Ohne ihn wäre das "Wunder von Cordoba" reine Fiktion geblieben: Mit dem "Spitz von Izmir" führte er sein Land zur WM 1978 und ermöglichte die Heldentat gegen Deutschland. Doch Herbert Prohaska ist mehr als Zeitzeuge. Er ist Sprachrohr Fußball-Österreichs. Im SPOX-Interview schlägt der TV-Analytiker gewohnt klare Töne an: Zur Cordoba-Verdrossenheit, Paul Breitner und der Vetternwirtschaft in Österreich (Deutschland - Österreich, Fr. ab 20.30 im LIVE-TICKER).
SPOX: Herr Prohaska, Sie hatten als Kind einen besonderen Autogrammwunsch - welchen?
Herbert Prohaska: Ich schickte einen Brief an eine Autogramm-Adresse des großen Pele in Brasilien. Wir ließen ihn sogar ins Portugiesische übersetzen, was damals gefühlt, enorm viel Geld gekostet hat. Immerhin opferte ich mein Taschengeld. Leider kam niemals etwas zurück. Der Fehler war vermutlich, dass wir zu viele Fotos, an die 50 waren es, dazu gaben (lacht). Damals war die Enttäuschung sehr groß. Ein Pele-Autogramm wäre der absolute Hit gewesen.
SPOX: Noch heute warten Sie vergeblich?
Prohaska: Nein, in der Zwischenzeit habe ich eines. Ich holte mir eines, als ich schon Nationalspieler war. Pele war früher das, was Lionel Messi jetzt ist. Nur hat man zu wenig von ihm gesehen, da er bis auf sein USA-Gastspiel, als er bei New York Cosmos die Karriere ausklingen ließ, in Brasilien kickte. Mein erstes Buch, das ich bewusst gelesen habe, hieß: "Ich bin Pele". Mit zahlreichen Fotos seiner Karriere. Ich habe es bestimmt drei, vier Mal gelesen. Er faszinierte mich. Bei der WM 1966 war ich traurig, als er nach extremen Fouls nur mehr humpelte. In Mexiko entschädigte er mich.
SPOX: Auch Sie waren von der technisch beschlagenen Sorte, fiedelten etwa bei Inter Mailand und AS Roma im Mittelfeld. Sowohl Konkurrenten als auch Fans fassten Sie nicht mit Samthandschuhen an.
Prohaska: Bitte keine Vergleiche mit Pele (lacht). Spaß beiseite, ich musste erst begreifen, dass nur Gute verhöhnt und beschimpft werden. Zu mittelmäßigen Spielern werden eher selten Sprechchöre verfasst. Irgendwann dämmerte mir das, plötzliche sah ich es als Ehre und wusste, ich gehöre zu den Besten.
SPOX: Die Lockenmähne war Ihr Markenzeichen, jener hatten Sie den Spitznamen "Schneckerl" zu verdanken. Über die Jahrzehnte lichtete sich diese. Werden Sie trotzdem noch auf den Straßen Wiens angesprochen?
Prohaska: In Österreich würde ich sagen, ohne mich zu rühmen, erkennen mich 80 bis 90 Prozent der Menschen. Die Kinder holen sich weiterhin Autogramme - das freut mich besonders. Es zeigt mir, dass ich während meiner aktiven Zeit etwas leisten konnte, was in den Erinnerungen verankert ist. Wobei heutzutage weiß die junge Generation mit mir weniger als Fußballer, das nur aus Erzählungen, anzufangen, sondern als Experte im Fernsehen.
SPOX: Oder als Teamchef: Sie führten Österreich 1998 zur letzten Endrunde. Was hat sich seither verändert?
Prohaska: Der Fußball entwickelt sich rasant weiter. Für kleine Nationen wird es schwieriger. Vor allem auf Vereinsebene. Die größte Chance, international aufzuzeigen, stellt die Nationalmannschaft dar. Mit etlichen Legionäre in den besten Ligen hat Österreich eine Chance. Warum konnte ich mich für Frankreich qualifizieren? Der Unterschied, das meine ich ernst, liegt darin, dass Deutschland nicht dabei war. Es kommt verstärkt darauf an, welche Gruppe dir zugelost wird. In der Qualifikation für 1998 hießen unsere direkten Konkurrenten Schweden und Schottland. Beide sind deutlich darunter anzusiedeln. Wenn du jedoch in einer Gruppe mit dem DFB bist, weißt du sofort: Hier kämpfen wir um Platz zwei. So viel können sie, mit all ihrer Klasse und Qualität, nicht falsch machen.
