Im April sorgte Alexander Frei für einen Paukenschlag in der Schweiz: Der Stürmer des FC Basel beendete seine Spielerkarriere und heuerte kurz darauf als Sportdirektor beim FC Luzern an. Im Interview zieht der ehemalige Angreifer von Borussia Dortmund ein erstes Zwischenfazit seines neues Jobs, spricht über die Gründe seines Weggangs vom BVB und erklärt, was er dachte, als er im WM-Achtelfinale 2006 kurz vor dem Elfmeterschießen ausgewechselt wurde.
SPOX: Herr Frei, stimmt eigentlich die Geschichte, dass Sie zu Ihrer Dortmunder Zeit immer nach Basel gereist sind, um sich die Haare schneiden zu lassen?
Alexander Frei: Ja und nein. Ich habe sie natürlich auch in Dortmund schneiden lassen. Wenn es sich ergeben hatte und wir mal frei bekommen haben, dann bin ich schon nach Basel gefahren und habe es dort erledigen lassen. Mein Friseur spielte mit mir in der Jugend, ich kenne ihn schon lange. Jetzt von Luzern aus ist es auch kein großer Umweg dorthin.
SPOX: Seit Mitte April sind Sie nun Sportdirektor beim FC Luzern. Sie haben quasi im einen Moment Ihre Spielerkarriere beendet und im nächsten in Luzern unterschrieben. Hatten Sie keine Lust, eine Auszeit zu nehmen und mal gar nichts zu machen?
Frei: Das war eigentlich schon der Plan, nur hat sich die Situation für mich im entscheidenden Moment dann eben anders dargestellt. Mit Luzern bot sich mir ein toller Übergang. Das ist ein guter Verein mit guten Strukturen, der einfach ein wenig Hilfe brauchte. Wir standen ja weit unten in der Tabelle. Ich bereue keinen Tag, seitdem ich hier bin. Es war das Richtige für mich.
SPOX: Wie ist die Entscheidung gereift, einen Posten zu übernehmen, mit dem Sie keinerlei Erfahrung hatten?
Frei: Ich habe schon letztes Jahr gesagt, dass ich 2013 als Spieler aufhören werde und plane, dann auch eine Pause einzulegen. Luzerns Präsident Mike Hauser hatte mich jedoch angerufen und mir das Angebot unterbreitet. Ich habe mir das reiflich überlegt, mich von den Bezugspersonen meiner Karriere beraten lassen und natürlich auch meine Frau gefragt. Alle haben mir geraten, diese tolle Chance zu ergreifen. Solche Gelegenheiten bieten sich einem nicht ständig im Leben.
SPOX: Wieso haben Sie den Job während der Saison übernommen: Hatten Sie Angst vor der Wehmut, die aufkommen kann?
Frei: Ich glaube, es wäre viel schlimmer, wenn man mit dem Fußball aufhören, dann sofort nichts tun würde und sich später mit dem Gedanken herumschlägt, dass man vielleicht doch besser weitergespielt hätte. Jetzt bin ich persönlich so dermaßen beschäftigt, dass gar keine Wehmut aufkommen kann. Zumindest bis jetzt noch nicht (lacht).
SPOX: Haben Sie sich den Job so vorgestellt?
Frei: Im Grunde schon. Ich wusste, dass es zeitintensiv und mich auch körperlich sowie geistig anstrengen wird - auch, weil wir uns zu Beginn meiner Zeit im Abstiegskampf befanden. Ich muss mich jetzt mit allem auseinandersetzen, was rund um den Fußball geschieht: Spielerberater, Spielersichtung, sich um die eigene Mannschaft kümmern und so weiter. Es macht mir unheimlich Spaß, eine Mannschaft und den ganzen Verein wachsen zu sehen.
SPOX: Mit Verlaub: Geduld und Diplomatie waren als Spieler nicht immer Ihre Stärken. Nun brauchen Sie solche Werte umso öfter. Klappt der Übergang?
Frei: Noch nicht ganz, aber ich bin bald so weit (lacht). Manchmal ertappe ich mich schon noch dabei, etwas zu impulsiv zu reagieren - wie als Spieler eben. Dann atme ich einen kurzen Moment durch und dann geht es auch wieder.
SPOX: Sie wollen mit Ihrer Arbeit das turbulente Umfeld des FC Luzern beruhigen und langfristig etwas entstehen lassen. Inwiefern dient Ihnen da Ihr Ex-Klub Dortmund als Vorbild?
