EM

"Jetzt lachen wir über die Holländer"

Jean-Marie Pfaff erreichte mit Belgien 1980 das EM-Finale gegen Deutschland
© getty

Jean-Marie Pfaff stand 1980 im belgischen Tor, als die Roten Teufel sensationell ins EM-Finale einzogen. Im Interview spricht er über die Pleite gegen übermächtige Deutsche, krasse Veränderungen zur heutigen Zeit und Belgiens neues Selbstverständnis. Beim Prädikat Weltklasse denkt er an vieles - aber gewiss nicht an Thibaut Courtois.

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SPOX: Herr Pfaff, Sie standen bei der EM 1980 für Belgien im Tor. War das das größte Erlebnis Ihrer Karriere?

Jean-Marie Pfaff: Ich hatte in all den Jahren viele schöne Erlebnisse, eine Europameisterschaft ist aber natürlich etwas Besonderes. Dort spielen nur die Besten mit. Ich erinnere mich an England mit Kevin Keegan oder auch die Spanier und Italiener. Das waren ganz große Teams. Es war ein wahnsinniges Turnier mit enormer Qualität.

SPOX: Sie erreichten überraschend das Finale gegen Deutschland. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Pfaff: Man hat sich damals im Ausland gelegentlich die Bundesliga angeschaut und dabei Rummenigge, Hrubesch oder Schuster bewundert. Plötzlich stand man ihnen auf dem Platz gegenüber. Alleine, dass wir im Finale in Rom gegen sie spielen durften, war schon ein riesiger Erfolg. Ich persönlich konnte mich auch auszeichnen. Das war wohl einer der Gründe, weshalb Bayern München mich zwei Jahre später verpflichtet hat.

SPOX: Nachdem Rene Vandereycken den zwischenzeitlichen Ausgleich zum 1:1 erzielt hatte, gelang Horst Hrubesch mit seinem zweiten Tor der Siegtreffer - zwei Minuten vor Schluss. Wie bitter war das?

Pfaff: Deutschland war die klar bessere Mannschaft. Sie hatten so viele gute Einzelspieler, da konnten wir qualitativ nicht mithalten. Von daher fiel es uns auch gar nicht so schwer, die Niederlage zu verkraften. Es war natürlich aber ärgerlich, so kurz vor der Verlängerung zu verlieren.

SPOX: Was fehlte Ihnen an diesem Tag, um die Deutschen vielleicht doch zu schlagen?

Pfaff: Die Überzeugung, nach dem 1:1 auch das 2:1 schießen zu können. Nachdem wir den Ausgleich erzielt haben, hatten die Deutschen plötzlich Angst. Wir haben gut gekontert und es geschafft, Briegel, Schuster und Müller beim Spielaufbau zu stören. Es gab nur eine Sache, auf die wir nicht gut vorbereitet waren.

SPOX: Und zwar?

Pfaff: Rummenigges Eckbälle. Er hat sie immer auf Hrubesch geschlagen - und der ist perfekt eingelaufen. Das hatten wir nicht auf dem Schirm.

SPOX: Mit dem Finaleinzug hatte in Belgien damals keiner gerechnet. Was machte Ihre Mannschaft so stark?

Pfaff: Wir waren der Underdog. Sicherlich wurden wir zu Beginn auch ein bisschen unterschätzt. Denn wir hatten keinen Kader voller Stars. Davon gab es bei uns vielleicht drei oder vier. Die anderen Spieler haben aber umso besser zusammengearbeitet und unseren Torjägern den Rücken freigehalten. Wir waren das Musterbeispiel für ein starkes Kollektiv, unsere Gegner hatten viel mehr Individualisten. Deutschland hatte zum Beispiel auf jeder Position mindestens einen großen Namen, das war fast schon absurd.

SPOX: Es war Ihr erstes großes Turnier. Beschreiben Sie das Gefühl, dort für die Nationalmannschaft zu spielen.

Pfaff: Ich kann heute nicht mehr ausdrücken, wie gut sich das damals angefühlt hat. Du kommst als krasser Außenseiter dahin und setzt dich dann als No-Name gegen die großen Nationen durch. Ich war damals sogar noch Amateur. Davon hatten wir nicht einmal geträumt.

SPOX: Wie war die Atmosphäre damals während des Turniers? War die Mannschaft auch so abgeschottet wie die Teams heute? Die Fans kommen an die Mannschaften überhaupt nicht mehr heran.

Pfaff: (lacht) Nein, das kann man überhaupt nicht miteinander vergleichen. Das war ganz anders. Die Fans wohnten zum Teil im gleichen Hotel wie wir. Sie feierten und tranken nach unseren Spielen bis tief in die Nacht. Da war es gar nicht so einfach, die Konzentration hochzuhalten. Heute kann man nicht mehr zu einzelnen Fans sagen: 'Komm doch mit uns ein Bier trinken.' Mittlerweile ist der Job so professionell geworden.

SPOX: Zu professionell?

Pfaff: Das will ich nicht sagen. Ich verstehe es, dass die Spieler so geschützt werden. Ohne diese Abschirmung wären sie ständig von Tausenden umringt. Wie soll man da seinen Job noch gut ausüben? Die Zeiten haben sich geändert - ohne, dass die Spieler das bewusst so wollten. Die Umstände haben es in den letzten Jahren einfach notwendig gemacht. Heute wird man in der Öffentlichkeit ja über den Haufen gerannt, alle stürzen sich auf einen. Man geht mit Stars ganz anders um als früher. Auch die Vereine tun das.

SPOX: Inwiefern?

Pfaff: Wenn wir damals ein Trikot getauscht oder in die Fans geworfen haben, mussten wir dem Verein oder Verband noch Geld bezahlen, damit der ein neues kaufen konnte. Heute ist das sogar gewollt. Es ist ja sogar Werbung, wenn die Spieler das machen.

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