"Die ultimative Bankrotterklärung"

Daniel Reimann
21. November 201408:26
Präsident Sepp Blatter und seine FIFA stehen seit Jahren im Fokus von Korruptionsvorwürfengetty
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Thomas Kistner ist Journalist bei der "SZ" und ist bekannt für investigative Beiträge zu Sportpolitik, Korruption und Doping. Über die dubiosen Machenschaften von Sepp Blatter und Co. schrieb er 2010 das Buch "FIFA Mafia". SPOX sprach mit ihm über den Ermittlungsbericht der FIFA-Ethikkommission und seine Defizite, Blatters Angst und die Rolle des FBI. Außerdem: Weshalb Platini die Fußball-Revolution anführen muss und Beckenbauer nichts zu befürchten hat.

SPOX: Herr Kistner, wie haben Sie reagiert, als Sie von Joachim Eckerts Bericht zu den Ermittlungen von FIFA-Chefermittler Michael J. Garcia gehört haben?

Thomas Kistner: Ich hatte mit einer Farce gerechnet, aber nicht mit einer solchen. Die erste Überraschung wurde dann relativiert durch den Vorstoß von Garcia: Dass Eckerts Bericht falsch und unvollständig sei. Er hätte das auch intern kommunizieren können, doch er hat bewusst den lärmenden Weg über die Medien gewählt. Das war eine öffentliche Demonstration.

SPOX: Wie ist Eckerts Rolle zu bewerten? Ein hochangesehener Richter, der die Ermittlungsergebnisse von Garcia derart falsch interpretiert?

Kistner: Eckert ist ein klassischer deutscher Strafrichter. Er klebt an Paragraphen, für ethische und politische Konflikte hinter den Dingen hat er offenkundig kein Gespür. Und damit ist er aus meiner Sicht für die Rolle als Vorsitzender dieser FIFA-Kammer nicht geeignet. Ein Richter muss in seinen Urteilen auch ein Minimum öffentlicher Glaubwürdigkeit wahren...

SPOX: ...die in diesem Fall kaum gegeben ist.

Kistner: Genau das meine ich. Es wimmelt nur so von Ermittlungsdefiziten oder Interpretationsdefiziten. Das führt dazu, dass die WM-Vergabe nach Katar und Russland von jeglicher Korruption freigesprochen wurde. Doch obendrauf kommt etwas wirklich Unverzeihliches: Eckerts Einschätzung von FIFA-Präsident Sepp Blatter, den er in seinem Bericht ausdrücklich gelobt hat. Auf den Freispruch auch noch diese Lobpreisung Blatters zu satteln, ist in meinen Augen die ultimative Bankrotterklärung. Eckert beschreibt Blatter als einen echten Reformer. Das ist ein Beweis, dass Eckert überhaupt keine Ahnung hat, in welcher Welt er sich da bewegt.

SPOX: Garcia hat genau diese Passage besonders angeprangert, weil er in seinem eigenen Bericht dazu keinerlei Anlass sah. Wer der beiden ist nun im Recht?

Kistner: Es wäre ja auch denkbar, dass Garcia mit seinen Aussagen nur viel Wind macht. Trotzdem ist eines ist klar: Eckert kommt aus dieser Nummer nicht mehr raus. Denn falls er Garcias Bericht tatsächlich richtig interpretiert hat, dann müsste dieser ja komplett substanzlos sein. Und dann hätte er ihn Garcia kräftig um die Ohren hauen müssen, nach den jahrelangen und Millionen Euro teuren Ermittlungen. Das wäre nicht hinnehmbar. Und es ist Eckerts Aufgabe, Ermittlungen wieder aufleben zu lassen oder selbst zu führen, wenn er sie für unvollständig hält. Es war zudem klar, wo Garcia ermitteln musste. Ganz viele dubiose Dinge sind bekannt. Jeder, der seit Monaten Zeitung liest, ist besser informiert als der Leser dieses Schlussberichts. Doch all diese Korruptionsaspekte tauchen in Eckerts Report nicht auf oder werden als harmlos wahrgenommen. Diesen Bericht muss man in der Luft zerreißen - gerade unter ethischen Aspekten.