Frei: Wir wollen Dortmund nicht kopieren. Wir können uns aber in Teilbereichen an deren Modell orientieren, denn da kann man nicht so viel falsch machen. Der BVB hat aber natürlich ganz andere Möglichkeiten. Als ich 2006 nach Dortmund ging, wusste ich vom ersten Tag an, dass der Verein früher oder später wieder die Marke wird, die er eigentlich sein muss. Das war für mich nur eine Frage der Zeit. Es war uns damals allen bewusst, dass wir zunächst ein tiefes Tal durchschreiten mussten.
spoxSPOX: Ist das mit der aktuellen Lage des FC Luzern vergleichbar?
Frei: Luzern ist diesbezüglich schon ähnlich, aber auf einem bescheideneren Niveau. Wir haben keine 80.000 Zuschauer im Stadion und deutlich weniger Fans. Das werden wir auch nie erreichen. Wir können es aber schaffen, dass unser Stadion regelmäßig gut gefüllt ist und die Begeisterung für den Verein in der Innerschweiz wieder zurückkehrt. Das muss neu geweckt werden. Die Leute wollen sehen, dass hier etwas entsteht und dass Kontinuität vorhanden ist. Das wollen wir provozieren - und dann wären wir ein toller Klub für Schweizer Verhältnisse.
SPOX: Wie groß ist denn noch Ihr Draht nach Dortmund? Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke verpasste ja vor einigen Monaten extra ein BVB-Spiel, um bei der Vorstellung Ihres Buches die Laudatio zu lesen.
Frei: Das war mir auch eine große Ehre. Zwischen uns ist etwas gewachsen, was über den Fußball hinausgeht. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt, auch mit Michael Zorc und Jürgen Klopp unterhalte ich mich oft. Es ist ein fruchtbarer Austausch unter Freunden.
Seite 2: Frei über Wein auf Strellers Hochzeit, Jürgen Klopp und die ganz Doofen
SPOX: Der Zeitpunkt Ihres Abgangs aus Dortmund kam für viele überraschend. Sie waren mit 30 im besten Fußballeralter. Wieso haben Sie nicht noch ein paar Jahre gewartet, bis Sie in die Heimat zurückkehren?
Frei: Vorab: Wenn man die vier Jahre in Basel bilanziert, dann ist ja alles aufgegangen - für den FC Basel und für mich. Ich habe zu mir immer gesagt, dass ich einmal richtig erleben möchte, wie es ist, für den FC Basel zu spielen. Und zwar nicht nur als Jugend- und Einwechselspieler, sondern als dominanter Spieler in einem Alter, in dem ich noch zu guten Leistungen imstande bin. Selbstverständlich ist man mit 30 noch jung, aber ich wurde in meiner Karriere auch nicht von Verletzungen verschont. Deshalb fragt man sich mit der Zeit schon, wie lange man dieses Niveau noch halten wird. Ich wollte nicht nach Basel zurückkehren und nach fünf Spielen mit Tomaten beworfen werden, weil ich mich kaum mehr bewegen kann.
SPOX: Den ersten Impuls Ihres Wechsels löste damals Basels Vizepräsident Bernhard Heusler aus, der Sie auf Marco Strellers Hochzeit angesprochen hatte. Wie lief das genau ab?
Frei: Er hatte sich in der Kirche neben mich gesetzt, weil er sich mit mir über einen Trainer unterhalten wollte, den ich gut kenne. Als dann im Laufe des Abends mehr getrunken und es lustig wurde, kam dann eben dieses Thema auf. Ich habe ihm gesagt, dass wenn sie sich bemühen und sie wirklich wollen, dass ich zurückkomme, dann wird es auch gelingen.
SPOX: Ihr Wechsel kam also in einer Bierlaune zustande?
Frei: Nein, eher Wein als Bier (lacht).
SPOX: Was hätten Sie denn gemacht, wenn Heusler Sie nie angesprochen hätte?
Frei: Dann wäre ich in Dortmund geblieben. Ganz sicher.
SPOX: In Deutschland hieß es immer, dass für Sie die Umstellung auf das laufintensive System von Jürgen Klopp ziemlich groß war. War dem so?
Frei: Die größte Umstellung zu Bert van Marwijk, Jürgen Röber und Thomas Doll war eigentlich die, dass wir immer mit zwei Stürmern gespielt haben. Klopp ließ dann zwei Flügel und nur eine Spitze auflaufen. Dass er mehr im läuferisch-konditionellen Bereich verlangen würde, wusste ich. Das war für mich kein Problem.
