Borussia Dortmund steht zum dritten Mal in Folge im Halbfinale des DFB-Pokals. Spätestens gegen den VfB Stuttgart wurde klar: Dieser BVB hat mit Thomas Tuchel nochmal ein neues Level erreicht.
In Deutschland wird immer gerne diskutiert. Über die Unausgeglichenheit der Liga, über die viel zu mächtigen Bayern, über die Chancenlosigkeit der Konkurrenz. Der FC Bayern ist allgegenwärtig und nimmt damit natürlich den anderen 17 Klubs der Bundesliga viel an Strahlkraft.
Gelegentlich erhebt sich ein gallisches Dorf und macht dem Rekordmeister seinen Thron streitig. Doch bisher konnte kaum ein Verein über lange Jahre hinweg stets auf Augenhöhe bleiben - schon gar nicht im neuen Jahrtausend. Das kann auch Borussia Dortmund nicht. Noch lange nicht. Aber der BVB befindet sich auf einem guten Weg.
Zum dritten Mal in Folge steht die Nummer zwei Deutschlands im Halbfinale des DFB-Pokals, zum vierten Mal in den letzten fünf Jahren. Die Nummer zwei Deutschlands schreibt sich inzwischen ganz selbstverständlich. Daran ändert der VfL Wolfsburg nichts, daran ändert der FC Schalke, Bayer Leverkusen oder Borussia Mönchengladbach nichts.
Der Gegner erkennt in Person von Jürgen Kramny an: "Gegen den BVB zu verlieren ist nicht schön, aber auch nicht unnormal." Das hört man sonst nur nach Spielen gegen jenen FC Bayern.
Ruhrpott-Tridente entscheidend
Mit Thomas Tuchel hat das schwarz-gelbe Team nochmal ein neues Level erreicht. Das mag nicht nur am Spiel gegen den VfB Stuttgart festgemacht werden, war aber selten so deutlich wie in diesem Pokal-Viertelfinale. Sieben Spiele in Folge hatten die Schwaben nicht mehr verloren, dazu eine gewohnt gute Atmosphäre im Rücken.
Der BVB hatte nicht die besten Bedingungen also an diesem Dienstagabend. Ein Gegner mit massig Rückenwind, selbst ein Unentschieden ohne Torerfolg im Hinterkopf. Die Fans verweigerten - aus anderen Gründen - 20 Minuten lang den Gästeblock und doch schien nie wirklich zu rütteln zu sein am Sieg des BVB.
Marco Reus erzielte bereits nach fünf Minuten die Führung, die Kombination zeigte die fast schon aberwitzig gute Dynamik, die das Ruhrpott-Tridente aus eben jenem Reus, Henrikh Mkhitaryan und Pierre-Emerick Aubameyang verkörpert. Flexibel zeigten sich die drei Offensivkräfte, tauschten ständig ihre Positionen und stellten die gegnerische Abwehr damit mehrfach vor schwere bis unlösbare Aufgaben.
Die Bank übernimmt
"Gegen einen Gegner in so einer Situation und Form, haben wir ein perfektes Spiel gemacht", nahm sogar Trainer Tuchel im Anschluss das Wort "perfekt" in den Mund. Sicherlich war nicht alles perfekt, aber wie der BVB das Spiel dominierte, sich mit unglaublich hoher Viererkette in nahezu jeder Situation um eine spielerische Lösung bemüht zeigte und die VfB-Konter unterband, war nahe dran am sonst so fleißig gemiedenen Wort.
Auf dem Rasen der Stuttgarter Arena stand ein Team wie aus einem Guss. Sicher im Spielaufbau, kreativ in Ballbesitz und immer mit Zug zum Tor. Selbst ohne Julian Weigl, sonst nicht wegzudenkener Teil der Liga-Stammelf, ging keine Stabilität ab. Matthias Ginter übernahm und spielte seine Rolle, als ob sein junger Teamkollege auf dem Platz stehen würde.
Ähnliches gilt für Erik Durm. Auf dem linken offensiven Flügel aufgeboten, nicht unbedingt seine Paradeposition, lieferte er ein solides Spiel ab. Kein gescheitertes Experiment, sondern ein Puzzleteil im großen Ganzen. Der BVB hat gelernt, sich aus seiner Strategie heraus auf einzelne Gegner anzupassen, Spieler dementsprechend auszutauschen und sich so auf Schwächen und Stärken einzustellen. Das war lange keine Option.
"Halbfinale? Bochum wäre gut"
Über Jahre hinweg waren diese Möglichkeiten nur dem Branchenprimus aus München vorbehalten gewesen. Viele Teams konnten eine erste Mannschaft stellen, die auf einem vergleichbaren Niveau agierte, vielleicht sogar zwei oder drei sehr gute Wechselspieler. Doch der BVB hat qualitativ wie quantitativ eine enorme Tiefe aufgebaut.
Das System Tuchel hat es vermocht, selbst schwierige Spieler aufzunehmen. Moritz Leitner ist zurück und wird in der entscheidenden Phase ein Pokalspiels, eines K.O.-Spiels, eingewechselt. "Der Halbfinal-Gegner ist mir scheißegal", entfährt es da sogar mal Hans-Joachim Watzke, der sich mit Grinsen sogar einen kleinen Seitenhieb erlaubt: "Bochum wäre gut."
Früher oder später, das weiß man aber auch beim BVB, wird es wohl zum Duell mit dem FC Bayern kommen. Ob man sich schon auf diesem Niveau befindet, ist dann doch fraglich. So mahnte der Coach doch trotz aller Begeisterung: "Anfang der zweiten Hälfte haben wir zu viele Chancen liegengelassen, dadurch hätten wir das Spiel frühzeitig beruhigen können."
Irgendwo zwischen Deutschland und Bayern
Die Art der Kritik spricht dennoch für sich. Zu viele Chancen liegengelassen. Das heißt: Der Rest hat gepasst, war sogar sehr gut. "Stuttgart hat von Anfang an auf Konter gespielt, das haben wir aber ganz gut unterbunden. Wir haben sehr ballsicher agiert und das Spielgeschehen immer wieder verlagert", lieferte Michael Zorc eine Zusammenfassung.
Die ganz große Begeisterung blieb allerdings aus. Routine ist es irgendwie geworden, einen derart selbstbewussten, mutig auftretenden Gegner zu schlagen. Tuchel erinnerte noch auf der PK im Anschluss an die nächsten Partien, man müsse nun gut regenerieren. Das DFB-Pokal-Viertelfinale ist zum Standard geworden, der BVB hat eine Ebene erreicht, die sich schon in der Liga-Tabelle ausdrückt. Über der Bundesliga, irgendwo hinter den Bayern.
Weiter, immer weiter, heißt es also neuerdings aus Dortmund. Erreicht ist noch gar nichts, denn mit zweiten Plätzen will man sich nicht mehr zufrieden geben. "Der Pokal ist der kürzeste Weg zum Titel", steckte Torschütze Reus die eigenen Ansprüche ab. Es ist keine Kampfansage und kein Vergleich zum FCB. Es ist die selbstbewusste Wahrnehmung, die man inzwischen von sich selbst hat.
VfB Stuttgart - Borussia Dortmund: Daten & Fakten zum Spiel