The Humiliated One und der ewige Lineker

Oliver BirknerDominik StenzelAdrian Fink
24. Oktober 201619:18
Manchester United hat gegen den FC Chelsea verlorengetty
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In Italien sorgt die Technologie für Chaos und Inters Coach Frank de Boer sollte über einen künstlichen Bart nachdenken. Auf der Insel mutiert Jose Mourinho zu "The Humiliated One" und die ewige Twitter-Sucht des Gary Linekers schlägt zu. Und: Die Blitzlichter verleihen in Spanien sowohl den Fairplay- als auch den Unfairplay-Award.

Serie A

von Oliver Birkner

Bart des Spieltags: Man schrieb das Jahr 1908 und die kürzlich gegründete Internazionale aus Milano kürte Giovanni Paramithiotti zum ersten Präsidenten. Bizarr, denn der gebürtige Venezianer galt in den eigenen Reihen als verteufelter Unglücksbringer. Wie dem auch sei, Paramithiotti war zwar der Präsidententitel erlaubt, beim Stadionbesuch hingegen kannte man keine Gnade. Der Aberglaube ging so weit, dass Signor Presidente der Eintritt von Tifosi und Mannschaft kategorisch untersagt blieb. Stattdessen musste er sich die Partien von einem Boot auf dem angrenzenden Kanal anschauen. Bei der schrägen Zielsicherheit der Interisti wirkte er dennoch häufig aktiv mit: er fischte den ins Wasser geplumpsten Ball heraus und warf ihn zurück. Irgendwann hatte der Boots-Balljunge die Nase voll, klebte sich einen falschen Bart an und spazierte ins Stadion. Was dann geschah, da klaffen Zeitzeugenberichte auseinander: Einige beschwören, er wäre erkannt und von Zuschauern und Spielern hochkant hinausgeworfen worden. Hardliner hingegen berichten, niemand hätte den Präsidenten bemerkt und Inter den Fluch durch ein 4:0 vertrieben. Fakt bleibt: Paramithiotti wurde nach knapp einem Jahr geschasst und man suchte sich einen neuen Pechvogel für das höchste Amt. In Inters Villa Kunterbunt hat sich 108 Jahre später nichts verändert. Im aktuellen Boot der Chefetage sitzen die Besitzer in China, der (bald abtretende) Präsident in Indonesien - deutlich definierte Handlungspräsenz in Mailand: Fehlanzeige. Die täglichen Joggingeinheiten leitet ein armer Wicht aus den Niederlanden, den niemand mehr ernst nimmt. Aus Frank de Boer wurde in der Presse mittlerweile Frank de Burrone (Abgrund). Nach der Niederlage am Sonntag in Bergamo enthüllte Eder: "Wir versuchen die Strategien des Trainers zu verstehen, das gelingt uns aber nicht immer." Den Betrachtern geht das ähnlich. Sechs Niederlagen aus zwölf Pflichtspielen, in denen man zehn Mal zunächst in Rückstand geriet. Bis zum nächsten Spieltag-Armageddon am Mittwoch ist Dead Man Walking de Burrone womöglich schon entlassen und würde die Statistik auf acht Trainer in sechs Jahren schrauben. Falls er die Partie trotzdem sehen will, einfach einen Bart ankleben.

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Onkel Fester des Spieltags: Einmal durfte er noch. Nach zermürbenden Jahren der drögen Mittelklasse gab Adriano Galliani endlich wieder seinen berüchtigten Jubel-Brüller zum Besten und feierte Milans 1:0 über Juventus samt Platz zwei mit dunkelrotem Gesicht über gelber Krawatte - eine Fratze, die stets eine imminente Herz-OP befürchten lässt, und neben der ohnehin frappierenden Ähnlichkeit auch zum Spitznamen Onkel Fester beitrug. Onkel Adriano wird wohl bald gemeinsam mit Imperator Berlusconi den Klub verlassen, da war ein letzter Fester-Veitstanz für die Nachwelt unerlässlich. Zuvor sorgte der 18-jährige Manuel Locatelli für das Tor des Tages, während der 17-jährige Gianluigi Donnarumma die letzte Juve-Chance in der fünften Minute der Nachspielzeit großartig abwehrte. Das jüngste Team der Liga (im Schnitt 25 Jahre) bläst nun ernsthaft zur Attacke.

Altro? Das Duell in San Siro wäre womöglich anders verlaufen, hätte der Referee nach langer Diskussionsrunde mit Tor- und Linienrichter Juventus nicht ein reguläres Tor aberkannt. Die Technologie hätte uns geholfen, grummelte das Juve-Lager. Nicht unbedingt. In Genua alarmierte die Torkamera den Schiri "Gol", obwohl der Ball von der Latte gut einen Meter vor der Linie aufsprang. In Empoli befand sie "No Gol", doch der Ball befand sich wohl hinter der Linie. Wenigstens blieb es gegen Chievo so beim 0:0 und Empoli gemeinsam mit dem HSV schlechteste Offensive der fünf großen Ligen. Na bitte.

