Nach einer traurigen Zeit bei Manchester United blühte Victor Valdes mit seinem Wechsel zu Standard Lüttich ein Neuanfang. Stattdessen verschlimmerte sich die Situation. Seine Zeit in Belgien ist nun schon wieder vorbei. Dem Spanier wären einige "Horrorgedanken" erspart geblieben, hätte er auf sein Herz gehört.
Der 26. März 2014 ist der Tag, den Valdes womöglich bis an sein Lebensende verfluchen wird. Im Spiel gegen Celta Vigo zog sich der Spanier einen Kreuzbandriss zu. Kurz vor der entscheidenden Phase in der Meisterschaft. Kurz vor der WM!
Die Verletzung riss Valdes scheinbar alles aus der Hand. Nachdem er schon zuvor entschied, Barca nach 22 Jahren zu verlassen, stand der Nationaltorhüter plötzlich ohne Vertrag da. Der schon so gut wie sichere Deal mit AS Monaco platzte eben aus gesundheitlichen Gründen.
Vitamin B verhalf dem 34-Jährigen zu einem Engagement bei seinem ehemaligen Barca-Trainer Louis van Gaal, zu dem Valdes stets ein gutes Verhältnis pflegte. Der "Konstrukteur des historischen Barca", wie Valdes ihn einst nannte, öffnete dem Welt- und Europameister bei Manchester United die Tür.
Der seltsame Fall des Victor Valdes
Dann die Ernüchterung. Lediglich zwei Einsätze sprangen in einem Jahr für den 1,83 Meter großen Keeper raus. Das Projekt United war gescheitert. Lediglich eine Verletzung von Stammkeeper David de Gea spülte Valdes für ein Spiel in die Startelf.
"Ich will ihm helfen, dass er seine Qualitäten zeigen und sich anderen Klubs anbieten kann. Ich bin immer ein sehr sozialer Mensch", begründete van Gaal scheinbar gutmütig den Einsatz von Valdes im letzten Spiel der vergangenen Saison gegen Hull City.
Was war passiert? Valdes legte bei den Red Devils einen Sturzflug hin: Von der Lauerstellung hinter De Gea - mit Perspektive auf die Startelf, da sein Landsmann mit einem Wechsel zu Real Madrid kokettierte - aufs Abstellgleis.
Viel Philosophie, wenig Klarheit
Die Nummer eins war schnell in weite Ferne gerückt. De Geas Wechsel blieb aus. In der aktuellen Spielzeit hatte Valdes dann gar keine Rückennummer mehr. Er trainierte lediglich mit der Jugend-Akademie mit und wurde gezielt von der Profimannschaft getrennt.
Der rasante Abstieg resultierte aus einem heftigen Zerwürfnis mit seinem einst so geliebten Trainer. Für den Niederländer war klar: Valdes wird im Sommer verkauft. Ein wirklicher Grund war nicht erkennbar, anders als der Keil zwischen den beiden einnehmenden Persönlichkeiten, der mehr als deutlich zum Vorschein kam.
Van Gaal deklarierte immer wieder, Valdes würde seiner Philosophie nicht folgen. Im Grunde redete der Niederländer aber viel um den heißen Brei herum. Expliziter warf der 64-Jährige seinem Keeper lediglich vor, nicht für die Reserve spielen zu wollen.
Spieler sucht Trainer mit Samthandschuh
Darauf reagierte Valdes gewohnt trotzig. Via Twitter betonte er, sehr wohl für die U21 aufgelaufen zu sein und forderte seinen Respekt ein, womit er sich noch weiter ins Aus schoss. So selbstreflektiert und nachdenklich der Spanier sein mag, kritikfähig ist er nicht.
"Ich bin eine sehr schwierige Person", räumte Valdes einst im Interview mit RCN ein. Er sei weder im Job, noch in seinem Privatleben ein umgänglicher Typ: "Meine Frau verdient die größte aller Trophäen."
Ähnlich wie seine Frau sieht er auch Pep Guardiola: "Ich hatte riesiges Glück, so viele Saisons unter ihm zu spielen. Er war nicht nur ein guter Lehrer, sondern auch ein exzellenter Kommunikator." Van Gaal aber ließ die Samthandschuhe in der Schublade.
Geschichte wiederholt sich
"Wenn du der Philosophie nicht folgen willst, gibt es nur einen Weg - und der führt ins Aus", schloss der Niederländer das Engagement von Valdes in Manchester ab. Inwieweit wirklich die Verweigerung, in der zweiten Mannschaft zu spielen, der Grund für die Aussortierung war, bleibt offen.
Doch klar ist: Die Schuld trägt Van Gaal nicht allein. Valdes spielte zwar für die U21, aber eben nur drei Mal. Außerdem wäre es nicht das erste Mal. Am Anfang seiner glorreichen Barca-Karriere holte ausgerechnet Van Gaal das Eigengewächs ins Profi-Team und verhalf Valdes so zu seinem Debüt.
Im September 2002 waren sowohl Roberto Bonano als auch Robert Enke verletzt ausgefallen. So bekam Valdes seine Chance. Nach der Rehabilitation der beiden gesetzten Torhüter, sollte der Jungspund wieder zur Reserve stoßen, worauf der damals 20-Jährige aus Trotz drei Tage lang dem Training fernblieb.
