Schon immer war Vitesse Arnheim gut für Slapstick und Skandale. Doch nun schickt sich der niederländische Klub an, die Früchte der Jugendarbeit zu ernten. Millionen des Georgiers Merab Jordania helfen dabei.
Slapstick in der Eredivisie und Vitesse Arnheim ist mittendrin statt nur dabei - mal wieder: Es war der Februar 2011, Arnheim empfing De Graafschap.
Michihiro Yasuda spielt einen weiten Pass aus dem Mittelfeld auf den eigenen Keeper. Der Ball würde neben das Tor gehen und eine gegnerische Ecke bedeuten, doch Arnheim-Torwart Eloy Room will retten, was nicht zu retten ist. Sein Rettungsversuch geht in die Hose und er legt den Ball für den gegnerischen Stürmer perfekt auf - das Tor ist leer. Der Angreifer stellt sich aber ähnlich ungeschickt an und schiebt den Ball einige Meter neben den verwaisten Kasten.
Das ist Vitesse Arnheim: Ein Verein, bei dem es oft abenteuerlich drunter und drüber geht.
Zuletzt ging es Ende der 90er Jahre heiß her in Arnheim. Da brachten Betrugsvorwürfe gegen den damaligen Präsidenten Karel Aalbers den Verein an den Rand des Konkurses. Ungereimtheiten beim Stadionneubau und Transfers traten ans Licht. Schulden in Höhe von 27 Millionen Euro wurden bekannt. Die Stadt half. Gläubiger wurden besänftigt. Vitesse Arnheim gerettet. Seitdem wird das Arnheimer Fußballteam als FC Hollywood aan de Rijn - FC Hollywood am Rhein - bezeichnet.
Große Verwirrung um Investor
Feinstes Broadway-Theater gab es zu Beginn der Saison 2010/2011 erneut. Es fehlen diesmal "nur" sechs Millionen Euro. Der ausländische Investor Merab Jordania übernimmt den Klub und hilft. Seitdem liegt das Schicksal des kleinen Vereins in seinen Händen. Und dies scheint sich als wahrer Glücksfall zu erweisen. Dabei soll der Georgier laut englischen Medienberichten lediglich ein Strohmann von Roman Abramowitsch sein.
Nicht nur, dass beide befreundet sind: Sofort nach der Übernahme kamen mit Slobodan Rajkovic (jetzt HSV), Nemanja Matic, Matej Delac und Nacer Barazite vier Ausleihspieler des Abramowitsch-Klubs FC Chelsea an den Rhein. Außerdem sollen nach einem Bericht der niederländischen Zeitung "Algemeen Dagblad" die Brüder Tschigirinski, die Milliarden im Öl- und Immobiliengeschäft gemacht haben, ebenfalls involviert sein.
Großes Durcheinander also. Der niederländische Fußballverband befürchtete sogar, dass Schwarzgeld beim Kauf von Vitesse im Spiel war. "Ich bin zu hundert Prozent verantwortlich und treffe alle Entscheidungen bei Vitesse selbst. Mein Geld ist blitzsauber", verteidigt sich Jordania.
Die erste Saison unter dem neuen Investor verläuft nach großen Kaderveränderungen und drei Trainerwechseln unter allen Erwartungen. Lediglich das bessere Torverhältnis verhinderte den Gang in die Relegation. Ist das neue Vitesse zum Scheitern verurteilt?
In der Jugend liegt die Kraft
Ganz im Gegenteil: Die Gegenwart in Arnheim sieht so gut aus, wie lange nicht mehr. Derzeit belegen die Schwarz-Gelben den sechsten Platz in der Eredivisie - nur zwei Punkte hinter Feyenoord Rotterdam und damit in Reichweite eines Qualifikationsplatzes zur Europa League.
Erfolgsgarant in dieser Saison ist Wilfried Bony. Der Publikumsliebling kam im Winter der vergangenen Saison für vier Millionen Euro von Sparta Prag und zeigt, dass er sein Geld wert ist: neun Tore und drei Vorlagen in 16 Spielen. Nicht umsonst ist laut Medienberichten die halbe Bundesliga und der FC Chelsea hinter dem 23-jährigen Ivorer her.
Für Eigentümer Jordania ist der momentane Erfolg allerdings nur eine Zwischenstufe. Er will den Verein bis 2016 mit 50 Millionen Euro an die nationale Spitze führen. "In drei Jahren sind wir niederländischer Meister", sagt der Georgier forsch - und wirft so eine zentrale Frage auf: Ist Vitesse der nächste neureiche Klub, der permanent von seinem Mäzen Geld kriegt, teure Spieler kauft und damit den Erfolg erzwingen will?
Mitnichten. Denn Arnheim definiert sich vor allem durch die Jugendarbeit, die einmalig ist in den Niederlanden.
Alle Nachwuchsmannschaften des Vereins sind seit 1990 in der Vitesse/AGOVV-Fußball-Akademie organisiert. Das ist eine Kooperation zwischen Vitesse und dem AGOVV Apeldoorn. Die erste und einzige Fusion im Jugendbereich im niederländischen Fußball. Roy Makaay, Ricky van Wolfswinkel, Matthew Amoah oder Stijn Schaars wurden allesamt in Arnheim geformt.
Schöne Früchte: Erntezeit in Arnheim
"Vitesse erntet regelmäßig die Früchte jahrelanger Jugendarbeit - schöne Früchte, die all die Geduld und die Investitionen rechtfertigen", heißt es auf der Vereinswebsite. Dabei macht der Klub seinen Standpunkt sehr deutlich: "Teams, die sich nicht für die Jugendarbeit interessieren, können auf lange Sicht nicht überleben. Die Identifikation und der eigene Spielstil (alle Jugendteams laufen im 4-3-3 auf, Anm. d. Red.) sollen gefördert werden."
Dies ist am Kader des Profiteams zu erkennen. Es befinden sich derzeit drei gebürtige Arnheimer in der ersten Mannschaft. 12 von 14 niederländischen Spielern stammen aus der unmittelbaren Umgebung mit einem maximalen Radius von 80 km.
Mit dieser Mischung aus vielen Nachwuchsspielern und wenigen Routiniers zeigt die Mannschaft von Trainer John van den Brom teils starke Leistungen. Man bedenke nur den Altersdurchschnitt des Kaders von knapp unter 22 Jahren.
Goldene Zeiten bei Vitesse?
Die Zukunft am Rhein sieht vielversprechend aus - und durch den wohlhabenden Investor ist genügend Geld vorhanden, um die Mannschaft punktuell zu verstärken und sogar einen Topspieler wie Bony (Vertrag bis 2014) in den eigenen Reihen zu halten.
Ob Arnheim aber in den kommenden Jahren die beiden Topklubs Ajax Amsterdam und PSV Eindhoven sowie das derzeit starke AZ Alkmaar in Bedrängnis bringen kann, bleibt fraglich. In den Spielen gegen die Topmannschaften der Eredivisie setzte es teils herbe Pleiten (0:4 Feyenoord, 0:4 Alkmaar, 1:4 Ajax Amsterdam).
Es fehlte vor allem eins: Erfahrung.
Vitesse Arnheim im Steckbrief