SPOX: Immerhin gibt es aus Deutschland jetzt echten Gegenwind für Blatter: Liga-Chef Rauball hatte mit einem UEFA-Austritt aus der FIFA gedroht. Wäre das ein wirksames Mittel?
Kistner: Das ist genau der richtige Ansatz. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, den FIFA-Machenschaften beizukommen. Entweder von außen, zum Beispiel durch die aktuellen Ermittlungen des FBI. Die sind auf einem sehr guten Weg, es wurde schon sehr viel Müll zusammengekehrt. Das könnte das Wiegenlied für die FIFA sein, wenn es am Ende nicht an politischen Entscheidungen scheitert.
SPOX: Und die andere Möglichkeit?
Kistner: Die könnte von innen kommen - durch Spaltung oder Boykott. So eine Initiative kann aber nur vom einzigen wirklich intakten Verband kommen, der auch die finanzielle Schlagkraft hat: die UEFA. Europa ist das Epizentrum des Weltfußballs. Es gab schon oft Gedankenspiele bei der UEFA, bei der EM Gastmannschaften aus Südamerika, Asien und Afrika zuzulassen. Das wäre ja schon fast eine WM. Die UEFA hat ein unglaubliches Druckmittel. Blatter zittert vor diesem Szenario.
SPOX: Aber auch UEFA-Chef Platini steht wegen diverser Verbindungen nach Katar und früher auch zu Blatter im Zwielicht. Könnte er überhaupt authentisch für eine Anti-Blatter-Opposition eintreten?
Kistner: Das Ansehen der FIFA ist dermaßen im Keller, dass selbst Platini, der sich immerhin von Blatter in den letzten Jahren gelöst hat, als Initiator einer Abkehr geeignet ist. Im ersten Schritt ist völlig egal, wer für den Umschwung sorgt. Auf Dauer wäre er aber aufgrund der extremen Nähe zu Katar und der jahrelangen Nähe zu Blatter untragbar.
SPOX: Was ist mit dem DFB? Er hielt sich bisher immer vornehm zurück. Dabei müsste der größte Fußballverband Europas doch schon aufgrund seiner Macht und Vorbildfunktion vorpreschen, oder?
Kistner: Das sollte er schon lange. Doch das Problem ist, dass die deutschen Vertreter schon immer sehr nah an der Macht gewesen sind. Von Gerhard Mayer-Vorfelder war nie etwas zu erwarten. Der war ein ganz enger Buddy von Blatter. Theo Zwanziger hat Blatter bis heute immer verteidigt und agiert als sein Vertrauter im Reformprozess. Wolfgang Niersbach ist zwar anders, aber trotzdem nicht der sportpolitische Visionär, den es braucht. Hinzu kommt, dass die Deutschen bei vielen Dingen im Fußballgeschäft geschickter agieren als andere...
SPOX: Was meinen Sie damit?
Kistner: Sie müssen bedenken: Diese Ermittlungen haben sich auch mit Deutschen befasst - und nicht nur mit Franz Beckenbauer, sondern beispielsweise auch mit Fedor Radmann. Er war einst Vizepräsident des Organisationskomitees der WM 2006. Bonita Mersiades, die Whistleblowerin, hat mir erzählt, dass Garcia Sie aufgefordert habe: "Now tell me about the Germans!"
SPOX: Worum geht es dabei konkret?
Kistner: Mersiades erzählte, Garcia gehe in dieser Untersuchung bis 1999 zurück. Da war Deutschlands Bewerbung für die WM 2006 hochaktuell. Ein Jahr später erhielt der DFB den Zuschlag. Es ist interessant, dass Garcias Überlegungen so weit zurückgehen.
SPOX: Weil zu vermuten ist, dass auch dabei nicht alles korrekt ablief?
Kistner: Warum sonst sollte er auf diesem Gebiet ermitteln? Eine wichtige Frage ist in jedem Fall, welche Deals im Rahmen der Kooperation des australischen und des deutschen Fußballverbandes stattfanden. Bei diesem Kooperationsvertrag ging es darum, dass die Australier auf ihre Bewerbung für die Frauen-WM 2011 verzichteten und dafür vom DFB Unterstützung für ihre Bewerbung 2018 oder 2022 erhalten würden.
SPOX: Wie lief das ab?
Kistner: 2009 wurde besagter Fedor Radmann, mittlerweile als Vertreter der australischen Bewerbung für die WM 2022, zum Emir von Katar geschickt. Er sollte ihn überzeugen, die katarische Kandidatur zurückzuziehen. Das kann man als Bewerber durchaus versuchen, das widerspricht auch keinen Ethikregeln. Interessant ist dabei aber die Rolle von Franz Beckenbauer. Der war sicher entscheidend für Radmann, denn ohne ihn wäre er nie bis zum Emir vorgedrungen. Da muss man sich schon fragen: Wie kann es denn sein, dass ein Bewerber den FIFA-Vorstand Beckenbauer, der damals ja noch Wahlmann war, einspannt, um einen anderen Bewerber zum Rückzug zu bewegen?
SPOX: Auch im Zusammenhang mit der WM-Vergabe nach Russland wird Beckenbauers Handeln bisweilen kritisch bewertet...
Kistner: Er war ja immerhin im Exekutivkomitee der FIFA, als die WM nach Russland vergeben wurde. Monate später gab er das FIFA-Amt auf und wurde Werbe-Testimonial für die russische Gasindustrie.
SPOX: Könnte es im Zuge der Ermittlungen auch für Beckenbauer nochmal eng werden?
Kistner: Wenn ich mir die bisherige Einschätzung von Herrn Eckert ansehe, dann kann Beckenbauer ruhig schlafen. Aber die Frage ist, wie das Ganze weitergehen soll. Denn es ist ein völlig neuer Druck entstanden.
SPOX: Am Donnerstag geht diese langwierige Saga in eine neue Runde: Eckert und Garcia wollen sich treffen. Was sagt Ihr Bauchgefühl: Wie geht diese dubiose Geschichte weiter?
Kistner: Ich glaube, dass der Garcia-Bericht schon längst dort ist, wo er hingehört: beim FBI. Ich denke auch, dass er irgendwie veröffentlicht wird. Mark Pieth, der Anti-Korruptionsbeauftrage der FIFA, hat Garcia ja bereits durch die Blume aufgefordert, den Bericht publik zu machen. Die FIFA sollte sich jetzt schon überlegen, wie sie damit dann umgehen will...
SPOX: Wie ist vor diesem Hintergrund die Strafanzeige der FIFA zu verstehen, die am Dienstag bekannt wurde?
Kistner: Aus meiner Sicht eine Alibi-Übung der FIFA, die den ganzen Garcia-Bericht jetzt an die Schweizer Bundesanwaltschaft rüberschiebt in der Hoffnung, die sagt am Ende: Da ist nichts, machen wir den Deckel drauf. Das ist alles so schlicht durchschaubar. Die Öffentlichkeit darf sich nicht täuschen lassen: Die Schweizer Behörde schaut sich jetzt nur einmal an, was Garcia und Eckert da Feines zusammengeschaufelt haben. Es ist aber kaum vorstellbar, dass sie selber Ermittlungen aufnimmt. Und wenn sie den Deckel drauf macht, heißt das nicht, da sei nichts gewesen. Sondern nur, dass die FIFA nichts gefunden hat. Aber das wissen wir heute schon.
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