SPOX: Ist es ohne diese große Flexibilität heute gar nicht mehr möglich, auf höchstem Niveau Erfolg zu haben?
Schwarz: Meine feste Überzeugung ist, dass nicht die Grundordnung, sondern die Verhaltensweise entscheidend ist. Es reicht nicht mehr, nur eine Idee konsequent durchzuziehen. Man muss sich breit auffächern, gerade bei den eigenen Mustern im Ballbesitz. Wenn man sich prinzipientreu bleibt, sind es nur Nuancen, die man mit der Grundordnung ergänzen muss - egal, ob man im 4-2-3-1, mit einer Mittelfeldraute oder einer defensiven Dreierkette spielt.
SPOX: Arno Michels, Co-Trainer von Thomas Tuchel, erklärte im vergangenen Jahr im SPOX-Interview, welch großen Stellenwert in ihrer Trainingslehre auch die geistigen Fähigkeiten der Spieler haben. Tuchel legt großen Wert darauf, auch das Gehirn zu schulen. Welche Rolle spielt das bei Ihnen?
Schwarz: Definitiv auch eine große. Die Kunst ist es, die Trainingsform so zu gestalten, dass die Jungs im Unterbewusstsein Lösungen für Spielsituationen am Wochenende entwickeln. Sie müssen mitdenken, haben durch den Stress sowie viele Richtungs- und Vorgaben-Änderungen aber nicht die Möglichkeit, sich lange bewusst damit auseinanderzusetzen. Das geht nur über viele Wiederholungen und Vertiefungen in schnellen, engen Übungen. Anhand von Bildern verdeutlichen wir den Spielern diese Wege noch einmal, was letztlich dazu führt, dass sie Schritt für Schritt gedankenschneller und besser werden. Auf dem größeren Spielfeld ist es für sie am Wochenende dann psychologisch einfacher, diese Dinge umzusetzen. Ich bin hochzufrieden, wie meine Jungs das machen.
SPOX: Hat sich seit Ihrem Wechsel aus dem Jugendbereich etwas im Umgang mit den Spielern geändert?
Schwarz: Ich bin selbst überrascht, festzustellen, dass ich weder an meiner Art noch an meiner Ansprache irgendetwas verändert habe. Offensichtlich kann ich mich auch gar nicht verstellen, das würde sich geschwollen anhören. (lacht) Ich bin einfach wie ich bin. Wir fordern Dinge knallhart ein. Wenn es funktioniert, sprechen wir natürlich Lob aus, wenn mal etwas nicht wie gewünscht läuft, geben wir den Spielern Verbesserungsmöglichkeiten an die Hand - zum Beispiel mittels Video-Analysen. Der Umgang im gesamten Team ist sensationell.
SPOX: Seit der letzten Saison sind die Profivereine nicht mehr verpflichtet, eine zweite Mannschaft zu melden. Wie bewerten Sie die Tatsache, dass einige Vereine von diesem Verzicht Gebrauch machen?
Schwarz: Wie sich das bei anderen Vereinen äußert, mag ich nicht beurteilen. Bei uns gibt es aber keine zwei Meinungen: Die U23 macht auf jeden Fall Sinn. Natürlich gibt es Top-Talente, die den Sprung aus der U19 direkt in die erste Mannschaft schaffen. Das ist aber nur ein ganz kleiner Teil. Philipp Klement, Alexander Hack oder Suat Serdar sind beste Beispiele, wie man sich auch über die zweite Mannschaft für das Bundesliga-Team empfehlen kann. Den Sprung traue ich hier in Mainz auch vielen anderen zu. Im letzten Jahr kamen acht 96er-Jahrgänge aus der A-Jugend hoch, die Durchlässigkeit ist super. Schafft es ein Spieler bei uns nicht ganz nach oben, kann die U23 trotzdem ein wichtiger Zwischenschritt für ihn sein, um seinen Weg vielleicht bei einem Zweitligisten fortzuführen. Darüber freuen wir uns doch auch, wir wollen die Spieler weiterbringen.
SPOX: Gerade die vielversprechendsten Talente wollen Sie natürlich aber in Mainz durchbringen. Wie schwer ist es, sich schon im Nachwuchsbereich gegen Abwerbeversuche anderer Vereine zu wehren?
Schwarz: Natürlich wird unsere Aufgabe durch den Ruf größerer Klubs erschwert. Die Spieler müssen mit Worten wie Vertrauen oder Wertschätzung aufpassen: Jeder Verein ist darum bemüht, einem neuen Spieler Wertschätzung entgegenzubringen, um ihn zu sich zu holen. Nach vier oder fünf Wochen kehrt aber auch dort wieder Normalität ein. Die Jungs dürfen nicht in Panik verfallen oder zu früh schon eine konkrete Karriereplanung haben. Der Zeitpunkt X kommt irgendwann von ganz alleine. Allerdings vermitteln wir nie eine Überzeugung gegen einen anderen Klub. Für uns gilt es, den Spielern zu zeigen, dass der Weg Mainz 05 inhaltlich der richtige ist und sie nicht zu voreilig etwas Anderes machen sollten. Außerdem können wir auf genügend Beispiele verweisen, die den Durchbruch bei uns im Verein geschafft haben. Konstant gute Leistung wird hier belohnt. Dieses Gefühl sollen alle morgens beim Aufwachen haben.
SPOX: Fühlten Sie persönlich auch genau das, als RB Leipzig bei Ihnen Interesse hinterlegte?
Schwarz: Ich musste nicht aufstehen und sagen: 'Mainz ist es.' Denn ich war nie in einem Entscheidungsprozess drin. Ich freue mich jeden Tag nach der Verabschiedung von meiner Tochter und meiner Frau auf das Training mit meiner Mannschaft. Das war an keinem Tag anders.
SPOX: Trotzdem regte sich Ihr Präsident Harald Strutz über Leipzigs "schlechten Stil" auf.
Schwarz: Ich habe das zwar mitbekommen, jedoch musste ich selbst nie eine Entscheidung treffen. Von daher hat mich das Thema gar nicht berührt.
SPOX: Ein anderer Abgang steht dagegen fest: Christian Heidel verlässt Mainz 05 nach 24 Jahren. Wie viel Identität verliert der Verein?
Schwarz: Es gibt keine Person, die sich so mit dem FSV identifiziert hat wie Christian. Was er hier mit seinen Vorstandskollegen aufgebaut hat, ist phänomenal. Er hat diesen Verein jeden Tag mit so viel Herzblut begleitet, da ist es doch klar, dass jetzt ein Stück Mainz 05 verloren geht. Wir müssen als Gesamtverein aber damit umgehen und werden das kompensieren können. Es geht aber nicht darum, Christian Heidel eins zu eins zu ersetzen. Man kann nichts kopieren, was nicht mehr da ist. Es wird in den nächsten Jahren auch neue Ideen und Ansätze geben, die den Verein noch mal weiterbringen.
SPOX: Sie selbst haben vorerst noch einen Vertrag bis 2017. Ihr ehemaliger Weggefährte Jürgen Kramny hat gezeigt, wie schnell es gehen kann...
Schwarz: An so etwas denke ich wirklich nicht. Ich bin da, um meine Jungs jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Alles Weitere wird sich zeigen. Für Jürgen freut es mich aber ungemein. Ab und zu hören wir uns auch noch, wenn es die Zeit zulässt.
SPOX: Das heißt, die Heldentruppe von 2004 steht nach wie vor in Kontakt?
Schwarz: Na klar! Jürgen, Marco Rose, Dimo Wache, Kloppo... Wer so viel zusammen gefeiert hat, der hält auch den Kontakt. (lacht)
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