SPOX: Es wirkt, als wolle oder könne Eckert bestimmten Hinweisen nicht nachgehen. FIFA-Richter Eckert - blind, taub und stumm?

Kistner: Das kann man durchaus so sehen. Denn man muss aus bestimmten Hinweisen einfach Konsequenzen ziehen. Wenn Russland behauptet, sie hätten bei der Bewerbung mit geleasten Computern gearbeitet, die nun zerstört seien und man deshalb auf die Daten keinen Zugriff mehr habe, ist das hanebüchen. Es geht um ein Milliardenprojekt Putins und die leasen sich irgendwo irgendwelche Computer? Solchen Blödsinn kann man nicht einmal einem Grundschüler verkaufen. Das ist lächerlich. Da muss doch ein Eckert stutzig werden und sagen: "Veralbern kann ich mich selber!" Stattdessen hat er es grußlos durchgewinkt.

SPOX: Es scheint, als würde Eckert die Spielarten im Hause FIFA nicht kennen, oder?

Kistner: Das ist jedenfalls die günstigste Erklärung für ihn, denke ich. Eckert stellt es in dem Bericht ja auch so dar, als würden die Mitglieder ins Exekutivkomitee ohne Blatters Einfluss gewählt werden. Stimmt, rein formal ist es so. Aber wie ist es wirklich? Stellen Sie sich das vor: Der arme Blatter, der die FIFA im vierten Jahrzehnt an der Spitze lenkt und alles und jeden kontrolliert - er sitzt da in seinem Büro, die Tür geht auf und 24 wildfremde Gesellen marschieren herein, mit denen er jetzt vier Jahre lang irgendwie zurechtkommen muss. Das ist natürlich kompletter Unfug. Blatter selbst dreht an den Stellschrauben bei den Kontinentalverbänden, die formal in der Tat bestimmen, wer ins Exekutivkomitee kommt. Und das tat er schon immer. Ohne ihn hätte Platini nie Uefa-Chef gegen Amtsinhaber Johansson werden können. Und genau deshalb kamen Leute wie Bin Hammam, Warner, Temarii, Blazer, Teixeira und andere rein und konnten sich die Taschen vollstopfen.

SPOX: Woher rühren Eckerts abwegige Interpretationen?

Kistner: Es gibt für mich zwei Möglichkeiten: Entweder Eckert spielt in Verkennung der wesentlichen Unterschiede zwischen einem Straf- und einem Ethikrichter mit seinem Namen. Oder er ist nicht der alleinige und völlig unabhängige Autor dieses Berichts.

SPOX: In England, das sich auch für die WM 2018 beworben hatte und der FIFA sehr kritisch gegenübersteht, wird die Veröffentlichung des Garcia-Berichts gefordert. Dabei würde zwangsläufig entweder Eckert oder Garcia sein Gesicht verlieren, oder?

Kistner: Absolut. Nur einer der beiden kann richtig liegen. Aber eigentlich könnte nur Garcia ein bisschen Gesicht wiedergewinnen. Man kann sich ja ungefähr vorstellen, wie subtanzlos sein Bericht sein müsste - auf 430 Seiten, basierend auf einem 200.000-seitigen Dossier - wenn Eckert daraus auch noch das stärkste Exzerpt herausgefiltert hat. Wenn dem wirklich so ist, dann verlieren beide ihr Gesicht. Dann hätte Garcia eben ungenügend ermittelt und Eckert hätte es nie hinnehmen dürfen.

