Die nobelste aller Blutgrätschen

SPOX
16. Februar 201522:33
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Lazio-Boss Lotito mosert über die popligen Aufsteiger und erfindet eine neue Sportart. Diego Costa spricht über seine "noblen" Grätschen und Martin Ödegaard versinkt im Schlamm.

Serie A

Von Oliver Birkner

Je suis Carpi des Spieltags: Carpi ist nicht Capri. Vor einiger Zeit wollte eine amerikanische Familie mal Verwandte in Carpi besuchen, das in der Provinz Modena liegt. Das US-Konglomerat landete in Milano Malpensa, gab fatalerweise Capri ins Navi, fuhr lustigerweise nach rund zweieinhalb Stunden am eigentlichen Zielort vorbei, um nach schmerzhaften 625 Extrakilometern verblüfft am Fährenhafen in Neapel zu landen. Carpi ist seit einigen Monaten prominenter auf der Landkarte. Der Klub aus dem 70.000-Einwohner-Städtchen führt nicht nur die Serie B an, er wurde nun auch zum Symbol gegen steriles Fußball-Business und für träumende Tifosi von kleineren Vereinen. Am Wochenende gab nämlich Ischia-Manager Pino Iodice sein brisantes Telefonat mit Lazio-Präsident Claudio Lotito an die Presse. Darin parlierte Lotito, dem Präsidenten der Serie B beispielsweise vorgeworfen zu haben: "Wir müssen schnell was ändern. Parma geht runter und du schickst mir Klubs wie Carpi, Frosinone oder Latina hoch in die erste Liga? Einer davon wäre okay, aber zwei, die einen Scheiß wert sind? Ich habe mit meinem Geschick 1,2 Milliarden Euro für die TV-Rechte herausgeholt. Wer zahlt das noch in drei Jahren mit Carpi oder Frosinone? Die Sender wissen doch gar nicht, dass es diese Scheiß-Vereine überhaupt gibt."

Viele kleinere Klubs solidarisierten sich am Spieltag mit Shirts oder Transparenten: "Je suis Carpi!" Lotito gab weitere Einblicke, in die machiavellistische Sportpolitik des Calcio. "Wer entscheidet wohl in der Serie A? Ligapräsident Maurizio Beretta? Der entscheidet null, rein gar nichts. Ich habe unter den Patronen 16 Stimmen sicher." Auch in der Serie C lässt Lotito, der zudem im Rat des Verbandes sitzt, offenbar seinen Einfluss spielen. Ligavorsitzender Maurizio Macalli sei nichts wert, doch man müsse ihn noch im Amt halten. Bald ginge er ohnehin von selbst und sei eben noch für 18 Monate simple Marionette. Sollte Iodice nicht für ihn stimmen, würde Lotito dafür sorgen, Verbandszuschüsse für den Drittligisten Ischia zu streichen. Kein Problem, schließlich hatte Lotito gemeinsam mit Busenfreunden wie Milan-Manager Adriano Galliani bereits die konturlose Marionette Carlo Tavecchio zum Präsidenten des italienischen Verbandes gehievt.

"Ich hatte vom Paten Lotito genug, deshalb entschloss ich mich zur Veröffentlichung des Telefonats", erklärte Iodice. Mit seinem üblich schwarzen Umhang und den fünf gleichzeitig surrenden Handys wäre Lotito im Streifen von Francis Ford Coppola keineswegs deplatziert. "Lotitogate" nannten die Gazetten den Skandal, doch das Schicksal eines Richard Nixon wird er wohl nicht erleiden. Abgesehen von Juventus, Roma und Florenz versteckte sich das Gros der 20 Serie-A-Klubs hinter der Omertà. "Im Ausland lacht man nur noch über uns. So jemand wie Lotito erinnert an die Zeit des Mittelalters", zürnte Juve-Sportchef Beppe Marotta. Ohnehin kein Kumpan des Römers, der vor einigen Monaten über den schielenden Marotta erzählte: "Den soll ich ernst nehmen? Er spielt mit einem Auge Billard und schreibt mit dem anderen die Punkte auf." Je suis Marotta et Carpi.

Provinz des Spieltags: Als Antwort auf Lotito legten sich die Klubs aus der Mitte-Unten-Kategorie besonders ins Zeug. Palermo schlug Napoli, der Letzte Parma holte ein Remis bei der Roma, Cesena überzeugte beim 2:2 gegen Juventus, Chievo besiegte Sampdoria und Empoli spielte remis beim AC Milan - in Empolis Startformation standen acht Youngster, die zum ersten Mal im San Siro kickten. Respekt. Doch die "Rossoneri" treten längst selbst wie Provinz auf. Fünf Zähler sammelten sie aus sieben Partien 2015, selbst die Tifosi haben die Geduld verloren und forderten den Kopf von Coach Filippo Inzaghi. Dessen Punkteschnitt liegt nach 23 Partien bei 1,3, der schlechteste in 29 Jahren unter dem Berlusconi-Regime.

