Ein Visagist für Kapitel neun

Von Mario Krischel
Zwei Gesichter: Schalkes Saison ist ist geprägt von einem steten Auf und Ab
© getty

Vor dem Rückspiel im Viertelfinale gegen Ajax Amsterdam (21.05 Uhr im LIVETICKER) steht der FC Schalke 04 mit dem Rücken zur Wand - mal wieder. Welches Gesicht wird Königsblau diesmal zeigen? Es erweckt inzwischen den Anschein, als verfolgten Markus Weinzierl und Gefolge ein dunkles Muster. Denn irgendwie dreht sich vieles im Kreis.

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Ein Wendepunkt ist per Definition der Zeitpunkt, an dem eine grundlegende Veränderung eintritt, oder der Punkt, an dem sich eine Bewegung in die entgegengesetzte Richtung ändert.

Im Fußballgeschäft ist jener Wendepunkt ein gerne verwendeter Begriff, um waltende Krisen hinter sich zu lassen und mit Zuversicht ein neues Kapitel zu schreiben.

Auf Schalke haben sie fleißige Autoren, wie zum Beispiel Markus Weinzierl oder Christian Heidel.

Beide waren im Sommer neu gekommen, nach einer durchwachsenen Schalker Spielzeit, die immerhin auf Platz fünf geendet hatte. Beide brachten Ideen, Hoffnungen und Tatendrang mit. "Alles" wollte Neu-Trainer Weinzierl verbessern und bekräftigte damit den Wunsch von Neu-Manager Heidel, der am Ernst-Kuzorra-Weg eine "nicht bundesligataugliche" Infrastruktur vorfand. Der Neustart sollte her.

Zehn Monate sind inzwischen vergangen. Ob das siebenundzwanzigste Zwischenfazit jetzt vom Ausgang des Rückspiels gegen Ajax Amsterdam abhängt oder nicht, es bleibt halt irgendwie wieder ein Zwischenfazit.

Acht Wendepunkte - Klassenerhalt oder Europacup?

Viel zu oft schon haben die Königsblauen in dieser Spielzeit den vermeintlich positiven Wendepunkt erreicht. Nur um eine, zwei, oder acht Wochen später wieder drei Rollen rückwärts zu schlagen.

Da wäre der Katastrophen-Start mit fünf Bundesliga-Niederlagen zu Beginn - der schlechteste S04-Auftakt der Geschichte. Natürlich würde ein mittelgroßer Kaderumbruch nicht ohne Folgen bleiben, hatten sie beigepflichtet, Sie, die Autoren Weinzierl und Heidel, forderten vehement Geduld und Ruhe.

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Beides bekamen sie. Vor allem Letzteres wirkte von der äußeren Betrachtung doch überraschend. Ruhe? Auf Schalke? Mit diesem - nun ja - nicht pflegeleichten Publikum? Aber sie schafften es, irgendwie, das Umfeld von "ihrem Weg" zu überzeugen.

Früchte trug dieser erstmals ab Ende September: Das 4:0 gegen Gladbach war der Auftakt - der erste Wendepunkt - zu erfolgreichen Wochen. Zwei Monate blieben sie ohne Niederlage. Aus dem Kampf um die Klasse wurde wieder ein winkendes Europacup-Ticket in der Ferne. Jetzt müsste man zusehen, sich eine gute Ausgangslage zu verschaffen, um dann die internationalen Fleischtöpfe im neuen Jahr anzugreifen, prophezeiten sie, Heidel und Weinzierl.

Doch dann, irgendwie, brach alles wieder in sich zusammen. Eine Pleite in Leipzig Anfang Dezember - der zweite Wendepunkt - leitete die neuerliche Misere ein. Bis zum Jahresende sollte kein Erfolgserlebnis mehr bejubelt werden. Auch der Start ins neue Jahr verlief wenig berauschend. Die Abstiegsränge rückten bedrohlich nah. Das hatte man sich so natürlich nicht vorgestellt, versuchten Heidel und Weinzierl zu erklären.

Die Ausflüchte klingen vertraut

Ein Remis in München sollte abermals, irgendwie, ein kleiner Wendepunkt sein - der dritte. Drei Siege und drei Remis später durfte, oder wurde wieder von der Europa League gesprochen. Zudem tanzte Schalke noch auf drei Hochzeiten.

Tanzte. Vergangenheit.

Ein deutliches Pokalaus, ein weiterer Auf- und mehrere Abschwünge in der Bundesliga, ein erneuter Systemwechsel und das Europa-League-Viertelfinale bedeuteten bis heute fünf weitere kleine bis mittelgroße Wendepunkte in der jüngeren S04-Historie.

Man mag es dem Schalker Fan verzeihen, wenn ihm langsam schwindelig ist. Da freut er sich noch über einen sehr guten Auftritt beim 4:1 gegen Wolfsburg, nur um fünf Tage später wieder ins Kissen zu schreien, weil seine Mannschaft gegen Ajax so dermaßen unterlegen ist, dass auch der letzte Strohhalm der Saison davon zu schwimmen scheint.