Premier League

von Dominik Stenzel

Demütigung des Spieltags: Seine Rückkehr an die alte Wirkungsstätte hatte sich Jose Mourinho mit Sicherheit ganz anders vorgestellt. Mit der deftigsten Pleite seiner Premier-League-Karriere und der zweithöchsten Niederlage seiner Trainerlaufbahn überhaupt (zu seiner Real-Zeit gab es mal von Barcelona 5:0 auf die Socken) ging es für ihn und seine Millionentruppe am Sonntagabend zurück nach Manchester. Zuvor teilte der launische Portugiese aber noch in gewohnter Manier aus. Besonders der ausgiebige Jubel von Chelsea-Coach Antonio Conte missfiel Mourinho. "Das ist nur meine Meinung, aber tu das nicht, wenn es 4:0 steht. Beim 1:0 ist es in Ordnung, aber bei einem 4:0 ist es eine Demütigung", flüsterte The Humiliated One seinem Gegenüber nach der Partie in sauberem Italienisch zu. Auf der anschließenden Pressekonferenz gab er sich dann zerknirscht und wortkarg - man konnte regelrecht spüren wie tief der Stachel nach der Demontage sitzt. Ganz anders ist die Gefühlslage bei seinem Ex-Klub: Noch vor kurzem versuchten die Medien krampfhaft eine Krise bei den Blues herbeizuschreiben - sogar über einen baldigen Abschied von Trainer Conte wurde spekuliert. Rund drei Wochen und drei überzeugende Siege später ist jedoch wieder alles in Butter an der Stamford Bridge. Naja, zumindest fast alles. Denn mit der Reaktion der eigenen Fans war Conte am Sonntag nicht wirklich einverstanden. Trotz des fulminanten Auftritts seiner Mannschaft erinnerte ihn das Publikum - wie so oft im Westen Londons - wohl eher an eine Opernkulisse: "Wir führen 4:0 und dennoch herrscht Ruhe auf den Rängen. Ich wollte, dass sie ihrer Mannschaft heute applaudieren, denn sie haben es sich heute wirklich verdient", stellte er etwas zerknirscht fest. Dabei haben ausgerechnet die Fans wohl entscheidenden Anteil am klaren Erfolg: Schließlich haben sie bereits vor der Partie dafür gesorgt, dass Mourinho seinen Bus dieses Mal auch wirklich außerhalb des Stadions parkt.

Schlagzeile des Spieltags: Gary Lineker ist bekanntlich twittersüchtig. Schon vor rund drei Jahren gab der wohl fairste Fußballspieler aller Zeiten zu, dass der Kurznachrichtendienst einen zu großen Platz in seinem Leben einnehme und er seine Aktivitäten auf der Plattform daher einstellen wolle. Nach nur wenigen Tagen Abstinenz haute Lineker jedoch schon wieder in die Tasten und unterhält seine rund 5,3 Millionen Follower seitdem wieder mit nicht selten Tweets. Auch vor politischen Themen macht der TV-Moderator nicht halt: In der vergangenen Woche kritisierte er den Umgang der britischen Regierung mit den minderjährigen Flüchtlingen von Calais. Fast schon erwartungsgemäß erhielt er dafür sowohl Zustimmung, als auch eine Menge Gegenwind. Bei der Sun landete er aufgrund dieses Tweets jedoch gleich auf der Titelseite. In gewohnt reißerischer Manier forderte das Boulevardblatt die BBC auf, Lineker als Match-of-the-Day-Moderator unverzüglich freizustellen. Schließlich sei es nicht tragbar, dass sich ein ehemaliger Fußballer in derartige Themen einmische und dazu auch noch Unwahrheiten verbreite. Die Forderung der größten britischen Tageszeitung erwies sich letztendlich als Bumerang: Nach kurzer Zeit etablierte sich der Hashtag #TeamLineker - der Ex-Nationalspieler erhielt jede Menge prominente Unterstützung. Der allgemeine Konsens: Sport und Politik solle man grundsätzlich trennen und man wird ja wohl noch seine Meinung äußern dürfen. Lineker selbst blieb übrigens gewohnt cool und ließ - natürlich via Twitter - verlauten, dass er sich bereits freue, am Wochenende endlich wieder Match oft he Day zu moderieren.

