie hat sich denn seitdem Ihr Alltag als Profi verändert?

Weidenfeller: Man wird im Alltag deutlich gelassener. Ich würde aber sagen, dass sich an meiner Zielstrebigkeit über die Jahre nichts verändert hat. Ich möchte immer noch Titel gewinnen und hänge mich im Training voll rein. Dazu denke ich noch mehr an meinen Körper. Heute bereite ich mich auf eine Trainingseinheit deutlich gezielter vor. Ich achte genau auf mögliche Defizite, man horcht in seinen Körper hinein. Es braucht auch diesen ganzheitlichen Ansatz, um überhaupt in der Lage zu sein, in meinem Alter noch Profifußball zu spielen.

SPOX: Und das immer noch für denselben Klub. Hätten Sie sich das vorstellen können, in Dortmund einmal derart heimisch zu werden?

Weidenfeller: Nein, ehrlich gesagt nicht. Wenn man wie ich aus der Pfalz stammt, ist das Ruhrgebiet gedanklich nicht unbedingt der schönste Platz, um heimisch zu werden. Hinzu kam, dass die personelle Fluktuation bei einem großen Verein wie dem BVB einfach hoch ist und ich nicht wissen konnte, ob ich mich sportlich so weiterentwickle, wie der Klub es wünschte. Inzwischen habe ich meine Meinung in den Jahren natürlich längst verändert. Dortmund ist meine Heimat geworden, ich fühle mich in der Stadt unheimlich wohl. Ich habe einen sehr engen Bezug zu den Menschen im Ruhrgebiet, denn sie sind wie ich einfach geradeheraus - und das gefällt mir sehr.

SPOX: Sie sind in Ihrem Heimatdorf Nentershausen dennoch weiterhin verwurzelt und regelmäßig vor Ort.

Weidenfeller: Klar. Nentershausen wird immer mein Ort der tollen Kindheit bleiben, da ich dort aufgewachsen bin und meine Eltern und mein Bruder dort leben. Dreh- und Angelpunkt ist für mich Dortmund. Das wird auch nach meiner aktiven Karriere so bleiben. Hier lebe ich schon 15 Jahre lang, hier habe ich geheiratet und hier ist auch mein Sohn geboren.

SPOX: Stimmt es eigentlich, dass Ihre Eltern seit jeher bei all Ihren Spielen im Stadion sitzen und zuschauen?

Weidenfeller: Ja, sie reisen seit 15 Jahren wirklich zu jedem Heimspiel an. Davon profitiert mittlerweile auch die Autoindustrie, denn aufgrund der vielen gefahrenen Kilometer musste schon der eine oder andere neue Wagen her. (lacht) Meine Eltern sind beide sehr fußballaffin und hatten schon zu meinen Zeiten als Jugendlicher großen Spaß daran, bei meinen Spielen live vor Ort zu sein. Beim BVB sind sie teilweise auch zu Auswärtsspielen gefahren. Der Besuch der Heimspiele ist für sie längst zu einem Ritual geworden. Anschließend treffen wir uns und reden noch eine Weile. Hin und wieder bleiben sie auch über Nacht, denn jetzt lässt sich das ja zusätzlich mit einem Besuch des Enkels verbinden. Ich hatte schon immer eine enge Beziehung zu ihnen und bin dankbar, dass sie mich auf diese Art und Weise begleitet haben.

SPOX: Sie sind März 2016 zum ersten Mal Vater geworden. Wie läuft's denn so?

Weidenfeller: Es ist richtig cool, auch wenn er vielleicht noch etwas länger schlafen könnte. (lacht) Ich bin sehr stolz auf meinen Jungen. Dass er mit seinen 14 Monaten schon wie selbstverständlich mit dem Ball durchs Wohnzimmer läuft, erfüllt mich täglich mit Freude. Sein Eifer dabei bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. SPOXspox

SPOX: Sind Sie froh, nicht zu einem früheren Zeitpunkt Ihrer Karriere Vater geworden zu sein?