SPOX: Am Freitag kommt es in der WM-Qualifikation zum Prestigeduell. Inwiefern kommen da Erinnerungen an Cordoba hoch?
Prohaska: Ich persönlich rede ungern darüber. Die Krux an der ganzen Sache: Seit zehn bis 15 Jahren wird es gedreht, als würden wir Ehemaligen das Ereignisse glorifizieren und immer aufrollen. Fakt ist: Wir werden lediglich dazu befragt. Nachdem wir uns nicht genieren, antworten wir. Und dann behauptet Paul Breitner: Cordoba wäre zum Sargnagel für Österreich geworden. Ich schätze ihn als Mensch und Spieler sehr, über unseren Fußball weiß er aber nicht Bescheid. Obwohl er das vorgibt zu tun. Interessanterweise erreichen mich übrigens die meisten Anfragen aus Deutschland (lacht).
SPOX: Überspitzt formuliert: Sie sind dem Fluch von Cordoba ausgeliefert?
Prohaska: Es ist kein Fluch - es ist Teil unserer Geschichte. Warum wirft man uns 1978 vor? Die Deutschen schwärmen eben vom Wunder von Bern, das noch weiter zurückliegt. Davon zu hören, die Bilder zu sehen, ist doch herrlich. Es wäre schlimm, wenn wir uns nicht an unsere Erfolge erinnern dürften. Natürlich hinkt der Vergleich, da Österreich nie Weltmeister war und wird. Also erfreuen wir uns an kleineren Momenten. Und glauben Sie mir, seit einigen Jahren spricht hierzulande niemand über Cordoba. Ich unterstütze das.
SPOX: Selbst populistische Medien meiden Cordoba: Was sagen Sie zum Vorwurf, man hätte zu lange in den Rückspiegel geblickt?
Prohaska: Es wird dargestellt, als hätten wir den Erfolg nicht weiterentwickelt, uns zu lange damit beschäftigt, in diesem zu baden. Leider hatte der ÖFB kein Geld. Früher wurden wir nicht mit Prämien ausgestattet, sondern zum Teil mit Videorecordern oder Fernsehern. Eine WM-Teilnahme war wunderbar, kostete den Verband aber viel Geld und war nicht sonderlich lukrativ. Wir hatten schlicht die finanziellen Mittel nicht, um Akademien und Leistungszentren zu installieren. Mittlerweile wird besser gewirtschaftet, das Budget ist da. Paul Breitner hat wohl vergessen, dass wir 1982, 1990 und 1998 ebenfalls an Endrunden teilnahmen. Zudem hatten wir in dieser Zeit vier Europapokal-Finalisten. Wir sind nicht stehen geblieben, haben im Rahmen unserer Möglichkeiten immer gut gearbeitet.
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SPOX: Rot-weiß-roter Nachwuchs ist mittlerweile eine wertvolle Aktie in Europa. Schon im Teenager-Alter wird die Heimat oftmals zurückgelassen - warum stehen Sie dem skeptisch gegenüber?
Prohaska: Was mir daran nicht gefällt: Wir bilden super Talente aus, die das Interesse großer Klubs erregen, und weg gekauft werden. Was bleibt uns? Ich möchte nicht wissen, was die Wiener Austria für David Alaba kassierte. Wahrscheinlich 150.000 Euro Ausbildungsentschädigung, im Idealfall verdienen sich jetzt ein bisschen mit. Leider steht das in keiner Relation zum Marktwert. In zwei, drei Jahren ist Alaba 50 Millionen wert. Da müsste die UEFA konkrete Regeln aufstellen. Jetzt haben wir eine Generation, die sich hinter keiner verstecken muss. Tatsache bleibt, wir sind ein kleines Land! Wir können nicht von Generation zu Generation die Qualität halten.
SPOX: Bedeutet: Österreich muss in Zyklen denken?
