Eine Ehrenrunde mit dem Pott, klar. Pierre-Emerick Aubameyang zerschnitt auch das Tornetz, in das er ein paar Minuten zuvor den Ball zum Pokalsieg des BVB versenkte. Die Welle mit den Fans. Keine Bierduschen und zum Glück auch keine Go-Pros.
So oder so ähnlich hat man die mittlerweile durchchoreographierten Siegesfeiern im Profifußball schon gesehen. Doch ein Klub in Ekstase wie noch beim letzten Titelgewinn 2012, als Moritz Leitner eine große BVB-Fahne am Marathontor schwenkte und Hans-Joachim Watzke in Franz-Beckenbauer-Manier und Träne im Knopfloch über den Berliner Rasen schritt, das war Borussia Dortmund am Samstagabend nach dem 2:1-Endspielerfolg über Eintracht Frankfurt nicht.
Gewiss, ein 5:2 gegen Bayern München und der erstmalige Doublegewinn in der Vereinsgeschichte lassen sich nur schwerlich mit einem Arbeitssieg gegen die schlechteste Rückrundenmannschaft 2017 vergleichen. Wäre allerdings nicht Aubameyangs anschließende Instagram-Live-Übertragung aus der Kabine gewesen, erweckte das Geschehen in den Katakomben den Eindruck, als wäre soeben ein handelsübliches Bundesligaspiel zu Ende gegangen.
In der Umkleide feierten die Borussen, das Bewies das Handy des Torjägers, ausgelassen. Und Torhüter Roman Bürki verriet, dass der Pokal schon frühzeitig auf sein Acht-Liter-Fassungsvermögen getestet wurde. Es wollte dennoch nicht so Recht der Eindruck aufkommen, als bahne sich überbordende Freude ihren Weg.
Dortmunder Fallhöhe war hoch
Matthias Ginter etwa, einer von vier Spielern, die sich den Journalisten präsentierten, gab seine Statements zu Protokoll, als hätte er gerade 90 Minuten lang ein 1:1 auf der Bielefelder Alm nach Hause verteidigt. Ja, man freue sich und ja, man werde jetzt feiern. Und das bis in die frühen Morgenstunden, ließ sich Ginter auf mehrmalige Nachfrage entlocken.
Es ging vielmehr die pure Erleichterung um beim BVB. Erleichterung, das Endspiel nicht - erneut - in den Sand gesetzt und diese Achterbahnsaison zum bestmöglichen Ende gebracht zu haben. Die Fallhöhe wäre gegen die in diesem Jahr sehr biederen Frankfurter ziemlich hoch gewesen, daran hat der Finalfluch der letzten Jahre gar keinen allzu großen Anteil.
Bestnoten im FC-Hollywood-Ranking
Dortmund hatte schlichtweg zu gewinnen, um der Favoritenrolle gerecht zu werden und einen positiven Schlusspunkt unter eine Spielzeit zu setzen, die abgesehen vom Anschlag auf die Mannschaft Bestnoten im FC-Hollywood-Ranking abgreifen würde.
Eine Niederlage hätte fatale Folgen auf die Stimmung und Außenwirkung der Dortmunder gehabt. Auch der Blick auf Trainer Thomas Tuchel und seine unmittelbare Zukunft hätte eine Pleite erschwert.
Dass diese nicht beim BVB liegen wird, ist längst offensichtlich. Selbst der erste Titelgewinn seit fünf Jahren überlagerte den Streit zwischen Tuchel und Watzke nicht und niemand hat sich großartig darum bemüht, dass das Gegenteil eintreten könnte. Zu groß sind die Gräben geworden, die zwischen Trainer und Klubführung, aber auch zwischen Tuchel und Teilen der Mannschaft liegen.
Dass sich politisch wichtige Spieler wie Kapitän Marcel Schmelzer im Moment des Sieges derart deutlich zur Nichtnominierung eines Mitspielers äußern und ihm sein Vertreter Marco Reus nur kurz darauf mehr oder weniger zustimmt, spricht Bände. Dazu die versteinerten Mienen von Watzke und Präsident Reinhard Rauball bei der Übergabe des Pokals, eine zur Thematik erneut schweigende Führungsriege - die Indizien für eine vorzeitige Trennung von Tuchel sollten mittlerweile selbst für Außenstehende nicht mehr zu übersehen sein.
Tuchel wird als Sieger gehen
Tuchel wird den BVB dennoch auch als Sieger verlassen können, der Pokal ist sein erster Titel im Seniorenbereich. Seit Watzke die Unstimmigkeiten mit ihm zu einem äußerst ungeschickten Zeitpunkt öffentlich machte, hat sich Tuchel bei den zahlreichen Pressekonferenzen und Fernsehinterviews in Position gebracht.