SPOX: Ihr großes Problem war vielmehr, dass Sie sich bei der Europameisterschaft 2008 verletzt hatten.
Frei: Genau, dadurch habe ich die ersten zwei Monate unter Klopp komplett gefehlt. Er hatte somit auf gewisse Weise fast keinen Draht zu mir, weil ich die Reha immer in der Schweiz absolviert habe und erst dann zurückkam, wenn ich auch ins Mannschaftstraining einsteigen konnte. Als ich wieder beim Team war, hatten wir eine super Beziehung. Ich habe zu ihm spaßeshalber immer gesagt: Laktatwerte schießen keine Tore (lacht). Das hat er dann auch akzeptiert.
SPOX: War Ihr Verhältnis zu Klopp wirklich immer so gut? Ex-Schiedsrichter Urs Meier sagte kürzlich, dass Klopp ihm verriet, Sie seien für ihn der größte Egoist, den er kennengerlernt habe.
Frei: Wenn dem so wäre, würde ich es als Kompliment auffassen. Ich weiß aber, dass Jürgen das nicht gesagt hat. Er hat mir das persönlich bestätigt. Wir haben regelmäßigen Kontakt und ein gutes Verhältnis, wenn auch nicht dasselbe wie zu Aki Watzke. Uns beide verbindet einfach noch ein wenig mehr, weil er schon zu Beginn meiner Dortmunder Zeit beim BVB arbeitete. Michael Zorc und er hatten sich damals sehr um mich bemüht, ich war ihr Transfer.
SPOX: Was war denn für Sie der emotionalste Moment in Ihrer Zeit beim BVB?
Frei: Alle Heimspiele. Ich habe mich auf jedes einzelne wie ein kleines Kind gefreut. Es gäbe natürlich einige Spiele wie die gegen Schalke, die man herausheben könnte. Das würde der Frage aber nicht gerecht. Es war mir jedes Mal eine Ehre, vor diesem Publikum spielen zu dürfen.
SPOX: Lassen Sie uns bitte noch einen kleinen Streifzug durch Ihre Nationalmannschaftskarriere machen. Bei der WM 2006 wurden Sie im Achtelfinale gegen die Ukraine in der 117. Minute kurz vor dem Elfmeterschießen ausgewechselt - als treffsicherster Schütze. Die Schweiz schied aus, ohne einen einzigen Elfmeter verwandelt zu haben.
Frei: Im ersten Moment hatte ich gar keine Gedanken. Im zweiten Moment dachte ich, dass das doch alles nicht wahr sein könne - da saß ich aber schon auf der Bank. Im dritten Moment waren alle konsterniert, weil sie gemerkt haben, dass sie einen Scheiß gemacht hatten. Ich weiß nicht, ob es das Reglement erlaubt, aber heute würde ich nicht mehr rausgehen. Ich würde mich weigern.
SPOX: Was war denn der Grund für Ihre Auswechslung?
Frei: Ich weiß es nicht. Ich mache das auch nicht am Trainer fest, unser Verhältnis war immer überragend. Wir hatten einen Staff mit fünf weiteren Personen, die hätten ja auch überlegen können nach dem Motto: Es riecht hier gerade verdammt nach Elfmeterschießen, wir sollten den Frei nicht auswechseln.
SPOX: Vier Jahre später wurden Sie bei einem Spiel gegen Wales vor "Ihrem" Publikum in Basel extrem ausgepfiffen. Rund ein halbes Jahr später haben Sie Ihren Rücktritt erklärt. Fehlt Ihnen in der grundsätzlichen Bewertung Ihrer Person auch ein wenig Respekt vor Ihren Leistungen für den Schweizer Fußball?
Frei: Seit dem Ende meiner Karriere spüre ich, dass selbst die ganz Doofen den Schalter umlegen konnten und einem Respekt entgegenbringen. Mein einziger Fehler war, dass ich nach dem Wales-Spiel nicht sofort aufgehört habe. Da habe ich auf meinen Kopf und nicht auf meinen Bauch gehört. Ansonsten beschäftige ich mich mit diesen Fragen nicht mehr. Ich habe andere Sorgen.
SPOX: Wie empfanden Sie damals als Spieler?
Frei: Es hat enorm geschmerzt. Ich bin mir sicher, dass es nicht möglich ist, eine solche Situation in Worten wiedergeben zu können.
Alexander Frei im Steckbrief