Prohaska: Genau, nach Argentinien hatten wir bis Mitte der 80er eine starke Mannschaft. Danach hat es lange gedauert, bis wir neuerlich konkurrenzfähig waren. Und das fiel in meine Ära, dauerte bis 1998. Davor lösten sehr gute Spiele schlechte ab. Hätte ich nicht den Präsidenten hinter mit gehabt, wäre ich nicht in Frankreich gewesen. In der Qualifikation konnten wir das Potenzial ausschöpfen, haben von zehn Spielen acht gewonnen und nur eines verloren. Selbst wenn wir nicht nach Brasilien fahren: Diese Mannschaft wird uns entweder zur nächsten EM oder übernächsten WM führen. Wir müssen nur geduldig bleiben.
SPOX: Welchen Anteil trägt Marcel Koller, den Sie überaus kritisch beäugen?
Prohaska: Er hat einen Kader mit Qualität zusammengestellt, gute Arbeit geleistet. Der Fußball bleibt dennoch unfair - auch er wird nach Ergebnissen beurteilt, daran ob wir nach Brasilien fahren oder nicht. Mir ging es nicht darum, zu sagen, Koller sollte nicht Teamchef sein. Ich war schlichtweg für einen anderen. Einen aus dem eigenen Land. Für Andreas Herzog
SPOX: Der ÖFB wollte einen Teamchef, welcher die Vetternwirtschaft durchbricht, mit neutralem Blick auf die undurchsichtigen Strukturen. Nachvollziehbar?
Prohaska: Das war der größte Blödsinn, der jemals behauptet wurde. Warum soll es richtig sein, jemanden von außen zu holen? Ich musste herzlich lachen. Dann dürfte niemand bei seinem Arbeitgeber nach der aktiven Karriere bleiben. Bei wem etwa findet die größte - wenn man es so bezeichnen will - Vetternwirtschaft statt? Richtig, bei Bayern München. Beim besten und reichsten Klub der Welt bekleiden fast ausschließlich verdienstvolle Ex-Spieler wichtige Funktionen. So etwas darf kein Kriterium sein. Tatsache ist: Jeder, der sich für die WM qualifizierte, war Österreicher. Wenn es einem Schweizer gelingt, hätte ich nichts dagegen. Ich würde mich sogar sehr freuen.
SPOX: Entscheidend hierfür sind vermutlich die Aufgaben gegen Irland und in Schweden. Zunächst gastiert man in München. Was trauen Sie dem Nationalteam zu?
Prohaska: Ich denke, wir können gut mitspielen. Aber es wäre vermessen zu posaunen, wir nehmen Punkte mit. Wenn bei Deutschland nicht alles schief läuft und wir keinen Über-Tag erwischen, ist nichts zu holen. Und: Nicht nur ihre Defensive schwächelte zuletzt. Zweifelsfrei würden wir sie gerne besiegen, oder ein Unentschieden erzwingen - das wäre für uns eine Sensation.
SPOX: Inwiefern mutierte die mitunter einseitig gelebte Rivalität in der jüngsten Vergangenheit zu Anerkennung. Man wird das Gefühl nicht los, als sei der DFB mittlerweile Vorbild?
Prohaska: Dass Spiele wie Cordoba stattfinden, bei denen sich Emotionen überschlagen, zum Schluss gewinnt Österreich und eine Euphorie entsteht - das ist schön. Aber Deutschland war und ist immer das Land gewesen, zu dem wir hoch blicken. Deshalb verfolge auch ich die Bundesliga intensiv.
SPOX: Gleichwohl sagen Sie, Fußball gibt Ihnen nicht mehr das, was sie sich erwarten. Wie darf man das verstehen?
Prohaska: Fußball wird mir immer das geben, was ich will. Ich werde niemals aufhören, den Sport zu lieben, da ich weiß, was ich ihm zu verdanken habe. Er gibt mir nur nicht das Gefühl, nochmal Trainer sein zu wollen. Viel schöner ist es zuzuschauen, Analytiker zu sein, mir nicht den Kopf zerbrechen zu müssen. Ich kann ruhig schlafen, Spiele genießen und verdiene noch immer - das ist die schönste Kombination (lacht).
Herbert Prohaska im Steckbrief
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