Und sonst? Zum Valentinstag ließ sich Sampdoria-Präsident Massimo Ferrero einen herzzerreißenden Tweet einfallen: "Ein besonderer Tag, ohne die Liebe ist alles trüber. Das Schönste ist es zu lieben, viva l'amore!" Erster Kommentar nach wenigen Sekunden: "Und vor allem: Viva la figa!" Das bedeutet Muschi. An San Valentino können Männer eben doch auch mal romantisch sein.

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Premier League

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Geste des Spieltags: Dass sich hinter einer Einwechslung und manch einem Trikottausch eine wirklich herzzerreißende Geschichte verstecken kann, zeigte unter der Woche das Spiel zwischen Stoke und Manchester City. Weit in der Nachspielzeit stand an der Seitenlinie ein unauffällig wirkender Nachwuchsspieler: Oliver Shenton, 17 Jahre, geboren in Stoke-on-trent. Ein echter Junge der Stadt. Nicht alle Zuschauer im Stadion kannten jedoch die Story, die hinter dieser Einwechslung stand: Denn der Mittelfeldspieler hatte eine wahrhaftig schlimme Woche hinter sich. Wenige Tage zuvor starb die Mutter des Nachwuchsspielers nach einem 15-jährigen Kampf an Brustkrebs.

Stoke-Trainer Mark Hughes bewies nur zwei Tage nach der Beerdigung wahre Größe, wechselte den 17-Jährigen weit in der Nachspielzeit ein und verhalf ihm somit zu seinem Premier-League-Debüt. Auch Frank Lampard, dem vor allem aus dem blauen Londoner Umfeld ein eisiger Wind ins Gesicht blies, zeigte einen Part seines großen Herzens. Der Mittelfeldspieler ging nach dem Spiel auf Shenton zu und tauschte das Trikot mit dem Nachwuchskicker. Diese Geste kam nicht von ungefähr. Auch Lampard verlor im Jahr 2008 seine Mutter und weiß wohl genau, wie sich der 17-Jährige gerade fühlt.

Potpourri des Spieltags: Drei Stichpunkte sind für den englischen Teil der Blitzlichter in dieser Woche eigentlich zu wenig. Zu viel war auf der Insel los. Da die Themen allerdings zu schade sind, um diese in die Tonne zu treten, stopfen wir allesamt schnöde und kurz hier rein. Einleitung und Schluss der einzelnen Themen muss man sich dann eben selbst zusammenschnitzen. Und los:

1) Für die kommenden drei Spielzeiten kassieren die Premier-League-Klubs nach Abschluss des kranken TV-Vertrages rund 6,9 Milliarden Euro. Das könnte man schon als gaga bezeichnen. Warum? Das Bruttoinlandsprodukt von 54 Staaten ist niedriger. Unter anderem Moldawien, der Kosovo, Montenegro, und, und, und...

2) Gefühlt wenige Sekunden nach der Verpflichtung von Tim Sheerwood als Trainer von Aston Villa gab's im Fan-Shop der Homepage einen neuen Artikel - die weltbekannte ärmellose Sheerwood-Jacke. Für schlappe 29 Pound ist diese aktuell zu haben.

3) Eine sehr, sehr eloquente Jury von 250 Amerikanerinnen wählte im Zuge des Valentinstages die elf heißesten Spieler der Premier League. Beauty-Queen der Insel-Kicker ist Arsenals Olivier Giroud. Da wir hier in den Blitzlichtern sind, jucken uns die Liga-Models allerdings nicht die Bohne. Wir schauen auf die Verlierer und stellen mit Erschrecken fest, dass es Gerhard Tremmel in die "Not Hot 11" geschafft hat. Wir finden dich trotzdem sexy, Gerhard! Sonst im Shrek-Kader dabei: Ritchie De Laet, James Collins, Joleon Lescott, Aly Cissokho, Angel Di Maria, Cheick Tiote, Stephen Quinn, Saido Mane, Mario Balotelli, Marouane Chamakh.