Auch am Samstagabend betonte der Coach erneut, dass er seinen Vertrag gerne erfüllen wolle und große Lust habe, die Mannschaft weiter zu trainieren. Die Gespräche über seine Zukunft, die für die kommende Woche erwartet werden, bezeichnete er als "mindestens ergebnisoffen". Er suggerierte gar, dass es zu einer Entscheidung kommen könnte, die überrascht. Damit war sein Verbleib in Dortmund gemeint.
Doch Tuchels Äußerungen werden ihm nach Stand der Dinge nicht helfen. Hoch wahrscheinlich ist viel mehr, dass die Borussia in Tuchel den nach Punkten besten Trainer der Vereinsgeschichte vor die Tür setzen wird - nach der sportlich erfolgreichsten Saison seit fünf Jahren und ohne, dass er jemals ein Heimspiel verloren hätte.
Kommunikation des Tuchel-Aus wird interessant
Es wird dann interessant zu beobachten sein, wie die Borussia Tuchels Aus letztlich kommunizieren wird. Um aus dieser festgefahrenen Nummer herauszukommen und nicht als Verlierer dazustehen, bedürfte es seitens des Klubs schon beinahe, schmutzige Wäsche zu waschen und die internen Vorbehalte gegen Tuchel klarer zu benennen.
Dass sich Führungsspieler bereits in der Nacht des Triumphs so unmissverständlich aus dem Fenster lehnten und eine sportliche Entscheidung des Trainers derart vehement kritisierten, könnte als erster Schritt in diese Richtung gedeutet werden. In den letzten Tagen umschifften die Spieler dieses Thema gekonnt, Partei für Tuchel hat zwischenzeitlich kaum jemand ergriffen.
Es wäre ein Irrglaube, dass es in dieser Posse um die sportliche Bilanz oder Tuchels fachliche Stärken ginge. Schließlich hatte selbst Watzke immer wieder betont, Tuchel sei ein herausragender Trainer. Doch Tuchel hat sich durch zahlreiche, im Innenleben des Klubs kritisch beäugte Episoden in den letzten beiden Jahren kaum Freunde geschaffen.
Tuchel bringt die im Verein gelebten Werte in Gefahr
Die Angestellten, vor allem all jene, die schon längere Zeit schwarzgelb tragen, sehen unter Tuchel die im Verein gelebten Werte in Gefahr. Das Fundament einer gemeinsamen Zusammenarbeit bröckelt immer mehr, das Gebilde hat sich in zwei Lager gespalten. Seit dem Anschlag und Watzkes Interview sind die Positionen unverrückbar verkeilt.
Dass sich Tuchel zwischenzeitlich medial hervorragend verkauft und viele kluge Dinge gesagt hat, steht außer Frage. Seine Sympathiewerte bei den Dortmunder Anhängern sind gestiegen, er wurde am Samstagabend im Berliner Konfettiregen mit Sprechchören bedacht.
Und auch innerhalb der Bundesliga hat sich in den letzten Wochen ein kleines Tuchel-Lager gebildet, das sich öffentlich auf die Seite des Trainers geschlagen und die Vorgehensweise der BVB-Geschäftsführung gegeißelt hat.
Zwar wird Tuchel nicht zuletzt durch sein Vorgehen während seines Sabbatjahrs bei einigen Bundesligaklubs nicht mehr als Trainer-Heilsbringer angesehen, aussuchen wird er sich seinen nächsten Job dennoch können.
Die Ergebnisse stimmen
Denn die Ergebnisse, die einzig wahre harte Währung für viele deutsche Profivereine, sie stimmen unter ihm. Auch wenn er Leistungen und Entwicklungen selbst oft angenehm losgelöst vom bloßen Resultat bewertet. Und den Rest wird man schon hinkriegen, denkt man sich schnell, wenn ein solch prominenter Trainer auf dem Markt ist.
Diesen Ruf, so positiv und negativ er zugleich sein kann, hat sich Tuchel im wahrsten Sinne des Wortes erarbeitet. Was ihm im Geschäft der großen Egoismen allerdings nicht gelang, war, einen Klub der Dimension des BVB und dessen unterschiedliche (Spieler-)Interessen in den Griff zu bekommen.
Die externe Moderation hat Tuchel drauf, das interne Handeln entlang einer installierten Vereinskultur bereitete ihm dagegen schon in Mainz Schwierigkeiten. Zweifelsohne ein Manko, das man ihm ankreiden muss. Und da ist es sogar egal, wer in der Dortmunder Frühsommerposse letztlich wann Recht hatte und wie gehandelt hat.
Eintracht Frankfurt - Borussia Dortmund: Die Statistik zum Spiel