Frankfurts Sportdirektor Fredi Bobic blickte zu gleichen Teilen hilflos und skeptisch drein, als er eine knappe Viertelstunde vor Anpfiff am DAZN-Mikrofon erklären sollte, was da vorgefallen war zwischen der Polizei und den Frankfurter Ultras, die als Reaktion auf verstärkte Einlasskontrollen eine penibel geplante Choreographie abgeblasen hatten. Die Polizei habe noch ein Plakat weggenommen, "dann hat sich das aufgestaut" - aber so ganz genau wisse er es auch nicht.
Und nun? Würde die Leidenschaft der Eintracht-Fans, deren Folien in großer Zahl einfach in den Innenraum gepfeffert worden waren, in Unmut, vielleicht sogar Aggression umschlagen? "Das hoffe ich nicht. Ich bin mir sicher, dass die Unterstützung da sein wird", sagte er. Schließlich spiele man vor ausverkauftem Haus.
Ziemlich genau zwei Stunden später brach kollektiver Jubel aus im weiten Rund. Fast alle der 47.000 Anhänger feierten das 4:1 und den damit verbundenen Einzug ins Achtelfinale, als wäre es der Titel - und Bobic hatte Recht behalten: Über die 90 Minuten Spielzeit hatten die Eintracht-Fans ihr Team unterstützt, als gäbe es kein Morgen.
Nun herrschte selige Verzückung auf den Rängen, Choreo hin oder her. Es gibt ja ein weiteres Heimspiel. Mindestens.
Eintracht Frankfurt im Achtelfinale: "Das sind die magischen Momente"
Es war keine Überraschung, dass sich die Mannschaft, die zuvor fünf Spiele in Folge nicht gewonnen hatte, für diese Atmosphäre bedanken und sie so lange wie möglich auskosten wollte. So lange wurde am Sechzehner vor der Nordwestkurve gefeiert, gelauscht, gesungen und getanzt, dass die für die Interviews zuständigen Reporter Überstunden machen mussten. "Die Jungs kommen gar nicht aus der Kurve", stellte Bobic fest. "Das sind die magischen Momente."
An den Mikrofonen herrschte im Anschluss Begeisterung. "Es hat geknistert", sagte Sebastian Rode, "Die Fans haben uns 90 Minuten nach vorn gepeitscht", jubelte Danny da Costa. Von einer "fantastischen Stimmung" schwärmte Kapitän David Abraham, und Keeper Kevin Trapp meinte, er habe "selten so etwas Lautes gehört" wie die Reaktion auf Sebastien Hallers 3:1. 47.000 die klangen, als hätten sich die über 700.000 Einwohner der Stadt in der Commerzbank-Arena eingefunden.
Das erste europäische Achtelfinale seit dem UEFA Cup 1994. Zwölf Spieler des aktuellen Kaders waren da noch gar nicht geboren.
Jovic, Haller, Rebic: Eintracht-Sturm macht alle vier Tore
Wieder einmal konnte sich Trainer Adi Hütter auf seine "Büffelherde" im Sturm verlassen, die alle vier Tore verzeichnete. Der von europäischen Topklubs umworbene Stürmer Luka Jovic, der mit einer perfekten Direktabnahme den ersten Schuss der Eintracht auf Andriy Pyatovs Kasten direkt im Netz unterbrachte, erzielte sein sechstes Tor im laufenden Wettbewerb.
Nebenmann Sebastien Haller, im Hinspiel noch auf der Bank, schraubte sein Konto per Doppelpack auf fünf hoch und brachte im entscheidenden 3:1 sogar noch eine Hommage an Jan-Aage Fjörtoft unter, der die Eintracht einst ebenfalls per Übersteiger-Tor vor dem Abstieg bewahrt hatte.
Ante Rebic machte als Joker den Sack zu.
23 Tore haben die Adler nach sieben Siegen und einem Remis nun schon auf dem Konto, das ist die Bestmarke im laufenden Wettbewerb - und deutscher Rekord: Werder Bremen hatte 2009/10 nach acht Spielen der Europa League 21 Treffer erzielt.
Eintracht Frankfurt: Abwehr lässt wenige Chancen zu
Die Defensive, die Schachtjor über 60 Minuten nahezu komplett ausschaltete - für Bobic vom Kaliber her "eine Champions-League-Mannschaft" -, hatte ebenfalls ein Lob verdient. Zwar sorgte ein Abstimmungsfehler in Kombination mit Pech bei Trapps Parade für den Anschluss, was 15 heikle Minuten und zwei Lattentreffer der Gäste zur Folge hatte, davon abgesehen stand die Dreierkette mit dem für Gelson Fernandes in die Dreierkette gerückten Abraham aber sicher. Und so war der am Ende nicht unzufrieden: "Wir haben trotz ihrer Qualität recht wenig zugelassen."
Macht in der Kombination ein "taktisch, technisch und kämpferisch ein tolles Spiel", wie Hütter lobte. "Das war absolut unsere beste Saisonleistung", nun müsse man die gleiche Leistung auch in der Liga zeigen. Da ist man auf Platz sieben abgerutscht. Eine Leistungssteigerung ist nötig, will man im nächsten Jahr wieder international spielen.
Achtelfinal-Auslosung am Freitag: Auf wenn trifft Frankfurt?
Oder man gewinnt das Ding einfach und tritt 2019/20 in der Königsklasse an. Darüber wollte von den Protagonisten am Donnerstagabend niemand träumen, schließlich müsste man dafür noch vier weitere Runden gegen hochkarätige Konkurrenz gewinnen. Er wolle zwar gern nach Baku zum Finale, sagte Haller, warnte jedoch: "Wir müssen bescheiden bleiben" und den Traum weiterleben.
Ein Lieblingsgegner wird die Eintracht bei der Auslosung am heutigen Freitag in Nyon (ab 13 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER) aber ganz sicher nicht sein. Auch nicht für die Arsenals, Chelseas, Napolis oder Inters dieser Welt. Mit dem produktivsten Angriff, mit zwei Europa-League-Topscorern in Haller und Jovic und dem spätestens nach Donnerstag unbestreitbar besten Heimvorteil muss erst einmal gestritten werden. Auch die absoluten Topklubs werden der SGE lieber aus dem Weg gehen wollen.
"Jede Mannschaft in Europa wird es schwer haben, gegen dieses Stadion mit dieser Atmosphäre zu gewinnen", drohte Eintracht-Präsident Peter Fischer.
Ähnliche Vorbehalte herrschten bei den siegreichen Frankfurtern nicht vor, in der Europa League kann man offenbar jeden schlagen. "International haben wir bislang überragende Leistungen gezeigt", sagte Hütter, und Makoto Hasebe äußerte sogar einen Lieblingsgegner: "Mein Wunschlos wäre jetzt Arsenal."
Träumen ist spätestens jetzt erlaubt.