Wie kam es dann zu Ihrer Entscheidung?
Kirchhoff: Ich habe zunächst mit Jupp Heynckes und Matthias Sammer telefoniert. Die sagten: Wir sehen da etwas in dir - wenn du es dich traust, dann probiere es aus. Ich hatte in meiner Karriere noch nie vor etwas Angst und damals dachte ich, dass nur das Höchste und Größte das Ziel sein kann. Daher war es letztlich keine Frage, ob ich beim besten deutschen Verein spielen möchte. Ich bekam dann auch ein paar Hinweise, aber konnte irgendwie nicht glauben, dass Pep wirklich zu den Bayern geht. Als dies dann auch noch eintrat, war die Sache richtig rund.
Unter Guardiola arbeiteten Sie ein halbes Jahr beim FC Bayern München. Wie viele seiner Spieler haben auch Sie bereits gesagt, dass er Ihre Sicht auf den Fußball sehr verändert hat. Inwiefern war das auch erschreckend festzustellen?
Kirchhoff: Es war verrückt, weil man dachte: Zuvor verstand ich ja gar nichts. (lacht) Wie Pep das Spiel vereinfacht und zeigt, wie man zum Ball oder im Feld steht, ist schon herausragend. Es sind dutzende kleine Details, die man auch vorher vielleicht kannte. Nach zwei Monaten Training unter ihm haben jedoch so viele Dinge mehr Sinn ergeben und waren für uns Spieler so viel einfacher umzusetzen. Es macht unfassbar viel aus, wenn du einen guten Trainer hast. Das vereinfacht viele Dinge enorm, Fußballspielen wird dann fast schon leicht. Hinzu kamen die Qualität der Mitspieler und das Niveau im Training. Ich kam mir teils vor, als sei ich wieder aus der A-Jugend zu den Profis gekommen.
Viele, die diese Dinge über Guardiola sagen, behaupten andererseits, dass es ihm teilweise an menschlicher Wärme fehlen würde. Wie haben Sie ihn erlebt?
Kirchhoff: Ich habe eine ganz andere Erfahrung gemacht, hatte aber vielleicht auch eine andere Erwartungshaltung an ihn und war mit gewissen Dingen zufriedener. Für mich ist er ein extrem herzlicher, angenehmer und intelligenter Mensch, der einen umarmt, wenn man aus der Sommerpause kommt oder zur Seite nimmt, um persönliche Gespräche voller Tipps zu führen. Und wenn man ihn mit seinen Kindern und seiner Frau sieht, dann muss er auch ein toller Familienvater sein.
Durch die Zeit in München stehen in Ihrer Vita zwei Deutsche Meisterschaften, zwei Pokalsiege, ein UEFA-Supercup-Sieg und die FIFA-Klubweltmeisterschaft zu Buche. Wie blicken Sie darauf?
Kirchhoff: Ich fühle mich nicht als Meister oder Klubweltmeister und schmücke mich damit nicht. Dafür hätte ich einen größeren Anteil daran haben müssen. Die Medaillen liegen zu Hause in irgendeiner Schublade. Ich bin im ersten Halbjahr auf eine ordentliche Anzahl an Spielen bekommen, wurde allerdings immer nur eingewechselt. Das hat mich dazu bewogen, zu Schalke zu gehen.
Doch wieso bereits nach einem halben Jahr?
Kirchhoff: Ich war überehrgeizig, zu ungeduldig und auch besessen von meinem Ziel, gewisse Dinge zu erreichen. Ich konnte nicht einsehen, dass es gut ist, wenn man als 22-Jähriger aus Mainz nach München kommt und dort im ersten halben Jahr zwölf Pflichtspiele macht.
Gab es niemanden, der betont hat, dass das eine ordentliche Zwischenbilanz ist?
Kirchhoff: Doch, natürlich. Es gab aber auch welche, die gesagt haben, dass ich jung bin und spielen müsse. Pep meinte, ich solle bleiben, weil ich gerade gegen Saisonende meine Einsätze bekommen und in jedem Training etwas lernen würde. Ich wollte aber jedes Wochenende spielen und zeigen, wie gut ich bin. Ich war zu der Zeit mit Abstand der beste Fußballer, der ich in meiner Karriere war. Auf Schalke wurde ich dann beim zweiten Training von einem Gegenspieler umgetreten und war lange verletzt. Es ist sehr unglücklich gelaufen, vielleicht wäre die Zeit auf Schalke dann auch eine andere gewesen. Wenn ich aber wirklich eine Sache zurückdrehen könnte, dann hätte ich länger in München bleiben und mehr Demut zeigen sollen.
Anschließend häuften sich mediale Geschichten, die vom Absturz des Jan Kirchhoff und einem gewissen Bedeutungsverlust berichteten. Wie erging es Ihnen damit?
Kirchhoff: Ich habe das registriert, aber mir angewöhnt, dass ich keine Artikel über mich lese. Es ist leider oft so, dass die Berichte sehr vereinfacht und auf eine einzige Schlagzeile aus sind. Die Leute kennen einen nicht und wissen nichts über die Hintergründe. Ich weiß, dass die öffentliche Wahrnehmung ist, ich wäre abgestürzt. Ich respektiere jede Meinung, für mich ist das aber zweitrangig, weil es mir nicht darum geht, jemand zufrieden zu stellen.
Diese Aussagen sind sicherlich auch Ergebnis einer Entwicklung - oder dachten Sie schon immer so?
Kirchhoff: Nein, dieses Thema ist auch alles andere als einfach zu handhaben. Wenn es heißt, ihr Fußballprofis habt doch so ein schönes Leben, dann sage ich meist: Ja, wir haben ein tolles Leben, das stimmt. Es fühlt sich zum Vergleich jedoch an, als ob man durch das Training jeden Tag eine Klassenarbeit und durch die Spiele an jedem Wochenende eine Abiturprüfung vor sich hat. Und für die gibt es dann eine Note, die jeder einsehen kann und die vielleicht nicht einmal objektiv ist. Stattdessen kann es vorkommen, dass Trainer und Mitspieler deine Leistung loben, du in der Presse aber dennoch eine 5 bekommen hast. Darauf sprechen dich dann die Leute an und so weiter. Es ist ein unglaublich enormer Druck. Wenn man sich in ihm verfängt, kann einen das kaputt machen.
Sie haben vorher von Ihrem Fünfjahresplan gesprochen. Ist dort auch die Hoffnung integriert, möglicherweise doch noch einmal die Rückkehr in die Bundesliga zu schaffen?
Kirchhoff: Ich bin froh, beim KFC zu sein. Wenn mir jemand anbieten würde, morgen als vierter Innenverteidiger in die Bundesliga zu wechseln, müsste ich wahrscheinlich trotzdem nicht lange überlegen. Weil ich immer noch den höchstmöglichen Anspruch habe und auf dem höchstmöglichen Niveau spielen möchte. Keine Ahnung, ob dieser Ansatz richtig oder falsch ist, aber das bin einfach ich. Ich weiß aber: Die Chancen sind leider gering, dass dieser Fall eintreten wird. (lacht)
Sie haben sich in den letzten Jahren so häufig wieder zurück- und gegen ein vorzeitiges Karriereende angekämpft. Wie wären Sie damit umgegangen, wenn nach Magdeburg Schluss gewesen wäre?
Kirchhoff: Das hätte ich nur schwer verdauen können, allein schon vom Alter her. Es wäre kein selbst gewähltes Karriereende gewesen. Mein Antrieb während der Verletzungen war immer, selbst beeinflussen zu können, wann ich aufhöre. Ich bin daher sehr froh, dass ich noch dabei bin.