Als die Schlacht geschlagen und die Helden müde waren, machte sich Bastian Schweinsteiger auf einen letzte Weg auf. Dieser führte ihn zusammen mit Holger Badstuber und Manuel Neuer direkt unter eine Gruppe deutscher Fans, die nach dem 2:1-Sieg über die Niederlande noch auf der Tribüne verharrten.
Schweinsteigers ungewohnter Ausflug samt Trikottausch mit seinem Kumpel aus früheren Münchner Tagen Daniel Baier brachte den Sicherheitsdienst des DFB noch ein wenig mehr ins Schwitzen, war letztlich aber ein schöner Abschluss eines schönen Abends für den 27-Jährigen.
Schweinsteigers Auftritt gegen den Erzrivalen war nicht nur ein Mosaiksteinchen für den Sieg und den "nächsten großen Schritt auf dem Weg zum Ziel", wie Joachim Löw das ganze Unternehmen mittlerweile in Teiletappen verkleinert.
Ein Hort der Regeneration
Es war auch der Beweis, dass die deutsche Nationalmannschaft immer auch ein Hort der Regeneration ist für geschundene Seelen und körperlich angeschlagene Spieler und dass diese dort durch die fürsorgliche Pflege und einen ausgeklügelten Plan wieder zu alter Stärke finden können.
Als sich die deutsche Mannschaft vor zehn Tagen nach Danzig aufgemacht hat, traf sie an der polnischen Ostseeküste mit einem etwas gedämpften Optimismus und allerlei offener Fragen im Gepäck ein. Es gab einige personelle Härtefälle und Diskussionen taktischer Natur, die der Bundestrainer innerhalb von nur fünf Tagen zu regeln hatte.
Nach dem hart umkämpften, aber keineswegs schlechten Spiel gegen Portugal kommt dieser Erfolg gegen die Niederlande deshalb auch ein wenig als Bestätigung dessen daher, was sich die sportliche Leistung seit Wochen als Plan ausgedacht und bereitgelegt, und in den letzten Tagen mit dem dafür notwendigen Personal versehen hat.
Sorgenkinder bessern sich
Die Sorgenkinder, zu denen neben dem ehemals körperlich und mental angeschlagenen Schweinsteiger auch Miroslav Klose oder Jerome Boateng gehörten, machen bisher einen sehr ordentlichen Eindruck, mit der Tendenz zur weiteren Steigerung. Boateng darf nun wegen seiner Gelb-Sperre erstmal nicht mehr an, wird aber in einem möglichen Viertelfinale garantiert wieder rechts in der Viererkette verteidigen.
Dort war eine von zwei notorischen Baustellen geortet worden, die Erstbesetzung Boateng durch einen leichtsinnigen, privaten Termin unschön in die Schlagzeilen gerutscht und von Löw deshalb ins Achtung gestellt worden. Die Bringschuld, in der er jetzt stecke, hat Boateng mit zwei starken Leistungen erst gegen Cristiano Ronaldo und am Mittwoch gegen eine Handvoll holländischer Zauberer schon zum Teil getilgt.
Beim oft phlegmatisch wirkenden Boateng bleiben grandiose Rettungsaktionen im Gedächtnis wie die Grätsche gegen Ronaldo beim Stand von 0:0 und als er sich entschlossen in Wesley Sneijders Schuss warf und so den sicheren Ausgleich der Niederlande verhinderte.
Hummels und Badstuber gesetzt
Es scheint jetzt keine Frage mehr, wer den Job rechts in der Viererkette am besten ausfüllen kann, auch wenn Boatengs Offensivdrang bisher eher dezent war. Angesichts der taktischen Ausrichtung und der bestens besetzten Gegner aber auch eine verständliche Maßnahme.
Ebenso wenig Zweifel gibt es derzeit am Innenverteidigerpärchen Mats Hummel und Holger Badstuber. Hummels blieb gegen die Niederlande zwar nicht vollends fehlerlos, zeigte an der Seite Badstubers aber seine zweitbeste Leistung im DFB-Dress, nachdem er zuvor gegen Portugal schlicht überragend war.
Badstuber seinerseits spult sein Pensum bisher ab wie eine Maschine, der Münchner wackelt nicht, lässt keine Zweifel an seine Eignung aufkommen und verleiht der deutschen Mannschaft im Zusammenspiel mit Hummels das gute Gefühl, dass da hinten auch gegen die stärksten Teams der Welt nicht sofort der Notstand ausbricht.
Miroslav Klose ist nah dran
Die Episode mit Mario Gomez und dessen Treffern wurde jetzt oft erzählt. Dabei ist mindestens genauso spannend, was sich im Hintergrund so alles tut. Miroslav Klose kam bisher nur als Ergänzungsspieler zum Einsatz. Gegen Portugal deutete er an, was er gegen die Niederlande in sehr eindrucksvoller Art bestätigte: Er ist sehr nah dran an dem, was er selbst seine Bestform nennen würde.