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SPOX: Garcia hat als Reaktion auf die angeblich falsche Interpretation seines Berichts angekündigt, das FIFA-"Appeal Committee" anzurufen. Doch das ist auch nur ein FIFA-Gremium, zu großen Teilen von Vertretern kleiner Inselstaaten besetzt, die Blatter traditionell gewogen sind. Kann man sich davon etwas versprechen?

Kistner: Nein, das ist alles lächerlich. Von keinem dieser FIFA-Gremien sollte man sich in der Hoffnung auf Aufklärung viel versprechen. Das wird gewiss wieder eine rein politische Entscheidung. Aber: Wenn sein Berufungsantrag abgelehnt wird, muss Garcia zurücktreten. Das würde ihn vielleicht zusätzlich reizen, seinen Report publik zu machen. Und dieses Papier muss auf den Tisch. Denn dort steht vermutlich mehr drin, als in Eckerts Bericht erwähnt wird.

SPOX: Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

Kistner: Ich habe am Sonntag mit der Whistleblowerin Bonita Mersiades telefoniert. Sie war damals in Australiens WM-Bewerbung involviert. Sie hat die Vermutung, dass Garcia richtig gearbeitet hat, aber Eckert keine oder die falschen Schlüsse aus dessen Ermittlungsergebnissen gezogen hat. Die Whistleblowerin Phaedra Almajid, die einst für Katar als Ausrichter geworben hat und Garcia Hinweise für Korruptionsvorgänge geliefert hat, teilt diese Auffassung.

SPOX: Meinen Sie beispielsweise die Tatsache, dass kein Zusammenhang zwischen den dubiosen Machenschaften von Mohammed Bin Hammam und Katars WM-Bewerbung gesehen wird? Er war einst Teil des Exekutivkomitees und wurde 2011 von der Ethikkommission für immer ausgeschlossen. SPOX

Kistner: Diesen Punkt hat Mersiades explizit angesprochen. Von solchen Geschichten wimmelt es nur so in Garcias Bericht. Im November 2010, Wochen vor der WM-Vergabe, hat Bin Hammam beispielsweise dem Vertreter von Tahiti im Exekutivkomitee, Reynald Temarii, angeboten, dessen Anwaltskosten zu übernehmen, nachdem er wegen Korruptionsverdachts für drei Jahre gesperrt wurde. Temarii wollte sich zurück in das Gremium klagen und Bin Hammam war bereit, ihm das zu zahlen. Der Bin Hammam, der angeblich nichts mit der WM-Bewerbung Katars zu tun haben will, versucht einen sicheren Wähler zurück ins Boot zu holen - mit eigenen finanziellen Mitteln. Wie kann man bitteschön das falsch verstehen?

SPOX: Hat Garcia womöglich schon bei den Ermittlungen die falschen Fragen gestellt?

Kistner: Es hätte keine Millionen Euro und jahrelange Untersuchungen gebraucht. Eine einzige zentrale Schlüsselfrage hätte vielleicht gereicht: Was lief damals unmittelbar vor dem WM-Votum? Dafür hätte man nach England blicken und Geoff Thompson befragen müssen.

SPOX: Den Vorsitzenden der WM-Bewerbung Englands für 2018, der auch im Exekutivkomitee der FIFA saß.

Kistner: Er soll damals die Wahl kreidebleich verlassen haben mit dem Hinweis, eine WM 2018 in England könne man vergessen. Er hat seiner Delegation - sinngemäß, so wurde es immer wieder berichtet - erzählt: Blatter habe die Exekutive vor der Wahl auf eine Fülle englischer Zeitungsartikel hingewiesen: Diese Pressemeute erwartet uns, wenn wir England die WM geben. Acht Jahre lang britische Enthüllungspresse, die im Fußball eine der härtesten der Welt ist.

SPOX: Der FIFA-Präsident hat also unmittelbar vor der Wahl gegen einen der Bewerber Stimmung gemacht?

