Es waren nur wenige Momente, die erahnen ließen, dass da eine Fußball-Mannschaft auf dem Platz stand, die dem Vernehmen nach alles in die Waagschale werfen wollte, um ihren großen Traum zu verwirklichen.
Von Zusammenraufen war die Rede gewesen und davon, dass jeder wisse, wie dicht man vor dem ganz großen Erfolg stünde. Und dass man all die Zwistigkeiten und Diskrepanzen, die die Schlagzeilen beherrschen, ausblenden wolle, um die Kräfte zu bündeln.
Wertet man ganz nüchtern die 90 Minuten des HSV im Halbfinal-Hinspiel der Europa League gegen den FC Fulham aus, muss man festhalten: Die Mission ist grandios gescheitert.
Frappierende Labilität
Analysiert man ganz nüchtern, dann hat man einen HSV gesehen, der seinen Heimvorteil nicht nutzen konnte, weil der Mannschaft gegen einen gut organisierten und schmucklos arbeitenden Gegner nichts einfiel.Doch das ist nur die oberflächliche Sichtweise auf ein Spiel, das gemessen an seiner historischen Bedeutung für einen Klub, der verzweifelt um mehr Geltung kämpft, eine einzige Enttäuschung war.
Die Feindiagnose enthüllt freilich noch viel mehr. Erstellt man anhand der 90 Minuten von Hamburg ein Psychogramm der Mannschaft, kann man entweder zur vernichtenden Rundumkritik ausholen oder einfach nur mitleidig mit dem Kopf schütteln.
Förmlich körperlich spürbar war die Labilität der Elf von Bruno Labbadia. Kleinste Stimmungsschwankungen auf dem Platz oder im Stadion übertrugen sich sofort auf die gesamte Mannschaft.
Zwei Strohfeuer, sonst nichts
Eine gelungene Aktion in der Anfangsphase, als ein Engländer über den Ball haute und Ruud van Nistelrooy mit einem Alleingang für die Führung hätte sorgen können, sorgte sofort für Bewegung auf den Rängen und großen Aktionismus auf dem Rasen. Piotr Trochowski versuchte sich kurz darauf übermütig in seiner Paradedisziplin, dem Schuss aus der zweiten Reihe.
Für kurze Zeit waren ein Gemeinschaftsgefühl und eine gewisse Gruppendynamik spürbar, die aber genauso schnell verflogen, als sich herausstellte, dass Fulham weder geschockt reagierte, noch sich aus seiner zementierten Ordnung bringen ließ.
Der Anfangseuphorie folgte das Zaudern, dem Zaudern der Stillstand, der mit zunehmender Spielzeit fast in eine Art Lähmung überging.In der zweiten Halbzeit ein ähnliches Bild: Ein gelungenes Dribbling von Jonathan Pitroipa und ein gefährlicher Schuss sorgten für Wiederbelebung, entfachten für Minuten eine Euphorie, die weitere Torchancen einbrachte, sich aber erneut verflüchtigte.
Führungsspieler verstecken sich
Das Frappierendste an diesem Abend war, dass es offenbar niemanden gibt, der dieser HSV-Mannschaft Impulse geben und den Weg weisen kann.
Labbadia konnte es gegen Fulham nicht, und die vermeintlichen Führungsspieler versteckten sich nach Kräften. Während Kapitän David Jarolim sich immer noch das Prädikat "stets bemüht" erwerben konnte, operierte etwa ein Ze Roberto außerhalb des fürs menschliche Auge Wahrnehmbaren.
Der Rest fügte sich. Es ist beinahe schon grotesk, wenn man Fliegengewicht Jonathan Pitroipa noch das breiteste Kreuz attestieren muss.
Charakterschwache Spieler
Labbadia warf seiner Mannschaft schon im Vorfeld eher resignierend als anklagend Charakterlosigkeit vor: "Leider machen wir uns die Probleme im Moment auch selbst. Jeder hat seine eigenen Interessen. Das war vorher nicht so. Mittlerweile ist es ja so, dass sich der Trainer für jede Auswechslung rechtfertigen muss. Das merken auch die Spieler und nutzen das dann aus."
Nachher stellte er sich nur noch halbherzig vor seine Spieler, indem er auf die solide Leistung des unbequemen Gegners und die angespannte Personalsituation hinwies: "Der eine oder andere Spieler geht schon auf dem Zahnfleisch. Deswegen müssen wir zusehen, dass wir uns für Hoffenheim schnell regenerieren."
Doch Hoffenheim ist sicherlich nicht die allererste HSV-Prio, selbst wenn Platz sechs in der Bundesliga noch nicht endgültig verloren ist.
Leicht entflammbar müsst Ihr sein!
Das Finale der Europa League bleibt das Ziel und dafür gilt es sich zusammen zu reißen. Immerhin gibt es aller negativen Implikationen zum Trotz schlechtere Resultate als ein 0.0 zuhause.
So wollte denn Klub-Chef Bernd Hoffmann auch kein Fass aufmachen: "Wir müssen damit zufrieden sein. Es war klar, dass es schwer wird. Wir können auswärts immer ein Tor schießen und haben noch alle Chancen auf das Finale."
Wenn man der explosiven Gemengelage in Hamburg etwas Positives bescheinigen will, kann man sagen: So leicht die Mannschaft auch zu verunsichern ist, so leicht lässt sie sich auch in Euphorie versetzen und kann dann über sich hinauswachsen.
Und das dürfte gefragt sein in einer Woche im altehrwürdigen Craven Cottage in London. Noch einmal alle Kräfte bündeln. Hoffentlich nicht zum letzten Mal.