"Mein Haus muss dran glauben"

David Kreisl
16. Juni 201515:08
Stefan Kohfahl (r.) ist mit seiner Fußballschule für Real Madrid in Deutschland Mraktführerspox
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Ein Sportwissenschaftler lässt alles stehen und liegen, entwickelt ein Konzept für Nachwuchscamps - und ist mit der "Real Madrid Foundation Clinics" binnen kürzester Zeit Marktführer in Deutschland. Direktor Stefan Kohfahl im Gespräch mit SPOX über einen wundersamen Aufstieg, die Macht des Namens Real Madrid und sein einzigartiges Projekt.

SPOX: Herr Kohfahl, Sie haben die Entstehung der Real Madrid Foundaton Clinics in einem Interview als "Aschenputtel-Geschichte" betitelt. Wie kam es zur Idee?

Stefan Kohfahl: Ich bin Sportwissenschaftler, seit 32 Jahren im Jugend- und Herrenbereich Trainer und habe 15 Jahre lange Fußballschulen betreut - zuletzt bei einem großen Bundesligisten. Da habe ich gemerkt, dass mich das nicht befriedigt, weil Dinge wie Markenbildung oder Fanbindung im Vordergrund stehen. Daraufhin habe ich über ein, zwei Jahre ein eigenes Konzept entwickelt und das bei Fußballklubs im europäischen Ausland vorgestellt. Real Madrid hat mir schließlich den Zuschlag gegeben.

SPOX: Gab es kein Interesse aus Deutschland?

Kohfahl: Es gab einen sehr bekannten Bundesligisten in Deutschland, der mich zum Gespräch eingeladen hatte. Das musste ich aber absagen, weil ich da schon sehr weit in den Verhandlungen mit Real Madrid war. Aber aus den Top-Ten der letztjährigen UEFA-Rangliste waren sieben Klubs unter den Interessenten.

SPOX: Plötzlich saßen in den Büros der größten Fußballvereine der Welt. Wie hat sich das angefühlt?

Kohfahl: Es ist schon komisch gewesen. Bei der Vertragsunterzeichnung im Büro von Real-Boss Jose Angel Sanchez war ich aber relativ gelassen, weil ich alles noch gar nicht fassen konnte. Real ist für mich persönlich der größte Verein und ich bekomme den größten Support. In Madrid hat man mich direkt in den Arm genommen und gesagt: "Du bleibst hier, wir haben Großes mit dir vor!" Das war eine Perspektive, der man aber natürlich auch gerecht werden muss.

SPOX: Was hat man denn mit Ihnen vor?

Kohfahl: Ich habe das Konzept eigentlich nur für Deutschland vorgestellt. Dann sagte Sanchez: "Ich lasse dich hier nur raus, wenn du Europa machst!" Seine Vision ist es, dass sich irgendwann die besten Kinder in Madrid zum größten Fußball-Happening der Welt treffen und sich austauschen - kulturell wie sportlich. Dieser Vision nähern wir uns mit großen Schritten.

SPOX: Wie muss man sich die Entwicklung Ihres Konzepts vorstellen? Bei ein bis zwei Jahren Entwicklungszeit war das sicher kein billiger Spaß.

Kohfahl: Die Einladungen von den Klubs waren von Beginn an da - ich musste aber alles selbst bezahlen. Man musste Dolmetscher mitbringen, anfangs waren auch Anwälte dabei. Ich habe das Konzept dann wegen einer Finanzierung schließlich bei der Bank vorgestellt. Der Banker meinte - und das werde ich nie vergessen: "Tolle Idee, tolles Konzept" - und dann warf er mir eine Mappe herüber: "Und tolles Haus!" (lacht) Da war klar: Ich kann so viel reden wie ich will, mein Haus muss dran glauben.SPOX

SPOX: Das eigene Heim als Sicherheit für ihr Konzept. Hatten Sie nie Angst, dass das Ganze doch schiefgehen könnte?

Kohfahl: Angst ist der falsche Berater. Ich war mit Leidenschaft bei der Sache und durfte es bei Real gleich in der obersten Ebene präsentieren. Natürlich gab es ein paar Schwierigkeiten. Das Wording "Clinics" beispielsweise ist in Deutschland gewöhnungsbedürftig, steht aber im englischen einfach für Sprechstunde. Aber wir sind trotz aller Anlaufschwierigkeiten im April letzten Jahres gestartet, hatten im Juli unser erstes Camp in Bottrop - und das war ausverkauft.

SPOX: Wie lief die inhaltliche Entwicklung des Konzepts: Haben sich bei Klubs vor Ort Inspiration geholt oder sitzt man die meiste Zeit zuhause im stillen Kämmerchen?

