In Italien ist von Kuschelstimmung nichts zu spüren, denn eine Autobiografie wird zum Politikum. Das lässt selbst den unfehlbaren Superman der Alten Dame nicht kalt. Während die Engländer in Sachen Fanprotesten in die Trickkiste greifen, blutet spanischen FIFA-Zockern das Herz. Die Blitzlichter der Woche.
Serie A
Von Oliver Birkner
Poet des Spieltags: Freilich stellt sich allem voran die Frage, ob ein 23-Jähriger überhaupt eine Autobiografie kritzeln (lassen) muss. "Immer weiter" von Capitano Mauro Icardi ist nicht unbedingt Walt Whitmans "O Captain! My Captain", aber nun einmal auf dem Markt, und damit müssen alle Interisti leben. Viele schlechter als besser. Einige Passagen über die Konfrontation zwischen Profis und dem harten Fankern nach dem 1:3 bei Sassuolo Anfang 2015 brachte die Nordkurve in schäumende Rage. Damals flogen die Spieler-Trikots prompt auf den Rasen zurück und Icardi enthüllt, er hätte sein Dress eigentlich einem Jungen schenken wollen, als ein "Ultra-Bastard" es dem Kleinen entriss und zurückschleuderte. Es folgten wüste Beschimpfungen und die Chefetage fürchtete im Anschluss mögliche Attacken vor dem Privatdomizil des Argentiniers. Kein Problem. "Die wissen offenbar nicht, dass ich in einem Viertel mit der höchsten Kriminalitätsrate Südamerikas aufgewachsen bin. Ich hole 100 Delinquenten aus Argentinien, die jeden auf der Stelle abmurksen." Poet Icardi muss seine Hundertschaft nun womöglich herbeizitieren. Die Nordkurve ließ verlauten, die Episode mit dem Kind sei eine schamlose Lüge und Icardi für sie kein Capitano mehr. "Leg die Binde ab, du Clown und Stück Scheiße" suggerierte man dezent und auf einem anderen Plakat: "Wir sind hier, wann kommen deine argentinischen Kumpel an?" Vize-Präsident Javier Zanetti kündigte eine Strafe an (jemand der Inter-Verantwortlichen hätte zuvor durchaus mal einen Blick ins Manuskript riskieren dürfen), denn "die Fans müsse jeder Spieler respektieren". Welche genau, ließ er offen. Während die Nordkurve brodelte, erhielt der Stürmer selbst nach seinem verschossenen Elfmeter gegen Cagliari von der Mehrheit des San Siro unterstützende Aufmunterung. Zum abschließenden Zirkus wanderte das Inter-Wonderland in eine Heimpleite gegen Cagliari, wobei Coach Frank de Boers taktische Maßnahmen erstaunlich Icardis implodierender Prosa ähnelten. Mit Spannung dürfen dieser Woche in Malpensa die Flüge aus Buenos Aires erwartet werden.
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Kuscheln des Spieltags: Vielleicht könnte Icardi ein paar seiner Jungs an Serse Cosmi abstellen. Der Coach von Trapani, das letzten Sommer knapp am Aufstieg in die Serie A scheiterte, holte neulich zum Rundumschlag gegen protestierende Tifosi aus. "Die können mich mal und sollen ja nicht wieder mit Kuschelkurs kommen, wenn es wieder läuft." Keine Sorge, Serse, kuscheln ist nicht. Einige Tage später wurde in der Nacht sein Auto in Brand gesteckt und Trapani ist derzeit ohnehin Tabellenletzter der Serie B.
Altro? Auf den Rängen hatte es offenbar jemand geahnt. "Manchmal ist Superman auch bloß Clark Kent - Gigi du bleibst stets unser Superheld", war auf einem Transparent zu lesen. Nach einer halben Stunde im Duell Juventus gegen Udinese versuchte sich der Tscheche Jakub Jankto an einem haltbaren Fernschuss und Gianluigi Buffon wirkte tatsächlich tollpatschig wie sein Alter Ego Kent. Er ließ das Kryptonit zum Rückstand passieren und verzeichnete nach seinem Fauxpas gegen Spanien den zweiten schweren Fehler binnen einer Woche. "Gigi wollte uns damit bloß aufwecken", entschärfte Juve-Coach Max Allegri anschließend. Auch Superman muss gelegentlich mal durchpusten. Der Capitano fand später doch noch Telefonzelle und Uniform und rettete Juve mit zwei Paraden den 2:1-Erfolg.
