Südafrika steckt in der Krise.
Kein Strom. Seit Monaten regiert im wirtschaftlich eigentlich am besten entwickelten Land des Kontinents der Blackout. Die Energie-Nachfrage übersteigt das Angebot, bis Ende April sollen die Stromausfälle mindestens noch anhalten, warnte der staatliche Anbieter Eskom. Die Betriebe und Minen stehen still, Investoren ziehen sich zurück, der Kurs des Rand befindet sich seitdem auf Talfahrt.
Anfang Februar wandte sich die zuständige Ministerin an die Öffentlichkeit. Ihr Appell: Die südafrikanische Bevölkerung müsse zusammenarbeiten - "so wie damals, als wir 2010 die Fifa Weltmeisterschaft erfolgreich ausrichteten". Da habe man die eigene Hartnäckigkeit unter Beweis gestellt. "Ein Fehlschlag sei keine Option gewesen."
Die WM 2010 als Schlachtruf, der die sonst so gespaltene "Regenbogen-Nation" eint, als stete Erinnerung daran, was möglich ist. Was ist sonst noch übrig vom ersten großen Turnier Afrikas, viereinhalb Jahre danach?
"Enttäuscht über die Europäer"
Ein Blick auf die nackten Zahlen: Laut WM-Abschlussbericht hat Südafrika umgerechnet rund 2,3 Milliarden Euro ausgegeben. Davon entfielen eine Milliarde auf die Infrastruktur. Die insgesamt zehn Stadien, von denen fünf neu gebaut worden waren, verschlangen noch einmal 850 Millionen. Allerdings geistern auch Zahlen von 3,5 bis 4,5 Milliarden Euro durch die Gazetten, rechnet man alle Investitionen im Zuge der WM zusammen.
Die FIFA dagegen verabschiedete sich im Gegenzug mit mehreren hundert Millionen Euro Gewinn aus Südafrika - Sponsoren, TV-Verträgen und einer Menge staatlicher Vergünstigungen sei Dank. Etwa 310.000 Touristen lockte das Turnier ins Land - zugegebenermaßen deutlich weniger als die erhofften 600.000. "Wir waren enttäuscht über die wenigen Europäer, die ihrem Team nachgereist sind, gerade im Vergleich zu den Südamerikanern", sagt Marc Strydom, Sportreporter der Sunday Times, im Gespräch mit SPOX. "Wahrscheinlich lag es an der schlechten Presse und den Schauergeschichten über die hohe Kriminalität in Südafrika."
Afrikas Potenzial vor den Augen der Welt
Doch allein an diesen Statistiken Erfolg oder Misserfolg festzumachen, ist natürlich verfrüht. Nicht umsonst halten sowohl FIFA als auch die südafrikanische Regierung dazu an, den "immateriellen" Nutzen des Turniers zu berücksichtigen. Die verbesserte Infrastruktur werde sich in den kommenden Jahrzehnten auszahlen, und auch die positive Auswirkung auf den Tourismus sei kaum an den Zahlen von 2010 und 2011 allein festzumachen. "95 Prozent der WM-Touristen wollen wiederkommen, 98 Prozent Südafrika weiterempfehlen", erklärte Danny Joordan, Chef des Organisationskomitees, in einem Interview mit fifa.com.
Und wie bewertet man die Tatsache, dass ganz Afrika stolz darauf war, vor den Augen der Weltöffentlichkeit das größte Turnier überhaupt erfolgreich ausgerichtet zu haben? "Es gab große Zweifel , ob es Südafrika schaffen würde. Ob seit Einführung der Demokratie überhaupt genügend Fortschritt gemacht wurde", erinnerte Gary Bailey, früherer Keeper von Manchester United, im Guardian. "Dass wir Gastgeber einer der besten Weltmeisterschaften überhaupt waren, hat der ganzen Welt Afrikas Möglichkeiten vor Augen geführt." Und Carlos Amato von der Times in Südafrika bestätigt: "Es hat viel bedeutet, dass das einer afrikanischen Gesellschaft gelungen ist."
Ein positives Image ist mit Geld nicht zu kaufen, lockt von außerhalb jedoch Touristen und zahlungskräftige Investoren. Auch innerhalb der Grenzen waren, zumindest kurzzeitig, positive Effekte spürbar - man denke nur zurück an die WM 2006, die es plötzlich wieder möglich machte, stolz auf die eigene Nation zu sein. Und die das Ansehen der Deutschen im Ausland enorm steigerte. "Fußball hat einen tiefgehenden Effekt auf die Psyche der Nation", so Robin Peterson, bis 2012 Vorsitzender des südafrikanischen Fußballverbandes, gegenüber dem Guardian.
Und fügt hinzu: "Wenn der Steuerzahler dafür die Stadien finanzieren muss, dann ist das eben so."