Kohfahl: Ich war viel auf Reisen und habe hospitiert. Ich war bei Benfica Lissabon, die eine sehr tolle Akademie haben oder in Valencia, die in Spanien auf dem Gebiet mit führend sind.

SPOX: Das klingt wahnsinnig zeitintensiv.

Kohfahl: Es entwickelt sich alles immer weiter und wir hatten nie die Zeit, anzuhalten. Es wird immer größer. Ich habe seit zwei Jahren keinen Urlaub gemacht, jedes einzelne Camp bereist, jeden Partnerverein besucht und mir die Anlage angesehen. Ich konnte das alles noch gar nicht so richtig realisieren. Das mache ich dann in fünf Jahren. (lacht)

SPOX: Warum sind die Clinics besser als normale Fußballschulen?

Kohfahl: Der Fokus liegt bei uns auf 30 Stunden Fußball. Es gibt keine Marketingmaßnahmen, kein Merchandising und es kommt kein Maskottchen vorbei. Es gibt ein sportliches Weiterkommen, weil die besten Kinder nach Madrid dürfen. Aus jedem Camp nominieren wir fünf, sechs Talente, die zu regionalen Tryouts kommen. Unsere Prämisse ist auch die Vermittlung von kulturellen, sozialen und sportlichen Werten. Beim Sport sind alle gleich - das ist eine Basis, auf der wir gut arbeiten und den Kindern schnell was vermitteln können. Als Beispiel: Bei den Tryouts sind natürlich alle ehrgeizig, alle wollen nach Madrid. Und dennoch haben wir keine Schiedsrichter, lassen die Kinder einfach so spielen und beobachten. Da kann man soziale Kompetenzen erkennen. Alleine da merkt man bereits, dass es einen ganz anderen Spirit gibt, als bei einer normalen Fußballschule.

SPOX: Kurz gesagt: Fußball statt Marketing.

Kohfahl: Real Madrid braucht nicht mehr Fans. Real Madrid braucht kein Geld. Wenn wir hier 100.000 Euro einnehmen, hilft das dem Verein nicht weiter.

SPOX: Wie sieht denn das "Wunsch-Talent" aus?

Kohfahl: Der Fußballer an sich besteht für Real aus drei Kreisen: Talent, Einstellung und Erfahrung. Wenn jemand nur auf dem Feld steht und die Diva spielt, hat er ein Problem mit uns. Wir fordern Disziplin und Respekt ein - auch untereinander. Man muss gewinnen, man muss aber auch verlieren können. Der Ältere hilft dem Jüngeren, der Stärkere dem Schwächeren. Wenn ich auf dem Feld merke, dass ich besser bin, gehe ich in eine Führungsrolle, reiße die anderen mit und mache sie nicht nieder. Am Ende jedes Camps wird der beste Teamplayer gekürt, der ein Meet and Greet mit den Real-Profis gewinnen kann.

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SPOX: Wie viele der Kinder schaffen es unter dem Strich nach Madrid und dürfen vorspielen?

Kohfahl: Letztes Jahr waren insgesamt 4800 Kinder in allen Camps, rund 300 bei den Tryouts und acht, die nach Spanien durften und in der Jugendakadamie von Real mittrainiert haben. Dieses Jahr werden es hoffentlich noch mehr sein, weil wir alleine in den Camps über 10.000 Kinder haben werden.

SPOX: Hand aufs Herz: Wie viel kann man den Kindern in den fünf Tagen, die die Clinics dauern, überhaupt mitgeben?

Kohfahl: Von den angesprochenen kulturellen, sozialen und sportlichen Werten eine ganze Menge. Der Zugang ist da, weil wir für diese Kinder Real Madrid sind. Wir sind wie Carlo Ancelotti, wie Cristiano Ronaldo. Und wenn man das nicht in eine Marketingschiene drückt, sondern die Erwartungen erfüllt, kann man den Kindern viel vermitteln. Ich werde keinen in fünf Tagen zum besseren Techniker machen, das ist klar. Aber in Sachen Spielintelligenz kann man durchaus Anreize schaffen.

SPOX: Andersherum gefragt: Wie schwer ist es für Sie und ihr Trainerteam, innerhalb kürzester Zeit zu beurteilen, ob jemand das Potenzial für den ganz großen Sprung haben könnte?

Kohfahl: Da wir mehrere Punkte bewerten, ist es nicht immer derjenige, der sofort auffällt. Der Lauteste oder der, der die meisten Tore schießt, ist nicht unbedingt der, der von uns gewünscht ist. Es ist ein Prozess, in den wir alle Trainer miteinbeziehen. Aber: Eine allgemeine Talent-Prognose bei Neun- oder Zehnjährigen ist eigentlich zu früh.

