Ein Pechvogel, ein Schlitzohr und eine Sensation: Warum das Viertelfinale zwischen Belgien und Italien zum Fest wurde

Kerry Hau
03. Juli 202109:33
Stellte mit seinem Traumtor zum 2:0 für Italien gegen Belgien die Weichen auf Sieg: Lorenzo Insigne.getty
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Der Schlagabtausch im Viertelfinale zwischen Belgien und Italien (1:2) war eine der interessantesten und mitreißendsten Partien dieser EM. Drei Spieler trugen einen wesentlichen Teil dazu bei.

Wir werfen einen Blick auf die Protagonisten beim Halbfinal-Einzug der Squadra Azzurra: Die Italiener Leonardo Spinazzola und Lorenzo Insigne sowie den Belgier Jeremy Doku.

Leonardo Spinazzola: Der beste und traurigste Linksverteidiger dieser EM

76 Minuten lang dürfte sich Jose Mourinho mit einem breiten Grinsen die Hände vor seinem Fernsehgerät gerieben haben. Der neue Trainer der AS Rom sah seinen zukünftigen Spieler Leonardo Spinazzola im EM-Viertelfinale wieder einmal in überragender Verfassung.

Der Linksverteidiger bereitete seinen Gegenspielern um BVB-Profi Thorgan Hazard einen Abend zum Vergessen, indem er wie schon in den ersten vier Partien der Italiener erneut mit viel Courage auftrat und das Spiel nach vorne permanent mit Sprints und Tricks im Eins-gegen-Eins ankurbelte.

Allein in Durchgang eins kreierte der Dauerläufer, der von Juventus Turin und Atalanta Bergamo einst für zu schlecht befunden worden war, drei Chancen und brachte 96 Prozent seiner Pässe an den Mann. Nach dem Seitenwechsel verhinderte er auch noch den Ausgleich durch Romelu Lukaku auf kuriose Art und Weise mit seinem Hinterteil. Doch dann kam sie, jene 76. Minute - und der bislang beste Linksverteidiger des Turniers sank nach einem weiteren Sprint mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden und hielt sich den linken Fuß.

Die Folge: Spinazzola musste unter Tränen mit einer Trage vom Platz transportiert werden. Wenig später teilte der italienische Verband mit, dass der Verdacht auf einen Riss der linken Achillessehne bestehe. Die Diagnose bestätigte sich am Samstag, der 28-Jährige wird nun mehrere Monate lang ausfallen.

"Es hat mich sehr getroffen, Leonardo in Tränen zu sehen", sagte Italiens Trainer Roberto Mancini nach dem Abpfiff. "Er hat das nicht verdient. Er war einer unserer besten Spieler dieser EM." Ein kleiner Trost für den Pechvogel: In die Elf des Turniers dürfte er nach seinen bisherigen Leistungen trotzdem gewählt werden.

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Lorenzo Insigne: Italiens Schlitzohr wird endlich zum Unterschiedsspieler

Schlitzohrige Schlenzer aus halblinker Position kann Lorenzo Insigne. Vielleicht sogar besser als alles andere. Das stellte der kleine Dribbler der SSC Neapel am Freitagabend wieder unter Beweis, als er in Minute 44 erst Youri Tielemans wie eine Fahnenstange stehen und dann Thibaut Courtois vergeblich durch den Strafraum segeln ließ.

Sein Traumtor in den Winkel - eines der schönsten des Turniers - markierte zugleich den Siegtreffer der Azzurri. "Da hat alles gepasst, ein fantastisches Tor", sagte Mancini hinterher. "Lorenzo ist ungemein wichtig für uns." Nicht nur wegen seiner Qualität im Abschluss. Dass fast alle Angriffe über die linke Seite liefen, war neben Spinazzola auch Insigne geschuldet.

Nur Marco Verratti und Jorginho, die Passmaschinen im Mittelfeld, hatten mehr Ballkontakte (104 und 85) als er (75). Allein damit - sowie mit zwei weiteren Torabschlüssen und drei Torchancenvorlagen - unterstrich Insigne seinen Einfluss auf das italienische Offensivspiel. Er sprühte nur so vor Kreaitvität. Keine Überraschung also, dass die UEFA ihn zum "Star of the Match" ernannte.

Es ist Insignes stärkstes Turnier im Trikot der Nationalelf. Auch beim 3:0-Auftaktsieg gegen die Türkei hatte der Außenstürmer (45 Länderspiele) getroffen. Mehr als seine Tore zählt aber der Gesamteindruck, den er hinterlässt. Er scheint die Rolle des ewigen, aufgrund seiner Beziehung zu Neapel häufig zu Unrecht mit Diego Maradona verglichenen Talents abgelegt zu haben und endlich zu dem Unterschiedsspieler geworden zu sein, den Italien braucht, um wieder bei einem großen Turnier erfolgreich zu sein.

Jeremy Doku: Belgiens Dribbel-Teenager weckt Aufmerksamkeit

Belgiens Offensivspiel war ob des ausgeklügelten, auf energischem Pressing basierenden Matchplans von Italiens Coach Mancini über weite Strecken stark limitiert. Wenn aber etwas mit dem Ball ging, dann nicht einzig und allein über Spielmacher Kevin de Bruyne und Stoßstürmer Romelu Lukaku, sondern auch über Jeremy Doku.

Der 19-jährige Linksaußen von Stade Rennes machte gegen Italien erst sein zweites Spiel bei dieser EM. Die Entscheidung von Trainer Roberto Martinez, Kaliber wie Yannick Carrasco oder Nacer Chadli für Doku auf der Bank zu lassen, zahlte sich aus.

Der Shootingstar holte in der Nachspielzeit der ersten Hälfte den Elfmeter zum 1:2 aus Sicht der Belgier heraus und kreierte auch in der Folge viele gute Aktionen im Spiel nach vorne. Giovanni di Lorenzo, mit 27 nicht gerade der unerfahrenste Rechtsverteidiger, hatte im Eins-gegen-Eins häufig das Nachsehen. Doku komplettierte insgesamt acht Dribblings - so viele bislang wie kein anderer Teenager seit detaillierter Datenerfassung bei einer EM oder WM.

Ein sensationeller Auftritt, der europaweit für Aufmerksamkeit gesorgt haben dürfte. Doku hatte lediglich viermal für die U21 der Belgier auf dem Platz gestanden, ehe Martinez ihn im Alter von 18 Jahren und drei Monaten zur A-Nationalelf holte. Sein Debüt feierte er am 9. Mai 2020 beim Sieg in der Nations League gegen Dänemark (2:0).

Kurz darauf wechselte er von RSC Anderlecht in die Ligue 1 zu Rennes, wo er in seiner ersten Saison zu 2317 Einsatzminuten kam und fünf Scorerpunkte (zwei Tore, drei Vorlagen) sammelte. Sein Vertrag im Nordwesten Frankreichs läuft noch bis 2025. Fraglich, ob er dort so lange bleibt, wenn er an diese EM - insbesondere an das Spiel gegen Italien - anknüpft.

EM 2021: Viertelfinale - Der Weg in der K.o.-Runde

AchtelfinaleViertelfinaleHalbfinaleFinaleHalbfinaleViertelfinaleAchtelfinale
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Italien vs. ÖsterreichEngland vs. Deutschland
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Kroatien vs. SpanienWales vs. Dänemark