In der Wüste Marokkos sollen die Korruptionsvorwürfe gegen den Fußball-Weltverband FIFA endlich im Sande verlaufen - doch schon vor der ersten Sitzung des Exekutivkomitees seit dem Ethik-Skandal tobte wieder ein weltweiter Sturm der Entrüstung. Nach zwei höchst umstrittenen Urteilen scheinen die Ermittlungen zu den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 mehr denn je auf Sand gebaut.
Der Einspruch des Chefermittlers Michael Garcia (USA) gegen die in seinen Augen schlampige Auswertung seiner Untersuchung durch den deutschen Richter Hans-Joachim Eckert (München) wurde am Dienstag genauso abgeschmettert wie die Beschwerde der Whistleblower, die sich von Eckert an den Pranger gestellt fühlen. Zwischen den Zeilen der knappen Pressemitteilungen räumte die FIFA ein: Der Weltverband weiß selbst nicht, wie er mit dem "Garcia-Report" umgehen soll!
"Entzieht sich meiner Erkenntnis"
"Ob in Marokko über die WM-Vergabe diskutiert wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Es wäre aber schön, wenn endlich Klarheit einkehren würde, damit die Spekulationen und Verdächtigungen aufhören. Wir beim DFB wünschen uns einen Schlussstrich", sagte Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Entschieden werden soll laut Agenda über eine mögliche, aber höchst unwahrscheinliche Veröffentlichung des kompletten 430-Berichts von Garcia.
Niersbachs Vorgänger Theo Zwanziger hatte für die Sitzung am Donnerstag und Freitag in Marrakesch einen entsprechenden Antrag zur Lockerung des Artikels 36 im Ethik-Code eingebracht. Dort ist bislang noch absolutes Stillschweigen der Ermittler vorgeschrieben, es geht vor allem um Zeugenschutz. "Nur die endgültigen Entscheidungen, die den betreffenden Parteien bereits bekannt sind, dürfen veröffentlicht werden", heißt es.
"Weder rechtsverbindlich noch anfechtbar"
Deshalb hat die Ethikkommission bislang nur die 42-seitige Auswertung der Untersuchung des früheren US-Bundesanwalts Garcia öffentlich gemacht. Das von Eckert verfasste und wohl zu gut gemeinte Papier wurde scharf kritisiert. Auch von Garcia, dessen offizieller Einspruch aber aus formalen Gründen scheiterte. Da beginnt die Verwirrung.
Weil Garcia keinen sogenannten "Schlussbericht" zu seinen Ermittlungen mit offiziellen Sanktionsanträgen angeliefert habe, enthalte die "freiwillige" Stellungnahme des deutschen Richters zu Garcias Arbeit auch keine Entscheidungen. Folglich sei Eckerts Arbeit "weder rechtsverbindlich noch anfechtbar", so die Begründung der FIFA-Berufungskommission. Welchen Sinn beide Arbeiten haben, bleibt damit völlig unklar. Der Garcia-Bericht sei "als solcher im FIFA-Ethikreglement nicht vorgesehen", räumte die FIFA ein.
Antworten geben soll in Marokko der Vorsitzende der Audit- und Compliance-Kommission, Domenico Scala. Der renommierte Wirtschaftsexperte hatte im November die Aufgabe bekommen, Garcias Bericht zu bewerten und zu entscheiden, wie viele dieser Informationen dem FIFA-Exekutivkomitee offengelegt werden sollten. So könnte der bislang angeblich höchst geheime Bericht von den Exko-Mitgliedern gesichtet werden können, wenn auch an vielen Stellen geschwärzt.
Almajd kritisiert Urteil hart
Mit der Geheimhaltung hatte aber bereits Eckert so seine Probleme. In dessen Auswertung, der zusammengefasst nur ein paar Ermahnungen gegen einige der damaligen WM-Bewerber enthielt, waren - obwohl keine Namen genannt wurden - relativ einfach die Informantinnen Bonita Mersiades und Phaedra Almajid zu identifizieren gewesen. Mersiades hatte für die australischen WM-Bewerber gearbeitet. "Er hat mich den Löwen zum Fraß vorgeworfen", sagte Almajid, frühere Pressechefin der Katar-Bewerbung.
Die FIFA-Disziplinarkommission sah das allerdings anders und sprach Eckert von den Vorwürfen frei. Auch, weil beide angeblich selbst an die Presse gegangen seien. Die Beschwerde "betreffend Verletzung des Vertrauensschutzes" sei haltlos, teilte Kommissions-Chef Claudio Sulser mit.
Auch Garcia sei der Meinung, dass "aus seiner Sicht keine Rechtsverletzung durch Eckert vorliege". Almajid konterte umgehend und ging mit dem Urteil hart ins Gericht. Im Guardian sagte sie: "Ich habe mein Versprechen gehalten!" Die FIFA aber nicht.
Die Ethikkommission aber braucht handfeste Beweise in Form von Dokumenten, haltbaren Zeugen oder Aufnahmen, um in irgendeiner Weise eine Neuvergabe der Endrunden empfehlen zu können.
Sonst droht ein juristisches Erdbeben - sowohl Katar als auch Russland sind mächtige Gegner, die einen Entzug ihres Prestigeprojekt wohl auf keinen Fall ohne Weiteres akzeptieren würden. Von Ultimaten, wie sie Zwanziger in der Sport-Bild ansprach, lässt sich in der Wüste ohnehin niemand beeindrucken.