Kistner: So hat es ein Beteiligter erzählt. Wenn sich das tatsächlich so zugetragen hat, kann man den Eckert-Bericht sofort vergessen. Vorneweg die fromme Blatter-Passage: Was er da angeblich tat, widerspricht dem Ethik-Reglement. Es dürfte nicht sein, dass sich ein Präsident, dessen Stimme in Patt-Situationen sogar doppelt gewichtet wird, vor der WM-Vergabe explizit gegen einen Kandidaten ausspricht. Das hätte Garcia berücksichtigen und jeden Einzelnen der damals Beteiligten befragen müssen. Eine ganz einfache Sache. Und dann die Einzelaussagen zu Umständen, Situation etc. gewichten. Jeder Ermittler kennt das, jeder Richter muss das tun.

SPOX: Bleibt offen, ob die anderen, korruptionsumwitterten Mitglieder diese Version bestätigt hätten... Immerhin acht der 24 Mitglieder, die bei dieser Wahl beteiligt waren, sind später im Zuge von Korruptionsvorwürfen zurückgetreten oder nicht wieder angetreten.

Kistner: Das ist doch egal. Glaubwürdigkeit lässt sich bei einer so großen Anzahl von Zeugen schon ermitteln. Manche von ihnen können sich einer Vernehmung entziehen. Bin Hammam und Warner zum Beispiel, die nicht mehr im Fußball tätig sind. Man muss zudem bedenken: Garcia war in seinen Möglichkeiten limitiert. Als Ermittler der Ethikkommission hat er keine strafrechtlichen Werkzeuge zur Verfügung. Aber hätte er einem Bin Hammam oder Warner die oben genannte Frage gestellt, sie hätten - da gebe ich Ihnen Brief und Siegel - diese Version so bestätigt. Und diese Erkenntnis wäre für die Ethikkommission wichtig gewesen. Und wie hätten in der Einzelbefragung andere Leute reagiert, wie zum Beispiel der belgische Arzt Michel D´Hooge?

SPOX: Trotz noch so drängender Vorwürfe hat sich Blatter bisher immer aus der Affäre gezogen. Kann ihm ausgerechnet diese Untersuchung zum Verhängnis werden?

Kistner: Es kann ihm tatsächlich gefährlich werden, weil es keine fußball-interne Angelegenheit mehr ist. Aus allen fußball-internen Problemen kam Blatter bisher immer elegant raus. Denn Sepp Blatter ist Gott der FIFA, Gott des Weltfußballs. Blatter hat sich auch schon mit dem Papst verglichen. Etwa, wenn er sagt, die Bewegung, der er vorstehe, sei größer als die katholische Kirche. Die Protagonisten des Fußballgeschäfts werden wie Halbgötter angepriesen und genauso fühlen sich die FIFA-Oberen. Jack Warner hatte einst drauf bestanden, im Bett von Nelson Mandela zu schlafen.

SPOX: Wie bitte?

Kistner: Kein Scherz. Die letzte große Auslandsreise, die der damals schon sehr kranke Mandela machen musste, ging nach Trinidad und Tobago, um dort nochmal um den WM-Zuschlag zu werben. Auch Desmond Tutu war dabei. Das muss man sich mal vorstellen: Jack Warner, ein kleiner Geschichtslehrer aus Trinidad und Tobago, hat es als ehrenamtlicher Fußballfunktionär nicht nur zum Multimillionär geschafft, sondern er hat auch zwei Friedensnobelpreisträger geschwind für ein Abendmahl bei sich antanzen lassen. Und als die beiden Herren schon mal dort waren, hat natürlich auch Blatter noch kurz vorbeigeschaut. Vor einem solchen Hintergrund spiegeln sich diese Herren selbst.

SPOX: Das sind also die Umstände, unter denen heutzutage Weltmeisterschaften vergeben werden?

