"Wir sind jedem suspekt"

Von Interview: Haruka Gruber
Herzlich willkommen zum Sport-Internat der etwas anderen Art. Die "ASPIRE Academy for Sports Excellence"
© Imago

München - Katar will sich mit aller Macht als Sport-Großnation etablieren. Dafür wurde mit der ASPIRE Academy eine weltweit einzigartige Sport- und Weiterbildungsstätte für Talente aus aller Welt gegründet.

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Im Interview mit SPOX.com spricht ASPIRE-Sportdirektor Dr. Andreas Bleicher über die skeptische Öffentlichkeit, Nachwuchsfußballer mit 26 Geschwistern und die Zusammenarbeit mit der FIFA.

SPOX: Werden Sie von Ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt, wenn auf der Welt mehr Benzin verbraucht wird?

Dr. Andreas Bleicher: Wie kommen Sie darauf?

SPOX: Die Ölreserven gehen zur Neige und dadurch wäre Katar - so ist zu lesen - mittelfristig auf den Tourismus als Einnahmequelle angewiesen. Und Erfolge im Sport sind nun mal die beste PR, um Touristen anzulocken.

Bleicher: Man darf nicht den Fehler machen und Katar mit Dubai verwechseln. Die Ölreserven in Dubai reichen tatsächlich nur noch 30 bis 40 Jahre, in Katar hält es deutlich länger.

SPOX: Warum investiert Katar dann derart in die ASPIRE Academy?

Bleicher: Es stimmt schon, dass der Staat sich als Ziel gesetzt hat, neben dem Ausbildungssektor aus Renommee-Gründen auch den Sport- und Tourismusbereich zu stärken.

SPOX: Es geht demnach um Ansehen - und nicht so sehr um die Wohltätigkeit, auf die sich die Akademie so häufig beruft?

Bleicher: Die bleibt bestimmt nicht auf der Strecke. Auch wenn die Öffentlichkeit einfach nicht verstehen kann oder will, dass es Leute gibt, die viel Geld ausgeben, nur um anderen Leuten zu helfen - und nicht nach Profit streben. Deswegen ist es jedem suspekt, was wir machen.

SPOX: In der Tat gibt es Zweifel über die Motive von ASPIRE. Können Sie ausschließen, dass zum Beispiel das gigantische Casting mit über 400.000 Fußball-Talenten in Afrika durchgeführt wurde, um neue Nationalspieler für Katar zu rekrutieren?

Bleicher: Ich schließe es definitiv aus, auch wenn es uns keiner glaubt. Aber das ist mir egal. Wir werden weiter so arbeiten wie jetzt und vielen unterprivilegierten Menschen helfen.

SPOX: Die FIFA soll vom Casting aber nicht begeistert gewesen sein.

Bleicher: Das stimmt nicht. Wir hatten FIFA-Präsident Sepp Blatter vor einigen Wochen in ASPIRE zu Besuch und bereits zuvor gab es mit der FIFA in Zürich sehr gute Gespräche.

SPOX: Seitens der FIFA gibt es also keine Befürchtungen, dass sich Katar mit Hilfe von ASPIRE eine brasilianisch-nigerianisch-kamerunische Nationalmannschaft aufbaut?

Bleicher: Ob sie Angst hat oder nicht, weiß ich nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Hauptaugenmerk der FIFA auf das kleine Katar gerichtet ist, wenn gleichzeitig bei der EM Brasilianer für die Türkei, Spanien oder Portugal auflaufen.

SPOX: Es klingt, als ob Katar selber überlegt, Ausländer einzubürgern.

Bleicher: Wir werden uns jede Option freihalten - so wie es jedes andere Land auch macht. Nehmen wir ein Szenario: Ein Stipendiat kommt mit 14 aus Afrika zu uns, bleibt für ein paar Jahre und sagt mit 19, 20 Jahren von sich aus: 'Ich will für Katar spielen.' Warum sollen wir ihm den Wunsch abschlagen? In Frankreich oder Deutschland mit Lukas Podolski oder Miroslav Klose ist das doch auch gang und gäbe. Aber um das klarzustellen: Die Stipendien sind in keiner Weise mit dem Zwang verbunden, die Staatsbürgerschaft zu wechseln.

Alles nur vom Feinsten: Die ASPIRE Academy in Bildern!

SPOX: Von einigen Menschenrechtsorganisationen gibt es dennoch Kritik.

Bleicher: Ich äußere mich nicht offiziell zu solchen Statements. Wer schon einmal in Afrika war und gesehen hat, in welchen Verhältnissen die Menschen leben, kann abschätzen, was wir leisten. Ein Beispiel: Eins von den 24 Kindern, die zum Finale nach Doha eingeladen wurden, hat 26 Geschwister. Und ihm gaben wir eine Chance auf eine schulische und sportliche Ausbildung auf höchstem Niveau. Wer jetzt behauptet, dass wir ihn und die anderen Kinder ausnutzen, der hat überhaupt keinen Plan von irgendetwas.

SPOX: Immerhin kooperiert ASPIRE mit den Vereinten Nationen.

Bleicher: In den letzten Jahren gab es doch hunderte abschreckender Beispiele, wenn junge Afrikaner nach Europa wechselten und von windigen Beratern mit Dollar-Zeichen in den Augen betrogen wurden. Wir gehen hingegen sehr verantwortungsvoll an die Sache heran und sehen die Kinder quasi als unsere Kinder an. Unser Ziel ist es nicht, aus den Kindern Geld zu machen. Das hat Katar nicht nötig.

SPOX: Was Katar aber nötig hat, sind sportliche Erfolge.

Bleicher: Letztlich erhoffen wir uns, dass in ein paar Jahren einige der besten Spieler der Welt von uns entwickelt wurden. Spätestens 2018 peilt Katar im Fußball mit einem Stamm an ASPIRE-Absolventen die WM-Qualifikation an.

SPOX: Wo stehen die ASPIRE-Jugend-Teams aktuell im internationalen Vergleich?

Bleicher: Beispielsweise hat eine unserer Fußballmannschaften den FC Porto mit 3:2 besiegt. Wir behaupten nicht, dass wir sie alle schon weg hauen. Das wäre vermessen, wir sind ein kleines Land mit 800.000 Einwohnern. Aber das Niveau bei den Sportarten, die wir fördern wie Fußball, Leichathletik oder Tischtennis...

SPOX: ... mit Nationaltrainer Steffen "Speedy" Fetzner...

Bleicher: ... ist sehr hoch. Im arabischen Raum sind wir führend, und dann ist der Weg bis zur Weltspitze auch nicht mehr allzu weit. 

SPOX: Dennoch wird es wohl noch eine Weile dauern, bis sich Katar als sportliche Großmacht etabliert. Wie ungeduldig ist Katars Königsfamilie?

Bleicher: Wir haben immer betont, dass es Zeit braucht. Damit sich ein Athlet vernünftig entwickelt, muss man locker zehn Jahre veranschlagen. Und so sieht es auch die Königsfamilie. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass sie die Geduld verliert. In den viereinhalb Jahren, seitdem ich in Katar bin, kam auf jeden Fall noch keiner an und drohte mir mit Entlassung.

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