Weidenfeller: Froh wäre wohl das falsche Wort, aber der Zeitpunkt hat sich jetzt erst ergeben und ist obendrein ein guter. Ich kann das Familienleben mehr genießen, als wenn ich mit 25 mitten in meiner Karriere Vater geworden wäre. Ich möchte ja hautnah mitbekommen, wie der Kleine aufwächst und habe jetzt auch die nötige Zeit dafür. Das wäre vor zehn Jahren bestimmt schwieriger gewesen.

SPOX: Wie wichtig waren denn Familie und Heimat in den Tagen nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus?

Weidenfeller: Extrem wichtig. Nach Hause zu kommen und meine Frau und den Kleinen in die Arme schließen zu können, das war sehr emotional und essentiell. Da wird man sich bewusst, es hätte auch anders ausgehen können. Wir haben alle unheimlich großes Glück gehabt.

SPOX: Wie gehen Sie jetzt nach sechs Wochen mit dieser Sache um?

Weidenfeller: Der Anschlag hat Spuren hinterlassen. Das halte ich auch für menschlich und völlig normal. Die Welt um einen herum dreht sich weiter, man selbst braucht eine Weile, um wieder seinen komplett gewohnten Alltag leben zu können.

SPOX: Welche Bedeutung hatte für Sie im Verarbeitungsprozess die Tatsache, dass der mutmaßliche Täter gefasst werden konnte?

Weidenfeller: Es war für uns alle sehr wichtig, dass die Polizei den vermeintlichen Täter sehr schnell gefasst hat und wir jetzt wissen, welche Intention mit dem Attentat verfolgt wurde. Natürlich war es kein schönes Gefühl zu erfahren, dass der Täter mit uns im selben Hotel übernachtete.

SPOX: Wie sehr beschäftigen Sie nun als Familienvater die aktuell unruhigen Zeiten?

Weidenfeller: Sie besorgen mich. Nicht nur in Hinblick auf uns, die jetzt auf dieser Welt leben, sondern was die kommenden Generationen angeht. Ich frage mich, in welcher Welt wächst mein Sohn auf, wie sehr wird sie sich noch verändert haben, wenn er einmal erwachsen ist? Ich kann nur hoffen, dass mein Sohn mit weniger Hass und Terror konfrontiert wird.

SPOX: Der Anschlag war das einschneidende Erlebnis in dieser Saison. Dennoch wurde die Spielzeit auch von zahlreichen anderen Themen begleitet. Derart viele Turbulenzen hat es in Dortmund schon länger nicht mehr gegeben.

Weidenfeller: Manche großen und kleineren Geräusche gehören immer mal mit dazu. Diese Saison war aber tatsächlich turbulent, das ist kein Geheimnis. Sie war sportlich sehr intensiv, die Begleitumstände nicht zuletzt durch den Anschlag sehr verstrickt. Das alles nun mit dem ersten Titel seit fünf Jahren abrunden zu können, ist daher einfach genial.

SPOX: Gegen Frankfurt ist der BVB erstmals seit sehr langer Zeit in einem Endspiel Favorit. Das muss kein Vorteil sein, oder?

Weidenfeller: Wir wissen um diese Gefahr. Frankfurt kann in diesem einen Spiel viel gewinnen. Die Eintracht hat eine lange Durststrecke hinter sich. Nico und Robert Kovac haben die Mannschaft toll entwickelt und werden ihr Team bestens auf uns einstellen. Davor sind wir gewarnt, wir haben auch den nötigen Respekt. Doch auch für uns ist es sehr entscheidend, endlich mal wieder ein Finale zu gewinnen und mit dem Pokal um den Borsigplatz zu fahren. Das haben unsere Fans verdient. Der Pott muss zurück nach Dortmund!

SPOX: Kurz vor Ihrem 37. Geburtstag mit einem Titel zurück zu treten, das hätte in der Theorie auch etwas. Sie aber haben kürzlich Ihren Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert. Heißt das, dass nach Ende der nächsten Saison Schluss sein wird?

Weidenfeller: Für diese Entscheidung benötige ich noch etwas Zeit. Ich werde in der neuen Saison detailliert dazu Stellung nehmen.

SPOX: Es heißt, Sie sollen einen jungen dritten Torhüter aufbauen. Das dauert doch in der Regel länger als nur eine Saison.