Kistner: Ja. Deutschland hat das zum Glück hinter sich. Man stelle sich vor, der DFB bewerbe sich um die nächste WM. Dann sitzt Blatter vielleicht in seinem Büro, schneidet die Fingernägel und denkt sich: "Angie...! Mensch, Angie sollte mal vorbeikommen. Vielleicht morgen zum Frühstück?" Ich garantiere ihnen: Das würde passieren.

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SPOX: Immerhin gibt es aus Deutschland jetzt echten Gegenwind für Blatter: Liga-Chef Rauball hatte mit einem UEFA-Austritt aus der FIFA gedroht. Wäre das ein wirksames Mittel?

Kistner: Das ist genau der richtige Ansatz. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, den FIFA-Machenschaften beizukommen. Entweder von außen, zum Beispiel durch die aktuellen Ermittlungen des FBI. Die sind auf einem sehr guten Weg, es wurde schon sehr viel Müll zusammengekehrt. Das könnte das Wiegenlied für die FIFA sein, wenn es am Ende nicht an politischen Entscheidungen scheitert.

SPOX: Und die andere Möglichkeit?

Kistner: Die könnte von innen kommen - durch Spaltung oder Boykott. So eine Initiative kann aber nur vom einzigen wirklich intakten Verband kommen, der auch die finanzielle Schlagkraft hat: die UEFA. Europa ist das Epizentrum des Weltfußballs. Es gab schon oft Gedankenspiele bei der UEFA, bei der EM Gastmannschaften aus Südamerika, Asien und Afrika zuzulassen. Das wäre ja schon fast eine WM. Die UEFA hat ein unglaubliches Druckmittel. Blatter zittert vor diesem Szenario.

SPOX: Aber auch UEFA-Chef Platini steht wegen diverser Verbindungen nach Katar und früher auch zu Blatter im Zwielicht. Könnte er überhaupt authentisch für eine Anti-Blatter-Opposition eintreten?

Kistner: Das Ansehen der FIFA ist dermaßen im Keller, dass selbst Platini, der sich immerhin von Blatter in den letzten Jahren gelöst hat, als Initiator einer Abkehr geeignet ist. Im ersten Schritt ist völlig egal, wer für den Umschwung sorgt. Auf Dauer wäre er aber aufgrund der extremen Nähe zu Katar und der jahrelangen Nähe zu Blatter untragbar.

SPOX: Was ist mit dem DFB? Er hielt sich bisher immer vornehm zurück. Dabei müsste der größte Fußballverband Europas doch schon aufgrund seiner Macht und Vorbildfunktion vorpreschen, oder?

Kistner: Das sollte er schon lange. Doch das Problem ist, dass die deutschen Vertreter schon immer sehr nah an der Macht gewesen sind. Von Gerhard Mayer-Vorfelder war nie etwas zu erwarten. Der war ein ganz enger Buddy von Blatter. Theo Zwanziger hat Blatter bis heute immer verteidigt und agiert als sein Vertrauter im Reformprozess. Wolfgang Niersbach ist zwar anders, aber trotzdem nicht der sportpolitische Visionär, den es braucht. Hinzu kommt, dass die Deutschen bei vielen Dingen im Fußballgeschäft geschickter agieren als andere...

SPOX: Was meinen Sie damit?

Kistner: Sie müssen bedenken: Diese Ermittlungen haben sich auch mit Deutschen befasst - und nicht nur mit Franz Beckenbauer, sondern beispielsweise auch mit Fedor Radmann. Er war einst Vizepräsident des Organisationskomitees der WM 2006. Bonita Mersiades, die Whistleblowerin, hat mir erzählt, dass Garcia Sie aufgefordert habe: "Now tell me about the Germans!"

SPOX: Worum geht es dabei konkret?

Kistner: Mersiades erzählte, Garcia gehe in dieser Untersuchung bis 1999 zurück. Da war Deutschlands Bewerbung für die WM 2006 hochaktuell. Ein Jahr später erhielt der DFB den Zuschlag. Es ist interessant, dass Garcias Überlegungen so weit zurückgehen.