SPOX: Was erwartet Real von Ihnen?

Kohfahl: Real Madrid ist in Deutschland auf dem Gebiet mittlerweile Marktführer. Wir haben alles überrollt und unseren Pflock in der Landkarte. Wir haben dieses Jahr 150 Camps und sind alle 50 Kilometer präsent.

SPOX: Woran liegt es denn, dass die deutschen Vereine in diesem Bereich so hinterherhinken?

Kohfahl: Mir steht es nicht zu, andere Klubs zu kritisieren. Aber ich glaube, dass die deutschen Vereine eine andere Zielrichtung haben. Da sind die Nachwuchs-Camps dem Marketing untergeordnet. Das Handelsblatt hat einmal von der "Millionen-Chance" Fußballschule geschrieben, weil man kurzfristig große Erlöse erzielen kann und Fans im Präge-Alter für sich gewinnt. Ich glaube, dass sich uns einige in Zukunft im Preis-Leistungs-Verhältnis annähern werden.

SPOX: Haben Sie keine Angst vor Konkurrenz?

Kohfahl: Da hilft wieder der Name Real Madrid. Außerdem hatten wir die Idee zuerst. Viele übernehmen bereits Punkte von uns. Ein Beispiel: Das Ernährungsprogramm. Ich war vier Jahre CAMP-Leiter der damals marktführenden Fußballschule eines großen Bundesligisten. Und es gab vier Jahre lang jeden Mittwoch Pizza und jeden Freitag Fast Food von Sponsoren. Hier gibt's ein Salatbüffet. Das wurde zwar beim ersten Mal nicht angerührt. Aber wenn man den Kindern mit Storytelling bewusst macht, dass Ernährung zum Fußball gehört, dass Ronaldo seinen Körper nicht von irgendwo her hat - dann funktioniert auch das Salatbuffet wunderbar.

SPOX: Gab es kritische Stimmen von der deutschen Konkurrenz?

Kohfahl: Ich habe etwas von St. Pauli gehört, aber das ist die Maus, die brüllt. Ich glaube, die haben ganz andere Probleme. Das fand ich relativ schwach, das war ein krampfhafter Versuch, sich auf die gleiche Ebene zu stellen. Das reicht nicht - da muss ich jetzt mal eine Spur Arroganz walten lassen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben eine Kooperation mit dem FC Ingolstadt, der eine sehr gute Nachwuchsschule hat. Es gibt Kontakt zu Mainz 05, die auch eine gute Nachwuchsförderung haben. Es sind nicht alle so doof und merken nicht, was hier passiert.

SPOX: Was entgegnen sie dem Klischee, dass Real Madrid eher mit aberwitzigen Millionen-Transfers in Verbindung gebracht wird und nicht mit guter Jugendausbildung?

Kohfahl: Nach außen hin scheint es so. Aber momentan spielen mit Casillas, Nacho, Arbeloa und Jese vier Spieler aus der eigenen Jugend bei den Profis. Es gibt ein sehr strukturiertes Programm in der Jugendakademie, 90 Prozent der Spieler kommen aus Madrid oder der Umgebung. das ist spannend zu beobachten und es könnten sich viele deutsche Klubs vom spanischen Modell eine Scheibe abschneiden.

SPOX: Als Jugendexperte dürfte sie bestimmt ein Auge auf Martin Ödegaard haben. Der debütierte als jüngster Real-Spieler der Liga-Geschichte gegen Getafe, musste sich aber im Laufe der Rückrunde einiges an Kritik anhören.

Kohfahl: Man muss zuerst klar sagen: Er ist 16 Jahre alt! Auf ihn ist eine Menge hereingebrochen, da ist es egal, wie bodenständig er ist. Alle Spitzenvereine haben ihn eingeladen und in die besten Restaurants geführt. Die Gründe, dass er sich für Real entschieden hat, waren Ronaldo und Co., die ihn großartig aufgenommen haben. Es ist gut, dass er diese Akzeptanz bereits hat und in der Castilla, die von Zinedine Zidane trainiert wird, regelmäßige Einsätze hat - das ist schon eine Hausnummer. Wenn es ein 18-Jähriger zu Real schafft, muss man bereits den Hut ziehen. Er ist wesentlich jünger, man sollte ihm einfach Entwicklungszeit geben. Man muss in Spanien auch ein anderes Maß ansetzen. Es gibt vier Sportzeitungen, die jeden Tag acht oder mehr Seiten über Real berichten - die müssen etwas schreiben. Und leider ist das Negative nach wie vor interessanter als das Tatsächliche.

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