Es muss ein komisches Gefühl für Wolfgang Frank gewesen sein, als er in Mainz die letzten Umzugskartons gepackt hatte. Der Trainer kehrt der Stadt den Rücken, die gerade ganz Fußball-Deutschland verrückt macht. Frank zog es nach Thüringen. Zu einem Klub, der gerade das genaue Gegenteil zu Mainz verkörpert. Während Offenbach seine Tabellenführung weiter ausbaut, kämpft Carl Zeiss Jena in der 3. Liga gegen den Abstieg. Im Interview spricht der 59-Jährige über das Mainzer Modell, seinen Intimus Ottmar Hitzfeld und seine Pläne mit dem FCC.
SPOX: Herr Frank, warum Jena? Der Klub war zuletzt alles andere als ein gutes Pflaster für Trainer.
Wolfgang Frank: Es gibt zwei Gründe. Einerseits war ich jetzt eine ganze Weile ohne Job. Andererseits, und das war entscheidend, hat Jena eine lange Tradition, auf die nicht viele Vereine zurückblicken können. Das ist eine große und willkommene Herausforderung für mich. In meinem Alter gehen sechs oder sieben Jahre schon noch. In mir hat sich wieder ein Feuer entzündet. Dieser Beruf und die ganze Atmosphäre machen mir unheimlich viel Spaß.
SPOX: Wo liegen die größten Probleme?
Frank: Das Problem ist immer das gleiche. Eine Mannschaft, die im Tabellenkeller steht, ist oft nicht intakt. Das merkt man am Verhalten auf dem Platz, aber auch generell an der Einstellung. Die Stimmung ist schlecht. Aber ich will die Mannschaft wieder auf ein Niveau bringen, mit dem sich die Fans identifizieren können.
SPOX: Wie wollen Sie das Team wieder in die Spur bringen?
Frank: Es sind sehr viele Einzelgespräche nötig, um wieder eine klare Ordnung in der Mannschaft herzustellen. Wir müssen wieder eine Struktur auf dem Platz haben und können jetzt keine großen Sprünge erwarten, sondern müssen das Schritt für Schritt wieder herstellen. Das System, das ich mir vorstelle, müssen wir uns hart erarbeiten.
SPOX: Haben Sie dafür den geeigneten Kader?
Frank: Träumen kann man immer. Der Kader hat definitiv das Potenzial, in der Liga zu bestehen. Acht Punkte sind natürlich wenig, wir müssen hart kämpfen. Es geht darum, unsere Ideen umzusetzen, uns stetig zu verbessern und uns ständig zu überprüfen. Das ist leichter gesagt, als getan. Man muss den Spieler überzeugen, ihn aus seiner Negativphase befreien und das ist gar nicht mal so leicht, wie sich das viele Menschen vorstellen.
SPOX: Der Einstand in Koblenz ging verloren. Wie war es nach der 0:1-Pleite?
Frank: Ich habe den Jungs gesagt, dass man die Probleme nicht innerhalb kürzester Zeit lösen kann. Das ist ein Prozess, der sicher eine Zeit dauert. Aber die Mannschaft hat meiner Ansicht nach gemerkt, dass sie nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Umgang miteinander etwas ändern muss.
SPOX: Sie wirken sehr positiv. Was haben Sie in diesem Zusammenhang von Ihren Trainern Otto Rehhagel oder auch Udo Lattek mitgenommen?
Frank: Otto war immer einer, der einen sehr guten Draht zu den Spielern hatte. Das war ein ganz wichtiger Faktor. Mit Udo Lattek hatte ich einen Trainer, der unheimlich von der Motivation gelebt hat, Otto war da eher die Vaterfigur. Für diese Trainer ist man als Spieler durchs Feuer gegangen. Man muss als Trainer natürlich immer seinen eigenen Weg finden, das ist nicht ganz einfach. Es dauert, bis man selber die Abläufe verinnerlicht, bis man weiß, wie bekomme ich die Mannschaft dazu, an einem Strang zu ziehen.
SPOX: Stehen Sie immer noch in Kontakt zu Otto Rehhagel, um sich auszutauschen?
Frank: Leider eher selten. Otto war diese Woche in Mainz, leider haben wir uns verpasst. Aber ich hatte in meiner Mainzer Zeit oft Kontakt zu ihm, als er die Bayern trainiert hat. Zu Ottmar Hitzfeld habe ich regelmäßigen Kontakt. Wir haben uns erst kürzlich getroffen.
SPOX: Sie sind damals gemeinsam aus der Schweiz nach Deutschland gekommen.
Frank: Genau. Er war im Gegensatz zu mir äußerst erfolgreich, das muss ich neidlos anerkennen (lacht).
SPOX: Was hat er anders gemacht als Sie?