Klose wirkt unheimlich spritzig, entwickelt sofort ein Gespür für das Spiel, wenn er zum Einsatz kommt. Seine Dynamik gegen am Ende platte Niederländer hätte beinahe noch zu zwei Treffern (einen durch Özil nach Klose-Zuspiel und einen durch Klose nach Grätsche gegen Stekelenburg) geführt.
Keine andere Nation stellt bisher einen gefährlicheren Angreifer als Gomez mit seinen drei Toren - und keine andere hat dahinter einen, der so mächtig aufkommt, dass er sofort in der Startelf eingesetzt und dort vermutlich stark auftrumpfen könnte.
Holland wie drei Bruchstücke
Joachim Löw gab sich auf der Pressekonferenz nach dem Spiel am Mittwoch so überzeugt von seiner Marschroute, wie seine Mannschaft davor auf dem Feld. "Wir hatten die Niederländer genau analysiert und ihre Schwächen herausgefunden. Wir haben gewusst, dass das Spiel von Holland auf Offensive ausgerichtet ist. Sie haben vier sehr starke Spieler, aber die Abwehr ist im Eins-gegen-Eins nicht so gut und sie haben immer große Schwierigkeiten in den Schnittstellen", erklärte Löw.
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Was ihm und seinem Scoutingteam im Vorfeld ebenfalls aufgefallen sein dürfte, war die schlechte Verbindung der niederländischen Mannschaftsteile untereinander. Wie drei Bruchstücke lagen Abwehr, defensives Mittelfeld und die vier offensiv orientierten Mittelfeldspieler und Angreifer nebeneinander, aber keiner vermochte diese Teilkompetenzen zu einem funktionierenden Gesamtwerk zusammenfügen.
Der zentrale Handlungsraum war mit Nigel de Jong und Mark van Bommel nicht so besetzt, dass es eine ausgewogenen Balance zwischen Defensive und Offensive bei den Niederländern gegeben hätte, womit es letztlich in den entscheidenden Situationen fast schon leicht war, sich bis vor das gegnerische Tor zu kombinieren.
Löw: Heftige Manöverkritik an Podolski
"Wenn wir da die richtigen Bewegungen machen und auch da reinspielen, dann haben sie normalerweise Schwierigkeiten", sagte Löw also weiter. "Es ist gut, wenn Spieler quer laufen, wenn sie in die Tiefe reingehen, wenn sie den Innenverteidiger rauslocken und dann von außen reingehen." So wie bei beiden Toren, die über die rechte Seite mit dem jungen und unerfahrenen Jetro Willems als wunden Punkt eingeleitet wurden.
Schweinsteigers Pässe waren dabei nur die offensichtliche Spitze der Kombination, die Laufwege von Thomas Müller und Mesut Özil banden aber erst de Jong auf Außen und ließen van Bommel in der Mitte alleine und einigermaßen orientierungslos zurück.
Was über die rechte Seite sehr gut funktioniert, ist gegenüber links derzeit noch eines der letzten Probleme, die es zu beheben gilt. Lukas Podolski kam auch im zweiten Spiel offensiv kaum in Tritt, werkelte sich nach einer ungewohnt heftigen Manöverkritik Löws während des Spiels aber immerhin in der Defensive irgendwie rein ins Spiel.
Ausganslage klar: Ein Punkt reicht
Trotzdem muss Podolski jetzt besser in die Gänge kommen. Am Sonntag gegen Dänemark (So., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) steht sein 100. Länderspiel an, er hat dann vor Philipp Lahm und Schweinsteiger die dreistellige Marke geknackt - muss jetzt aber auch wieder beweisen, dass er genauso wichtig fürs Team sein kann wie der Kapitän und sein Stellvertreter.
Gegen die Dänen ist die Ausgangslage jetzt klar: Mit seinem Remis oder einem Sieg ist Deutschland auf jeden Fall Gruppenerster und könnte sein Viertelfinale in Danzig und ein mögliches Halbfinale in Warschau spielen.
Angesichts der teilwiese abenteuerlichen Ausreisebestimmungen in der Ukraine - nach dem Spiel am Mittwoch hingen am Flughafen in Charkiw nahezu alle Maschinen mit Spielerfrauen, DFB-Offiziellen, Fans und Journalisten bis in die frühen Morgenstunden fest - und der Reisestrapazen ein wichtiges Ziel.
In der schwersten aller vier Vorrundengruppen geht Deutschland nach den Spielen gegen die vermeintlich stärksten Gruppengegner jedenfalls mit der Maximalpunktzahl in die letzte Partie. Ein ideales Szenario, das in der Form vor zehn Tagen nicht zu erwarten war. Seitdem wurde aber offenbar perfekt gearbeitet. Das macht Hoffnung auf mehr.
Niederlande-Deutschland: Daten zum Spiel