"Fühle mich wohler im Pessimismus"
Schon damals hatte der sechsmalige spanische Meister - zum Teil berechtigt - höhere Ansprüche. Dieser Stolz manövrierte den Weltklasse-Torhüter auf der Insel ins Abseits. Und zwar so weit, dass er nicht einmal ins jährliche Charity-Event der Red Devils eingeladen wurde.
Das löste vor allem bei Valdes' Frau eine wutentbrannte Hasstirade via instagram aus. Der Klub begründete trocken: "Er ist nicht Teil der ersten Mannschaft." Ein Schlag ins Gesicht. So ein Umgang nagt auch an Valdes, selbst wenn er es nicht zugeben würde.
Stattdessen bedankte sich der 34-Jährige nach seinem Wechsel zu Standard bei den Fans in Manchester. In seinem Buch #MetodoV beschreibt sich Valdes als Pessimist. "Ich fühle mich wohler im Pessimismus. Ich denke zuerst an das schlimmste Szenario und isoliere mich von den Erwartungen anderer." Mit dieser Einstellung will Valdes eben solche Rückschläge wegstecken.
"Fantastische Fans", und sonst?
In Belgien wollte der gefallene Superstar zurück auf die Bildfläche. Viele seiner Weggefährten waren sich einig. "Das ist das Beste, das ihm in seiner Situation hätte passieren können", sagte sein ehemaliger Trainer Radomir Antic. Er sei schließlich ein "Sportler mit enormen Kapazitäten, dessen Potenzial darauf basiert, unter höchstem Druck abzuliefern", so Antic. Diese Klasse schöpft Valdes zum Großteil aus Erfahrungswerten.
Erfahrung, mit der er seinen neuen Teamkollegen bei Standard Lüttich weiterhelfen wollte. "Wir müssen so schnell wie möglich unter die besten sechs Teams kommen, um die Playoffs zu spielen und dann die Meisterschaft zu gewinnen."
Wirklich bekannt ist ihm der Traditionsklub aus Belgien aber nicht. Er weiß lediglich von "fantastischen Fans". Das wirft umso mehr Fragen auf. Ein Torhüter von seinem Format wechselt nicht so blauäugig in eine vergleichsweise schwache, nicht gerade mit Stars gespickte Liga, in deren Land zudem innenpolitische Unsicherheit herrscht, zu einem allenfalls mittelklassigen Verein.
"Der Gedanke war der Horror"
Doch was ist der Grund? Ratlosigkeit? Verzweiflung? Immerhin platzte wenige Wochen zuvor wieder ein Transfer. Ein Deal mit Besiktas kam aus finanziellen Gründen nicht zustande.
Manch einer spricht bei Valdes aber auch von Abenteuerlust. Der Spanier ist ein Freigeist, der was von der Welt sehen will. Wohin der Weg des Torwarts, der eigentlich keiner sein will, nach dem Leihende in Belgien hinführt, ist demnach völlig offen. Der Start einer Weltreise unter dem Mantel des Profifußballs ist genauso denkbar wie ein Verbleib in Manchester - zumal sich die Gerüchte verdichten, dass Van Gaal den Verein verlassen muss.
Doch auch der Gedanke ans Karriereende ist nicht allzu abstrus. In seinem Buch schreibt er, er wäre lieber Windsurfer geworden: "Wenn ich wiedergeboren werden würde, wollte ich kein Torwart sein." Vielmehr hätten ihn sein Vater und sein damaliger Jugendtrainer in diese Ecke gedrängt.
Mit 18 Jahren ging Valdes in Therapie, um an seinem erzwungenen Dasein als Profifußballer nicht zu zerbrechen: "Am Samstag ist wieder ein Spiel - der Gedanke war der Horror." Dem ganzen ein Ende zu setzen, wäre demnach ein nachvollziehbarer Ausweg. Da wäre nur ein Hindernis: Das Bedürfnis nach gezolltem Respekt.
Ein (halb) versöhnliches Ende
Den wird er bei der aktuellen Entwicklung aber auch nicht wiedererlangen. Nachdem es sogar schon bei seiner glamourösen Ankunft internen Gegenwind gab, hat es sich Valdes mittlerweile selbst mit den "fantastischen Fans" verscherzt.
Leistungen weit hinter den Erwartungen, Twitter-Kriege mit den Fans, disziplinarisches Fehlverhalten auf dem Platz: Valdes ist am Boden angelangt. Die Lüttich-Anhänger greifen den Gedanken von Rechtsaußen Mathieu Dossevi auf: "Klar, er ist ein großartiger Torwart, aber ich frage mich, ob wir ihn wirklich brauchen. Und ich glaube: Wir tun es nicht."
So wurden die Rufe nach "Ersatzkeeper" Guillaume Hubert lauter. Kein Wunder, angesichts des sportlichen Zeugnisses des Spaniers: Zehn Gegentore in fünf Saisonspielen, dazu drei Gelbe Karten. Die Playoffs wurden verpasst. Frustration bestimmt das aktuelle Gemüt des ehemaligen Superstars.
Immerhin konnte Valdes seine Zeit in Belgien im letzten Saisonspiel einigermaßen versöhnlich abzuschließen. Am Sonntag gewann Lüttich das Pokalfinale gegen Tabellenführer FC Brügge mit 2:1.
Victor Valdes im Steckbrief