Weidenfeller: Man wird sehen, wie schnell derjenige dazu lernt. (lacht) Wir haben einige junge und talentierte Torhüter im Verein. Als Roman Bürki kam, hat ein kleiner Umbruch begonnen. Dieser Prozess wird nun fortgeführt. Ich kümmere mich sehr gerne um die Jüngeren, denn irgendwann sollen sie dann in meine Fußstapfen treten.

SPOX: Haben Sie lange überlegen müssen, ob Sie sich noch eine Saison lang in den Dreck werfen, wie Thomas Tuchel gesagt hat?

Weidenfeller: Über dieses Zitat von ihm habe ich mich sehr gefreut. Es stimmt ja: Ich stehe gerne auf dem Trainingsplatz. Mir wird beim BVB eine große Wertschätzung entgegen gebracht. Der Fußball bleibt mein Leben, auch wenn ich nicht mehr in der ersten Reihe stehe.

SPOX: Wie schwer fiel es Ihnen nach Bürkis Wechsel, die Rolle als Ersatztorhüter zu akzeptieren?

Weidenfeller: Dadurch, dass ich in meiner Karriere große Titel gewonnen habe und bei vielen großen Spielen zwischen den Pfosten stand, ist es einfacher, mit solch einer Situation umzugehen. Diese Erfahrungen haben mich sehr erfüllt und es mir leichter gemacht, gelassen in die Zukunft zu schauen.

SPOX: Als Sie in der Hinrunde aufgrund Bürkis Verletzung ein paar Spiele absolviert haben, sagten Sie nach der letzten Partie in Bremen, dass Sie Ihren Platz nicht freiwillig hergeben werden. Tuchel entgegnete schnell, dass Bürki wieder ins Tor zurückkehren werde. Wie groß waren Ihre Hoffnungen gewesen, im Kasten zu bleiben?

Weidenfeller: Ich hätte den Beruf verfehlt, wenn ich mich freiwillig aus dem Tor verabschieden würde. Jeder Spieler will am liebsten auf dem Platz stehen. Das lag dieser Aussage zugrunde. Ich wollte damit keinerlei Druck auf den Trainer ausüben oder gar eine Torhüterdiskussion anzetteln.

SPOX: Glauben Sie noch bis 40 zu spielen? Das hatten Sie 2012 im SPOX-Interview gesagt.

Weidenfeller: Ich bin nah dran. (lacht) Wenn mein neuer Vertrag ausläuft, bin ich fast 38 und dann sehen wir weiter. Allgemein möchte ich so lange spielen, wie ich Spaß daran habe und mein Körper es zulässt.

SPOX: Als Sie 2011 Ihren Vertrag verlängerten, waren Aston Villa und Paris St.-Germain an Ihnen interessiert. Gab es auch jetzt wieder Angebote?

Weidenfeller: Ich hatte eine Anfrage aus dem Ausland, die auch ein bisschen konkreter geworden ist. Ich habe mir die Frage gestellt, was es mir zum aktuellen Zeitpunkt überhaupt bringen würde, ins Ausland zu wechseln. Ich bin aber zu dem Entschluss gekommen, in Dortmund meine Karriere zu beenden. Ich werde auch nach meiner aktiven Zeit ein Teil des Vereins bleiben.

SPOX: In welcher Funktion denn? Steht das schon fest?

Weidenfeller: Das wird im Detail noch besprochen, da möchte ich jetzt nicht vorgreifen. Es ehrt mich sehr, dass man mir diese Möglichkeit direkt im Anschluss an die Karriere angeboten hat. Das sehe ich bei einem solch großen Klub trotz meiner langen Zugehörigkeit nicht als selbstverständlich an.

SPOX: Sie rangieren in der Liste aller BVB-Spieler mit den meisten Bundesliga-Einsätzen auf Rang zwei hinter Michael Zorc. Wie möchten Sie bei den Fans in Erinnerung bleiben?

Weidenfeller: Als Spieler, der eine gewisse Ära mitgeprägt und immer ehrliche Arbeit abgeliefert hat. Ich würde mich freuen, wenn die Menschen mich mit Ehrgeiz, Willensstärke und Erfolg verknüpfen und sagen: Der Weidenfeller hat den BVB gelebt.