Premier League
von Dominik Stenzel
Schweinestall des Spieltags: Auf der Insel gestaltet sich das Verhältnis zwischen Fans und ihren teils exzentrischen Klubbossen oftmals als - gelinde gesagt - schwierig. Und das ist auch kein Wunder - schließlich scheren sich viele der schwerreichen Funktionäre einen Dreck um Tradition oder Geschichte ihres Spielzeugs. Da kann es schon einmal passieren, dass kurzerhand Logo oder Vereinsfarben geändert werden. Ganz so weit ist es bei Charlton Athletic zum Glück nicht gekommen. Die Anhänger würden ihren Besitzer, den belgischen Geschäftsmann Roland Duchatelet (der übrigens auch bei Carl Zeiss Jena sein Unwesen treibt), dennoch am liebsten auf den Mond schießen. In seiner rund dreijährigen Regentschaft ging es stetig bergab, aktuell befinden sich die Südost-Londoner im Niemandsland der drittklassigen League One. Zumindest in Sachen Fanproteste (und deren Kreativität) gehören die Addicks jedoch nach wie vor zur Elite: Während der Ära Duchatelet wurde beispielsweise eine Protest-Band gegründet oder in einem Trauermarsch der Verlust der Seele des Vereins beklagt. Der Höhepunkt folgte nun jedoch am Samstag im Spiel gegen den Tabellenletzten Coventry: Kurz nach Anpfiff regnete es plötzlich pinke Plastikschweine von den Rängen - und zwar jede Menge pinke Plastikschweine. Im englischen Blätterwald ist von 3000 Stück die Rede. Das Spiel musste unterbrochen werden, einige der zunächst verdutzten Spieler konnten sich zumindest ein Souvenir schnappen. Erst nachdem der Saustall mit vereinten Kräften bereinigt worden war, konnte die Partie fortgesetzt werden (Charlton gewann übrigens 3:0). Besonders pikant: Auch die Coventry-Fans beteiligten sich an der Aktion - sie sind mit den Machenschaften ihres Besitzers, der Hedgefond-Gruppe Sisu, ähnlich unzufrieden.
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Lagerfeuer des Spieltags: Dank Donald Trump wird momentan viel über die Zustände in den Umkleidekabinen der Sportwelt schwadroniert. Gerard Pique lieferte nun eine Geschichte aus seiner Zeit bei Manchester United, die zweifellos belegt, dass es in den englischen Dressing Rooms besonders wild zur Sache geht. Sein damaliger Teamkollege Patrice Evra hatte sich von seinem Ausrüster ganz besondere Schuhe anfertigen lassen, mit "den Namen seiner Kinder und all diesen verrückten Details", wie der Spanier verrät. Monatelang habe der französische Außenverteidiger auf seine schmucken Treter warten müssen. Lange konnte er sich an ihnen jedoch leider nicht erfreuen. "Er ging in die Dusche und wir haben ein kleines Lagerfeuer gemacht und sie verbrannt. Das ganze haben wir aufgenommen und ihm das Video geschickt", schwelgt Pique in Erinnerungen. Ärger hatte er trotz des fragwürdigen Schabernacks offenbar nicht zu fürchten - auch deshalb ist der Barcelona-Star ein ausgewiesener Fan des britischen Humors. Eben jenen trockenen Humor vermisst er in Barcelona im Übrigen bitterlich: "Es ist einfach eine andere Kultur hier. In den ersten paar Jahren habe ich ähnliche Dinge probiert, aber es hat nicht funktioniert." Wirklich verwunderlich...
Anything Else? Drei Premier-League-Titel, drei League Cups und der Henkelpott - Ji-Sung Park hat während seiner Zeit bei Manchester United (fast) alles erreicht. Nun schnürte der Südkoreaner unverhofft noch einmal die Kickschuhe im Mutterland des Fußballs: Park, der im Rahmen seines Sportmanagment-Studiums drei Monate an der De Montfort University in Leicester verweilt, lief für die Auswahl seines Studiengangs auf. Zu seinen bettelnden Kommilitonen konnte der 35-Jährige einfach nicht Nein sagen. Geholfen hat Parks Einsatz jedoch herzlich wenig - sein Team ging gegen die Auswahl des Vizekanzlers mit 1:7 Baden.