Immerhin ist ihm das, was danach kommt, vertraut.

"Wir haben nicht das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben", erklärt Markus Weinzierl das 0:2 in Amsterdam. Zumindest versucht er es zu erklären. Er könnte genauso gut vom 0:3 in München oder vom 0:3 in Bremen reden. Das, was er sagt, klingt irgendwie immer gleich.

Weinzierl unter Beschuss

Die Geduld, die dem Trainer zu Saisonbeginn und auch noch zur Saisonmitte gewährt wurde, ist längst dahin. Eine Verbesserung zur Vorsaison ist nicht in Sicht, im Gegenteil.

Zwar erhält Weinzierl weiterhin permanente Rückendeckung von seinem Manager - was zumindest mal ein Upgrade zum Vorgänger-Duo Heldt/Breitenreiter ist - doch auch mit ihm wird auf Schalke scheinbar wieder dasselbe alte Lied angestimmt. Immer dann, wenn sich die Chance ergibt, einen entscheidenden Satz nach vorne zu machen, vergeigen sie es.

Mit einem Sieg in Darmstadt hätte Königsblau erstmals seit Ende letzter Saison wieder auf einen Europa-League-Rang klettern können.

Stattdessen sah sich Christian Heidel nach einem weiteren "unglücklichen" Auftritt gezwungen, den mitgereisten Anhängern am Metallzaun des Gästeblocks Rede und Antwort zu stehen. "Was sollen wir denn machen?", entgegnete er ihnen dort. "Huntelaar krank, Höwedes verletzt. Wir haben keine Leute mehr." Er könne natürlich nachvollziehen, dass die Fans enttäuscht sind.

Eine Frage der Qualität

Wenig später, inzwischen in den Katakomben des Jonathan-Heimes-Stadions angekommen, wurde Heidel dann doch ein bisschen deutlicher. "Wenn ich sagen würde, ich hätte schon bessere Tage gehabt, wäre es leicht untertrieben. Es ist alles schief gelaufen. Die Art, wie das 2:1 für Darmstadt fiel, hat auch gepasst. Am Ende gehen wir als Verlierer vom Platz, was eigentlich gar nicht möglich war. Aber uns passiert so etwas in dieser Saison."

Doch auch in dieser Saison, in dieser Umbruchs- und Neustart-Saison, ist es eigentlich kein neues Bild - diese fehlende Konstanz. Auf und ab und ab und ab. Und irgendwann wieder auf.

Alles nur Kopfsache? Nicht so ganz, gibt Leon Goretzka ehrlich zu. "Konstanz ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Aktuell fehlt uns vielleicht ein bisschen Qualität, um Woche für Woche an die Leistungsgrenze zu gehen. Wenn wir die Grenze erreichen, sind wir gut. Das haben wir schon oft genug bewiesen."

Wie zum Beispiel gegen Wolfsburg oder in Gladbach. Dummerweise, und das ist anscheinend der entscheidende Faktor, gesellt sich immer wieder ein "aber" dazu. In der Tat ist Schalke in der Lage, hervorragenden Fußball zu zeigen, "aber wir machen es viel zu selten."

Was Schalke jetzt noch Mut macht

Gleichwohl gibt es auch Aspekte, die nach wie vor für Königsblau sprechen. Wer hatte nach der unterirdischen Darbietung beim 0:1 gegen Frankfurt Ende Januar damit gerechnet, dass S04 in der folgenden Woche beinahe drei Zähler aus der Allianz-Arena entführt? Wer hätte gedacht, dass die Knappen nach einem desaströsen Auftritt in Mönchengladbach (2:4) nur wenige Tage später gegen selbige Borussen in der Europa League die Tür zum Viertelfinale aufstoßen?

"Wir Schalker sind dafür bekannt, dass wir aufstehen", meinte Ralf Fährmann noch nach dem Hinspiel bei Ajax, als er sein Team allein vor einer aussichtslosen Ausgangslage vor dem Rückspiel bewahrt hatte.

Fährmann hat es möglich gemacht, dass nun vielleicht der neunte Wendepunkt in dieser Saison folgt. Sollte bei der Halbfinal-Auslosung am Freitag allerdings keine Kugel mit einem runden, blau-weißen Logo zu finden sein, dann würde aus einer bislang durchwachsenen Saison eine Total-Enttäuschung werden.

"Dass der Druck ziemlich groß ist, sollte jedem klar sein", warnt Leon Goretzka daher und gibt gleichzeitig die Marschrichtung vor. "Wir müssen in erster Linie zusehen, dass wir uns am Donnerstag auf dem Platz zerreißen."

Außerdem müssten er und die Mannschaft ein ganz anderes Gesicht zeigen als im Hinspiel. "Das sind wir den Fans schuldig."

Vielleicht ja das letzte Gladbach-Gesicht. Dann könnten sich die Anhänger wohl auch etwas behutsamer darauf einstellen, wenn sie am Wochenende wieder das Darmstadt-Gesicht sehen.

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