Anything else? Wo wir schon mal bei wilden Ogern sind: Auch Diego Costa meldete sich unter der Woche zu Wort. Der Chelsea-Stürmer, der aktuell aufgrund einer Tätlichkeit zum Zuschauen verdammt ist, sprach in einem Interview über die englische Härte und seine Spielweise. "In England wird deutlich weniger gepfiffen als beispielsweise in Spanien. Für einige Fouls, die ich hier in England kassiert habe, hätte es in Spanien die Rote Karte gegeben", so Costa. Auch zu seinem Klopper-Ruf äußerte sich der Spanier. Seine Fouls seien "strong but noble", meinte Costa. Wie man das jetzt allerdings übersetzt, ohne das inhaltlich zu verzerren, bleibt jedem Leser selbst überlassen. Einige Vorschläge des Wörterbuches: nobel, edel, adlig, großherzig, prächtig, stattlich, vornehm, feudal. Wir haken bei Emre Can nach.

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Primera Division

Von Frank Oschwald

Schlammschlacht des Spieltags: Mit Pauken und Trompeten haben sie Martin Ödegaard vor wenigen Wochen im Königlichen Kreise empfangen. Das Talent des Universums wechselt in die spanische Hauptstadt. Klar, dass da die spanische Presse auch ein großes Tamtam veranstaltete. Bald wird dieser kleine Norweger die Königlichen zum CL-Titel schießen. Eigentlich ja nur eine Frage der Zeit. Bis es soweit ist, muss der Blondschopf allerdings noch durch die harte Schule der spanischen Unterklasse.

Dass man sich dort allerdings vielleicht nicht unbedingt im direkten Umfeld der Real-Madrid-Strahlkraft tummelt, bekommt der Norweger aktuell zu spüren. Mit der zweiten Mannschaft von Real trat er bei Amorbieta an. Vor einer Handvoll Zuschauer, auf einem fürch-ter-lichen Platz. Der Norweger wurde bereits zur Halbzeit wieder ausgewechselt. Seine beste Aktion? Ein Freistoß aus dem Halbfeld, den der erste Verteidiger wieder aus der Gefahrenzone köpfte. Bienvenido a Segunda Divsion, Senor Ödegaard.

Lobhudelei des Spieltags: Okay, jetzt aber genug der Schelte. Stattdessen schmeißen wir großzügig mit Lob um uns. Bale, Ronaldo, Benzema, James Rodriguez und Kroos, huiuiuiuiui, was für ein außerirdischer Haufen dachten alle vor der Saison. Ihnen sei gesagt: Ja gut, habt schon Recht. Aber! Ein Spieler dribbelte sich zuletzt dermaßen ins Blickfeld der Königlichen, dass sie ihn schon tief ins Herz geschlossen haben: Isco. Nach seiner Ankunft aus Malaga noch als Fehleinkauf verschrien, zaubert der kleine Spanier aktuell ein ums andere Mal. Eine Statistik zum Stellenwert Iscos gefälig? Unter Carlo Ancelotti machte kein anderer Spieler mehr Spiele als der Mann mit den schlimmsten O-Beinen seit Pierre Littbarski. Verletzung, Sperren, hin und her, Isco stand 87 Mal auf dem Feld.

Wir wechseln kurz die Perspektive und schauen auch noch zu einem anderen anfänglichen Sorgenkind: Denn ähnlich wie Isco musste auch Luis Enrique in den ersten Wochen mächtig einstecken. Klar, inzwischen flutscht's, doch bei vielen schlummert immer noch der verkorkste Start im Hinterkopf. Auch hier reicht ein Blick in die Statistik-Truhe, um alle Zweifel wegzuwischen. 30 Siege, zwei Unentschieden und vier Niederlagen kassierte Enrique seit Dienstbeginn. Ein gewisser Pep Guardiola starte wie folgt: 29 Siege, vier Unentschieden und drei Niederlagen.

Algo mas? Lässig ist es aktuell für alle Fans von Sevilla und Valencia. Hinter den großen Dreien - eat this, spanische Verhältnisse - hat man sich es schnuckelig auf den Plätzen vier und fünf gemacht. Hier und da staubt man wie am Wochenende mal wieder drei Punkte ab und liefert sich somit gegenseitig ein wildes Rennen um den direkten CL-Quali-Platz. Doch speziell aus Anhänger-Sicht ist es speziell nach einer Führung "a gmahde Wiesn", wie der Bayer sagen würde. Zurücklehnen, Nüsse essen und Beine hochlegen. Denn sobald eines der beiden Teams in Führung ging, gab's zumindest immer einen Punkt. Das schafften nicht einmal die großen Drei. Eat this, spanische Verhältnisse.

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