Grafite: "Vielleicht ein Haus auf der Palmeninsel"

Florian Bogner
10. August 201113:21
Ex-Bundesliga-Torschützenkönig Grafite steht seit Juli 2011 beim Al-Ahli Club in Dubai unter Vertragal-ahli club
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Nach vier Jahren beim VfL Wolfsburg kehrte Grafite der Bundesliga den Rücken und wechselte zum Al-Ahli Club nach Dubai. Im Interview spricht der 32-Jährige über den Reiz neuer Erfahrungen, seinen Respekt vor Felix Magath und eine mögliche Rückkehr nach Deutschland. Von seinem Ex-Sturmpartner Edin Dzeko erwartet er den Durchbruch.

SPOX: Grafite, was sind Ihre drei prägnantesten Erinnerungen an Ihre Zeit in Deutschland, die vielleicht nicht jeder Fan mitbekommen hat?

Grafite: Nur drei? (lacht) Puh, da gibt es einige. Mit einem Rallye-Auto auf einer abgesperrten 'VW'-Rennstrecke rumkurven zu dürfen, war beispielsweise sensationell. Ich werde auch nie eine Trainingseinheit im Winter bei minus 20 Grad vergessen. Und einmal, 2008 im Trainingslager in der Schweiz, da sind wir solange einen riesigen Berg hoch gelaufen, bis mir übel wurde.

SPOX: Was werden Sie am meisten vermissen?

Grafite: Ich vermisse jetzt schon eine Menge Dinge. Meine ganzen Freunde, zum Beispiel. Über die Jahre habe ich viele Menschen in Deutschland kennen und mögen gelernt und es ist schwierig, jetzt von ihnen getrennt leben zu müssen. Genau so werde ich auch den deutschen Fußball vermissen.

SPOX: Was haben Sie in Deutschland gelernt?

Grafite: Pünktlich sein! (lacht) Wenn das Training um 9 Uhr losgeht, musst du spätestens um 8.55 Uhr auf dem Platz stehen. Die deutsche Pünktlichkeit ist wirklich beeindruckend.

SPOX: Was nehmen Sie mit?

Grafite: Ich habe viel Erfahrung gesammelt und noch mehr gelernt. Nach dieser Zeit in Deutschland fühle ich mich als Mensch gereifter und als Spieler noch kompletter.

SPOX: Warum jetzt der Schritt zum Al-Ahli Club in die Wüste Dubais?

Grafite: Das haben mich schon viele gefragt und ich antworte immer: Weil ich es für die beste Lösung halte! Ich habe beim VfL meine größten Erfolge gefeiert, bin Deutschlands Fußballer des Jahres, deutscher Meister und Torschützenkönig geworden. Mit 32 Jahren ist es jetzt aber an der Zeit, zusammen mit meiner Familie etwas Neues zu entdecken.

SPOX: Das heißt konkret?

Grafite: Ich will mich menschlich und was meine Professionalität angeht noch mal weiterentwickeln. Dafür muss man die Veränderung suchen. Der Fußball in Dubai ist anders, die Kultur erst recht. Es gibt viel zu lernen und zu entdecken. Außerdem war die sportliche Leitung von Al-Ahli wirklich sehr herzlich und hat keine Mühen gescheut, mich ins Team zu holen.

SPOX: Geld dürfte auch eine Rolle gespielt haben.

Grafite: Ich hatte zwei Optionen: in Europa bleiben oder nach Dubai gehen. Nach Brasilien will ich jetzt noch nicht zurück. Es gab auch Angebote von Klubs, die schon zwei Jahre lang hinter mir her waren, aber Al-Ahli hat mich einfach überzeugt.

SPOX: Womit?

Grafite: Natürlich spielte auch das Finanzielle eine Rolle. Aber die Stadt Dubai ist auch toll und die Trainingsbedingungen sind fantastisch. Das ganze Projekt reizt mich einfach.

SPOX: Wie ist Ihr erster Eindruck vom Team?

Grafite: Sehr gut! Der Klub, das Trainerteam und die Spieler haben mich sehr herzlich in Empfang genommen, was mir den Einstieg erleichterte. Und die Mannschaft ist nicht so schlecht, wie es vielleicht den Anschein hat. Wir könnten in einigen der großen Ligen mithalten, auch wenn die Liga nicht das Niveau der Bundesliga hat. Aber ich bin hier, um Titel zu gewinnen.

SPOX: Und die Stadt?

Grafite: Die ist ein bisschen verrückt, aber im positiven Sinne. Die Skyline haut einen um, es ist wirklich unglaublich. Ich denke, ich werde mich hier wohlfühlen.

SPOX: Wissen Sie schon, wo Sie leben werden? Vielleicht im riesigen Wolkenkratzer 'Burj Khalifa' oder auf der 'Palm Jumeirah', der künstlich aufgeschütteten Palmeninsel?

Grafite: Ja, vielleicht wirklich auf dieser Insel. Ich weiß es noch nicht, ich sehe mich gerade noch um.