Frank: In unseren Gesprächen ging es oft darum, wie man mit Niederlagen umgeht. Das war ein ganz zentraler Punkt und da habe ich in den letzten Jahren viel dazugelernt. Wenn du gewinnst, ist immer alles relativ einfach. Verlierst du aber mehrere Spiele, dann kommen die unzufriedenen Spieler, die Presse, die Fans, die Sponsoren und der Vorstand. Der Druck wird immens. Es war für mich immer ganz schwierig, das zu verarbeiten.
SPOX: Wie hat sich das gezeigt?
Frank: Wenn du mit Mainz im Viertelfinale des DFB Pokals gegen die Bayern rausfliegst, ist das eigentlich normal. War es für mich aber nicht. Ottmar hatte dann das Erlebnis mit dem Spiel seiner Bayern gegen Manchester in Barcelona. Da gingen mir dann die Argumente aus (lacht).
SPOX: Wie gehen Sie heute mit Niederlagen um?
Frank: Früher wollte ich immer sehr viel in sehr kurzer Zeit. Heute kann ich auch mal verlieren, ohne gleich im Boden zu versinken. Deswegen haut mich die Niederlage gegen Koblenz auch nicht um. Wir werden wieder gewinnen und das kann schon im nächsten Spiel gegen Bremen so kommen.
SPOX: Sie haben Ihre Zeit als Trainer in Mainz angesprochen. Macht Sie die Entwicklung des FSV stolz?
Frank: Genau von dieser Entwicklung habe ich damals geträumt. Genau die Leute, die heute im Vorstand sind, habe ich vor fünfzehn Jahren gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, irgendwann einmal in der Bundesliga zu spielen. Was meinen Sie, in was für fassungslose Gesichter ich damals geschaut habe (lacht). Ich war immer ein Trainer mit Visionen. Damals war das für die Verantwortlichen des Klubs überraschend, dass da ein Trainer mit solch utopischen Ambitionen auftaucht.
SPOX: Sehen Sie sich als Weichensteller für das Mainz 05, das wir heute erleben?
Frank: Das weiß ich nicht. Ich denke, wir haben die Basisarbeit geleistet. Manager Christian Heidel hat damals noch im Autohaus gearbeitet. Das ist eine lange Geschichte, die Jürgen Klopp als Trainer immer weiter entwickelt hat. Er war damals ein Spieler von mir.
SPOX: Wie groß ist der Verdienst der Fans?
Frank: Die Fankultur ist außerordentlich. In Mainz darf man mal verlieren. Man darf auch mal nicht aufsteigen und in der nächsten Saison wieder scheitern. Der Verein und die Fans haben eine Idee gemeinsam getragen und weiterentwickelt.
SPOX: Neben den Fans tragen sicher auch Präsident Harald Strutz und Manager Heidel große Anteile am Erfolg.
Frank: Natürlich. Die beiden haben in Verbindung mit einigen anderen Verantwortlichen Großes geleistet. Sie haben eine lange Vision von einem modernen Verein mit neuem Stadion, mit einer tollen Nachwuchsarbeit und einer nachhaltigen Infrastruktur Realität werden lassen. Der Verein hat sich in all den Jahren Stück für Stück weiter entwickelt, ist gesund gewachsen und mittlerweile hochmodern.
SPOX: Wie erleben Sie Thomas Tuchel?
Frank: Christian Heidel hat mit dem Thomas natürlich einen absoluten Glücksgriff getan. Ich habe ihn ein paar Mal getroffen. Das ist ein Trainer, der ein ganz feines Gespür in Sachen Systemfragen und taktisches Verhalten hat. Er trägt die Euphorie mit seinen jungen Leuten spürbar weiter und er lebt diesen Verein und seine Philosophie.
SPOX: Sowohl Tuchel als auch Klopp werden für ihre emotionale Art geliebt. Wie stehen Sie dazu?
Frank: Ich finde es wichtig, dass man Emotionen auch zeigt und sich so gibt, wie man ist. Das ist authentisch vor den Spielern und vor allen anderen auch. Es spielt keine Rolle, ob das auf dem Zaun stattfindet oder nicht. Der Fußball lebt von der Emotion.
SPOX: Ist das Model Mainz auf andere Verein übertragbar?
Frank: Gute Frage. Es kommt letztendlich immer auf den Vorstand an. Der Vorstand muss die Macht und den Willen haben, ein solch langfristiges Konzept geduldig aber bestimmt durchzudrücken. Eine Figur wie Wolfgang Overath in Köln, erweckt beispielsweise extrem hohe Erwartungen bei den Zuschauern. Nun hat der Verein derzeit keinen Erfolg und es wird alles in Frage gestellt. Der Verein muss jetzt die Entscheidung treffen, ob er an seinem Weg festhält oder dem Druck nachgibt.
SPOX: Sind Sie der Hoffnung, dass Sie in Jena ähnliches bewegen können.
Frank: Ich hoffe es sehr. Wichtig ist, dass der Verein zur Ruhe kommt, um diese Dinge mit einer gewissen Kontinuität entwickeln zu können. Unsere Fans, die immer mit großer Begeisterung hier ins Stadion gehen, hätten es sehr verdient.
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