Primera Division
von Adrian Fink
Der Heimscheißer der Liga: Nicht neu, aber deshalb nicht weniger wahr: Egal ob Toilettenbesuch oder Hütten erzielen - daheim ist es einfach am schönsten. Das sieht auch Lionel Messi so. Der hauptberufliche Torjäger, der Buden in einer ähnlichen Regelmäßigkeit produziert, wie der HSV seinen Übungsleiter austauscht, hat (mal wieder) eine Bestmarke geknackt und nun die meisten Heimtore in der LaLiga-Geschichte auf dem Konto, nämlich exakt 180. Dem gegenüber hinkt LaPulga auswärts mit 138 Treffern sichtlich hinterher. Aber wer will es ihm verdenken, auf fremdem Terrain ist der Wohlfühlfaktor per se weniger ausgeprägt. In seinem Wohnzimmer, im Volksmund Camp Nou genannt, flutscht es hingegen wie von alleine und gegen Depor benötigte Messi nur läppische drei Zeigerumdrehungen, ehe der Ball (mal wieder) im Netz zappelte. Da passt es ins nostalgische Bild, dass der ehemalige Wuschelkopf am Sonntag einen Jahrestag feierte: Vor genau zwölf Jahren gab der 29-jährige Extremdribbler sein Debüt im Barca-Jersey. Der Rest ist Geschichte. Vom Platz an der Sonne in der Kategorie "Heimtore in LaLiga" stürzte der Argentinier übrigens den legendären Telmo Zarra, der den Torwächtern in den 40er- und 50er Jahren die Angstperlen auf die Stirn trieb. Um dem Anspruch der lückenlosen Recherche gerecht zu werden: Messis ewiger Gegenpart aus Madrid lieferte den Anhängern im Estadio Santiago Bernabeu bislang 150 Mal einen Grund zur Ekstase. Aber das nur am Rande.
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FIFA-Konter des Spieltags: Es ist der Albtraum eines jeden Konsolen-Nerds: eine eigene Ecke. Die Situation sieht auf dem ersten Blick zwar verheißungsvoll aus, mündet aber oft in der absoluten Katastrophe. Der Gegner, der am Controller zwar keine Chance hat, aber durch viel Glück im Spiel bleibt, klärt per Kopf und der Konter rollt unaufhaltsam. Am Ende des Überfalls legt der Gegenüber feige quer und in der Mitte muss ein Angreifer nur noch einschieben. Jeder Zocker hat dieses Trauerspiel schon dutzende Male erlebt - und die Kicker von Real Betis kennen das Gefühl seit dem Wochenende auch aus dem Real Life, denn im Heimspiel gegen die Königlichen liefen sie in einen solch perfekt getakteten Gegenangriff. Bemerkenswert: Abwehrhüne Pepe eröffnete den Vorstoß, sprintete seine Gegenspieler in Grund und Boden und legte den Ball kurz vor Keeper Adan auf Isco quer, der den Bilderbuchspielzug spielerisch leicht garnierte. Aber das spanische Mittelfeld-Ass war nach dem noch lange nicht satt und steuerte auf dem Weg zur 6:1-Demontage neben dem 4:0 auch das 5:1 sehenswert bei. Ergänzendes Angeberwissen für die morgige Mittagspause: Seine zweite Hütte war zugleich der 100. Treffer in der Trainer-Ära Zinedine Zidane.
Algo Mas? "Gähn, die spanische Liga ist so langweilig, da können nur zwei Teams kicken" - diesen Satz hörte man in den letzten Jahren ähnlich häufig wie polemische Trump-Sprüche im US-Wahlkampf. Zugegeben, wahlweise wird noch Atletico in die Riege der Mannschaften aufgenommen, die ihr Handwerk durchaus verstehen, aber spätestens ab Platz vier bietet die Liga ausschließlich Kanonenfutter. Pustekuchen! Wer Mitte Oktober einen Blick auf die Tabelle wagt, stellt fest: Das ist die spannendste Liga Europas! Der Graben zwischen Tabellenführer Atletico und dem Tabellensechsten Bilbao ist schmale drei Punkte groß. Zum Vergleich: In der Bundesliga sind es unmöglich aufzuholende vier Zähler zwischen den übermächtigen Bayern und Hoffenheim. Wenigstens das Torverhältnis erinnert auf der iberischen Halbinsel an die gewohnten Kräfteverhältnisse: Addiert man die Ergebnisse der großen Drei vom Wochenende zusammen, erhält man ein Torverhältnis von 17:2. Und auch wenn Fußball-Romantiker nach dem Saisonstart auf ein Ende der Sprüche hoffen, am Ende duellieren sich wahrscheinlich die üblichen Verdächtigen mit langweiligen 20-30 Punkten Abstand zur Mittelschicht der Liga um die Meisterschaft.
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