Anything Else? Peter Crouch befindet sich bei Stoke City mittlerweile auf dem absteigenden Ast. Gerade einmal mickrige 107 Minuten durfte der 35-jährige Oldie in dieser Saison ran. Da bleibt dann natürlich viel Zeit für die sozialen Medien und anderen Kram. Ein frustrierter FIFA-Zocker beschwerte sich bei Twitter kürzlich doch recht drastisch über Crouchs Leistungen in der neuesten Version des Videospiels. Die Antwort des Stürmerschlacks ließ nicht lange auf sich warten und war durchaus brilliant: "Schön zu sehen, dass ich wenigstens irgendwo noch zum Zug komme." Seinen Humor hat der ehemalige Nationalspieler also zum Glück nicht verloren.

Primera Division

von Adrian Fink

Traumtor des Spieltags: Ach was, des Monats! Oder vielleicht sogar noch mehr? Das für sein Kurz-Pass-Spiel gefürchtete Team Las Palmas fährt einen seiner legendären Wunder-Angriffe. Wie am Schnürchen gezogen, läuft der Ball von der Mitte nach rechts und wieder zurück. Meter um Meter pflügt sich das Team von den Kanarischen Inseln Richtung Strafraum und dann wird es schlicht genial. Nach einem doppelten Doppelpass bekommt Nummer 24 mit dem herrlich unkomplizierten Namen Pedro Tanausu Dominguez Placeres die Kugel per Lob rechts im Strafraum. Dieser macht eine Hommage an Ibra und verlängert das Zuspiel traumhaft mit der Hacke Richtung zweiten Pfosten. Dort rauscht Kevin-Prince Boateng heran und hämmert den Ball mit einem Seitfallzieher in die Maschen - dabei steht der Ex-Rossonero förmlich in der Luft und trifft den Ball aus schlappen 1,62 Metern Höhe. TRAUMTOR! Um die Nostalgie über dieser phänomenalen Hütte nicht zu gefährden, erwähnen wir gar nicht erst, dass Villarreal Las Palmas dennoch mit 2:1 abfertigte. Bei so einer Traumbude bekommt jeder enthusiastische Fußball-Fan feuchte Träume und jeder mittelmäßig ambitionierte FIFA-Zocker scheitert bei dem stundenlangen Versuch, die Tastenkombination für diese Arie an den Fußball zu googlen. Da passte einfach alles, naja, das ist dann doch eher gelogen. So manch ein Mode-Connaisseur dürfte sich aufgrund der abartig grässlichen Trikotfarbe der Las-Palmas-Kicker noch während des Spiels herzhaft übergeben haben.

Fairplay-Award des Spieltags: Kuriosität im Santiago Bernabeu! Lange mühen sich die Königlichen gegen tapfer kämpfende Basken aus Bilbao, doch sieben Zeigerumdrehungen vor dem letzten Pfiff erlöst Morata sein Team endlich mit dem Siegtreffer. Alle Madrilenen feiern und liegen sich in den Armen. Alle? Nein. Ausgerechnet die festgefahrene Torfabrik namens CR7 macht keine Jubel-Anstalten, sondern wirft einen aufgeregten Blick zum Assistenten und hebt die Hand. Ein Stürmer, der bei einer Bude eines Mitspielers auf Abseits reklamiert? Bei dieser Offenbarung von Sportgeist treibt es jedem Kreisliga-Treter vor Freude die Tränen in die Augen - Fairness aus dem Bilderbuch eben. Somit ist Cristiano Ronaldo ein würdiger Gewinner des Fairplay-Awards, auch wenn es ein Rätsel bleibt, ob er tatsächlich auf Abseits plädiert hat.

Algo mas? Zur Feier des Tages präsentiert SPOX in der heutigen Ausgabe der Blitzlichter nicht nur den Fairplay-Award des Spieltags, sondern verleiht obendrein auch den Unfairplay-Award des Spieltags. Geil, oder?! Dieser geht - dramatischer Trommelwirbel - an die Fans des FC Valencia. Oder zumindest an einen auserkorenen, weil besonders dämlichen, Teil davon. Als die Barca-Profis ihren Siegtreffer in der Nachspielzeit gerade gebührend mit einer Spielertraube zelebrierten, flogen nämlich reihenweise Gegenstände durch die Luft. Eine Wasserflasche traf das N des Dreizacks MSN am Schädel. Ob dieser so gekonnt zu Boden gleiten muss, als hätten die Katalanen einen Bowling-Torjubel fein säuberlichst einstudiert, bleibt an dieser Stelle unerörtert. Eine unsägliche Sauerei ist dieser Flaschenwurf aber allemal! Kein Wunder, dass dem M aus dem gefürchteten Angriffs-Gespann trotz der guten Kinderstube umgehend der Kragen platzte und ihm ein "Hurensöhne" aus dem Mund sprudelte. Auch wenn die Blitzlichter Beleidigungen für gewöhnlich keinerlei Plattform bieten, haben wir in diesem (aber auch nur in diesem) Fall für die verbale Entgleisung ausgesprochenes Verständnis.