Teil 2: Grafite über Magath, Dzeko, Wolfsburgs Krise und eine mögliche Rückkehr

SPOX: Bei Wolfsburg hätten Sie mit Mario Mandzukic, Srdjan Lakic und Patrick Helmes große Konkurrenz gehabt. Sind Sie diesem Konkurrenzkampf lieber aus dem Weg gegangen?

Grafite: Nein, mein Wechsel hatte nichts damit zu tun. Die genannten Gründe gaben den Ausschlag. Allen voran der Wunsch, mich noch mal zu verändern.

SPOX: Hand aufs Herz - wer war Ihr bester Mitspieler in Wolfsburg? Edin Dzeko? Zvjezdan Misimovic?

Grafite: Unfair! (lacht) Es ist wirklich schwer zu sagen, weil sie beide großartige Fußballer sind. Ich kann mich nicht zwischen ihnen entscheiden, weil sie beide in Wolfsburg soviel erreicht haben und auch mir als Mitspieler viel geholfen haben. Wir hatten eine schöne Zeit, aber jetzt sind wir alle unseren Weg gegangen.

SPOX: Edin Dzekos Weg führte zu Manchester City. Sein Start war verhalten - wird er sich noch durchsetzen?

Grafite: Es ist normal, dass er dort nicht die volle Einsatzzeit bekommt wie zuvor bei Wolfsburg. Außerdem musste er sich erst auf den englischen Fußball umstellen. Aber ich bin mir sicher: er wird sein volles Potenzial noch unter Beweis stellen.

SPOX: Dzeko ging für über 30 Millionen Euro. Gab es solche Angebote auch für Sie?

Grafite: Ich hatte zwar ein paar Angebote, aber nicht so eins wie Edin. Natürlich waren einige Klubs an mir interessiert, aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich Wolfsburg noch mehr geben könnte. Außerdem habe ich mich immer wohlgefühlt. Also blieb ich - in den guten und in den schlechten Zeiten.

SPOX: Beschreiben Sie uns Felix Magath.

Grafite: Magath ist ein sehr anspruchsvoller Coach, aber das ist ja bekannt. Er verlangt von jedem Spieler, dass er sein Maximum abruft und das ist auch sein gutes Recht. Vielleicht mögen ihn viele Leute deswegen nicht, aber ich habe großen Respekt vor seiner Professionalität. Ich weiß, was er zu leisten im Stande ist - und viel wichtiger: was eine Mannschaft unter ihm zu leisten im Stande ist.

SPOX: Mit etwas Abstand: Können Sie Gründe für den Absturz in der letzten Saison benennen?

Grafite: Schwierig. Eigentlich sah es so aus, als wären wir auf einem richtigen Weg. Der Kader ist vor der Saison noch mal verstärkt worden, wir haben eine gute Vorbereitung hingelegt. Und dann ging alles den Bach runter. Wir mussten erkennen, dass ein guter Kader nicht automatisch bedeutet, dass man auch eine gute Mannschaft auf dem Platz hat. Wir haben es nicht geschafft, die Einzelteile zusammenzufügen und ein harmonisches Verhältnis aufzubauen. Aber so ist das manchmal im Fußball...

SPOX: Denken Sie eigentlich noch ab und zu an die WM 2010, bei der Sie mit Brasilien im Viertelfinale scheiterten?

Grafite: Nein, das ist Vergangenheit. Alles in allem war es trotzdem eine schöne Erfahrung für mich. Ich versuche immer, die positiven Dinge mitzunehmen und das gilt auch für die Weltmeisterschaft.

SPOX: Was denken Sie über die heutige Selecao und Ihre Chancen bei der nächsten WM?

Grafite: Mir gefällt der neue Weg. Ich denke, die Selecao hat erneut viele gute Spieler in ihren Reihen, die das Potenzial haben, noch stärker zu werden. Ich finde es ist eine verheißungsvolle Generation, die bei der WM in Brasilien ein starkes Team stellen wird, das man erst mal schlagen muss.

SPOX: Grafite, da das Interview langsam zu Ende geht, wird es Zeit für ein paar Abschiedsworte an die Bundesliga.

Grafite: Oh je, wo soll ich da anfangen? Ich muss mich wirklich bei allen Wolfsburgern für ihre Liebe und Hingabe in den letzten Jahren bedanken. Ich habe mich sehr wohl gefühlt, Deutschland wird für immer einen Platz in meinem Herzen einnehmen. Ich bewundere die Deutschen und bin sehr dankbar dafür, dass ich dort leben durfte.

SPOX: Kommen Sie eines Tages zurück oder beenden Sie ihre Karriere in Dubai?

Grafite: Ich habe nicht vor, meine Karriere in Dubai zu beenden. Ich würde gerne noch mal in Brasilien spielen, aber ich würde eine Rückkehr nach Deutschland niemals ausschließen. Allein deshalb, weil ich dort eine sehr glückliche Zeit hatte.

Teil 1: Grafite über die Herausforderung Dubai und Dinge, die er vermissen wird