So wird bis heute munter weitergezahlt.
Weiße Elefanten sorgen für rote Zahlen
Wer gehofft hatte, dass die WM auch einen Boom für die beheimatete Premier Soccer League auslösen würde, sah sich schnell eines Besseren belehrt. Wo in Deutschland bis heute von den modernen WM-Stadien profitiert wird, fehlt in Südafrika die Nachfrage, um die riesigen Schüsseln zu füllen. Rugby und Cricket ziehen vor allem die weiße Bevölkerung mitsamt ihren tiefen Taschen an, die Übertragungen der großen europäischen Ligen tun ihr übriges, um das Publikum fernzuhalten. Machte der Zuschauerschnitt in der Saison 2011/2012 noch einen Sprung auf 7.120 pro Spiel, fiel er im vergangenen Jahr auf rund 5.000.
So macht mit dem Soccer City Stadium in Johannesburg gerade mal eines der zehn neuen oder renovierten Stadien keinen operativen Verlust, weil es mit den Kaizer Chiefs und Orlando Pirates die beiden größten Klubs des Landes aufbieten kann. Der Rest jedoch schreibt rote Zahlen, teilweise in jährlicher Millionenhöhe. "Das Problem ist nicht, dass durch die WM Verlust gemacht wurde, sondern dass die neuen Stadien ihre Kosten nicht tragen können, weil es nicht genügend Events gibt", sagt Dale Petersen, Investmentbanker aus Kapstadt, zu SPOX.
Wenn es überhaupt einen Erstligisten im Austragungsort gibt, lockt der zu wenig Zuschauer. Die Rugby-Teams spielen lieber in den eigenen Stadien in den reicheren Vororten. Für Professor Patrick Bond von der University of KwaZulu-Natal in Durban sind diese "Weißen Elefanten", wie die imposant aufragenden und doch leerstehenden Bauwerke genannt werden, mitsamt ihren horrenden Kosten durch "immateriellen Nutzen" allein nicht gerechtfertigt. "Eine WM könnte sehr viel kostengünstiger ausgetragen werden, wenn die FIFA die Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigen würde, anstelle ihres Luxus-Fetischs", so Bond.
Kinderträume möglich machen
Der größte "Elefant" ist Kapstadts Greenpoint-Stadion, aufgrund einer Vorgabe des Weltverbandes malerisch vor dem Tafelberg gelegen - und damit weit weg von den Vierteln der Schwarzen. Bis auf Erstligist Ajax gibt es kaum einen Nutzer, das Rugby-Team Stormers hat eine eigene Heimstätte. Um Länderspiele oder andere Mega-Veranstaltungen wird daher von den großen Stadionbetreibern verzweifelt gerungen, das drückt den Preis. Laut der New York Times hat die Stadt so seit 2010 fast 30 Millionen Euro gemacht.
Komitee-Chef Jordaan verteidigt die teuren Stadien. "Man kann keine Gesellschaft errichten, die nur darauf aus ist, Schulen und Wohnungen zu bauen", argumentiert er. Es brauche auch Freizeitmöglichkeiten. Und eben Stadien, damit die jüngere Generation ihren Traum ausleben könne, "der nächste Ronaldo, Pele oder Neymar zu sein". Die Aufgabe der Regierung sei es, "diese Balance zu wahren".
"Der Kater ist brutal"
Ob dies gelungen ist, bleibt mehr als fraglich. Auch die Investitionen in die Infrastruktur stoßen nicht auf ungeteilte Zustimmung. "Die Straßen sind besser, die Touristen-Hotspots sind ebenfalls viel leichter zu erreichen", gibt Petersen gegenüber SPOX zu. "Aber Zugverbindungen und Taxi lassen noch zu wünschen übrig." Laut Strydom sind einige Projekte erst kürzlich fertiggestellt worden. Die öffentlichen Verkehrsmittel hätten sich verbessert - doch manches bröckele auch schon wieder vor sich hin: "Der Verfall in einer Stadt wie Johannesburg ist beängstigend."
Die mautpflichtigen Autobahnen bedeuten schwere Hürden für die ärmere Bevölkerung, das Prestigeprojekt Gautrain, eine moderne Zugverbindung zwischen Pretoria und Johannesburg, ist ebenfalls nicht gerade billig. Von den Flughäfen ganz zu schweigen. "Die Preise sind viel zu hoch für einen Großteil der Bevölkerung", bekräftigt Dale McKinley, Analyst aus Johannesburg, gegenüber der BBC. Und Professor Bond zieht ein vernichtendes Fazit: "Das Turnier war ein schwindelerregender Rausch, aber der Kater - die Ungleichheit, die sozialen Unruhen aufgrund der wirtschaftlichen Probleme - ist brutal."
Hat denn zumindest der südafrikanische Fußball profitiert?
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