SPOX: Weil zu vermuten ist, dass auch dabei nicht alles korrekt ablief?

Kistner: Warum sonst sollte er auf diesem Gebiet ermitteln? Eine wichtige Frage ist in jedem Fall, welche Deals im Rahmen der Kooperation des australischen und des deutschen Fußballverbandes stattfanden. Bei diesem Kooperationsvertrag ging es darum, dass die Australier auf ihre Bewerbung für die Frauen-WM 2011 verzichteten und dafür vom DFB Unterstützung für ihre Bewerbung 2018 oder 2022 erhalten würden.

SPOX: Wie lief das ab?

Kistner: 2009 wurde besagter Fedor Radmann, mittlerweile als Vertreter der australischen Bewerbung für die WM 2022, zum Emir von Katar geschickt. Er sollte ihn überzeugen, die katarische Kandidatur zurückzuziehen. Das kann man als Bewerber durchaus versuchen, das widerspricht auch keinen Ethikregeln. Interessant ist dabei aber die Rolle von Franz Beckenbauer. Der war sicher entscheidend für Radmann, denn ohne ihn wäre er nie bis zum Emir vorgedrungen. Da muss man sich schon fragen: Wie kann es denn sein, dass ein Bewerber den FIFA-Vorstand Beckenbauer, der damals ja noch Wahlmann war, einspannt, um einen anderen Bewerber zum Rückzug zu bewegen?

SPOX: Auch im Zusammenhang mit der WM-Vergabe nach Russland wird Beckenbauers Handeln bisweilen kritisch bewertet...

Kistner: Er war ja immerhin im Exekutivkomitee der FIFA, als die WM nach Russland vergeben wurde. Monate später gab er das FIFA-Amt auf und wurde Werbe-Testimonial für die russische Gasindustrie.

SPOX: Könnte es im Zuge der Ermittlungen auch für Beckenbauer nochmal eng werden?

Kistner: Wenn ich mir die bisherige Einschätzung von Herrn Eckert ansehe, dann kann Beckenbauer ruhig schlafen. Aber die Frage ist, wie das Ganze weitergehen soll. Denn es ist ein völlig neuer Druck entstanden.

SPOX: Am Donnerstag geht diese langwierige Saga in eine neue Runde: Eckert und Garcia wollen sich treffen. Was sagt Ihr Bauchgefühl: Wie geht diese dubiose Geschichte weiter?

Kistner: Ich glaube, dass der Garcia-Bericht schon längst dort ist, wo er hingehört: beim FBI. Ich denke auch, dass er irgendwie veröffentlicht wird. Mark Pieth, der Anti-Korruptionsbeauftrage der FIFA, hat Garcia ja bereits durch die Blume aufgefordert, den Bericht publik zu machen. Die FIFA sollte sich jetzt schon überlegen, wie sie damit dann umgehen will...

SPOX: Wie ist vor diesem Hintergrund die Strafanzeige der FIFA zu verstehen, die am Dienstag bekannt wurde?

Kistner: Aus meiner Sicht eine Alibi-Übung der FIFA, die den ganzen Garcia-Bericht jetzt an die Schweizer Bundesanwaltschaft rüberschiebt in der Hoffnung, die sagt am Ende: Da ist nichts, machen wir den Deckel drauf. Das ist alles so schlicht durchschaubar. Die Öffentlichkeit darf sich nicht täuschen lassen: Die Schweizer Behörde schaut sich jetzt nur einmal an, was Garcia und Eckert da Feines zusammengeschaufelt haben. Es ist aber kaum vorstellbar, dass sie selber Ermittlungen aufnimmt. Und wenn sie den Deckel drauf macht, heißt das nicht, da sei nichts gewesen. Sondern nur, dass die FIFA nichts gefunden hat. Aber das wissen wir heute schon.

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