Mohamadou Idrissou hat über ein Jahrzehnt in den deutschen Bundesligen gespielt und gilt vielen als Skandalprofi. Seit Januar schnürt der mittlerweile 38-Jährige die Kickstiefel für den österreichischen Viertligisten Union Hallein.
Im zweiten Teil des Interviews kritisiert Idrissou Stefan Kuntz und sein Ende beim 1. FC Kaiserslautern, spricht über die Wechsel nach Israel und Mazedonien, seine neue Herausforderung in Österreich und den berühmten Freiburger Playstation-Fangesang. Hier geht es zu Teil 1 des Interviews mit Mohamadou Idrissou.
SPOX: Beim FCK blieben Sie zwei Jahre und schossen 30 Tore in 61 Einsätzen, dennoch folgte zur Spielzeit 2014/15 der Wechsel nach Israel zu Maccabi Haifa - Ihr erster Aufenthalt außerhalb von Deutschland nach dem Leihgeschäft mit SM Caen in der Winterpause 2004/05. Wieso sind Sie nicht in der Pfalz geblieben?
Idrissou: Ich habe von Sportdirektor Stefan Kuntz kein neues Angebot erhalten. Er hat nie mit meinem Berater geredet. Am letzten Spieltag wurde ich auch nicht verabschiedet. Plötzlich war ich der Buhmann und es hieß, ich hätte gesagt, dass ich nicht verlängern möchte. Wo soll ich das gesagt haben? Er hätte das ja durch handfeste Beweise belegen können, aber die gab es nicht, weil er nichts unternommen hat. Niemand im Verein wusste davon, es war ein Alleingang von ihm. Wir sind währenddessen sogar auf ihn zugegangen, doch es kam nichts zurück. Dass der Verein in Stefan Kuntz Jahre lang eine einzige Person hat machen lassen, hat bis heute geschadet. Man sieht ja, wo der FCK mittlerweile leider angekommen ist.
SPOX: Ende des letzten Jahres posteten Sie ein Video auf Instagram und boten sich in Kaiserslautern an. Wie ernst war das gemeint?
Idrissou: Das war kein Spaß. Als ich das Video aufnahm, hatte ich noch nicht für mich festgelegt, dass ich künftig nicht mehr in Deutschland spielen möchte. Ich habe gesagt, dass ich mich in der Winterpause fit machen werde und dem FCK helfen möchte, wenn auch der Verein möchte. Es kam aber niemand auf mich zu. Sehr viele Fans wollen, dass ich zurückkehre. Für sie hätte ich das gemacht und würde es auch heute noch machen.
SPOX: Wie traurig macht Sie die sportliche Situation dort?
Idrissou: Ich leide mit dem FCK und hoffe, dass sie noch die Kurve kriegen. Wenn sie absteigen, wird der Verein endgültig am Ende sein - und das nur wegen der Alleinherrschaft einer Person. In Deutschland herrschen innerhalb der Vereine unglaubliche Eitelkeiten. Viele Präsidenten und Manager glauben, der Verein sei ihr eigenes Spielzeug. Wer auch nur irgendwie negativ darüber redet, der wird an anderer Stelle denunziert.
SPOX: Besonders positiv wurde Ihr Wechsel damals nach Israel auch nicht besprochen. Wieso Maccabi Haifa?
Idrissou: Ich hatte schon als Kind in jedem Land einen Lieblingsklub. Ich weiß nicht warum, aber in Israel war es Maccabi Haifa. Sie hatten mir schon nach meinem ersten Jahr beim FCK ein Angebot gemacht, aber ich hatte einen Vertrag und versprochen, es nach dem knapp verpassten Aufstieg in die Bundesliga ein weiteres Mal zu versuchen. Das hat leider wieder nicht geklappt. Dann bekam ich vom FCK kein neues Angebot, von Maccabi aber schon - also bin ich dorthin gewechselt.
Idrissou über die Alarmsirene in Israel und seinen Wechsel nach Mazedonien
SPOX: Wer war Ihr Lieblingsklub in Deutschland?
Idrissou: Gladbach, weil mich als Kind immer die Duelle zwischen Gladbach und Dortmund fasziniert haben. Borussia gegen Borussia, diese Spiele habe ich mir früher schon immer angeschaut. 2011 haben wir mit der Borussia 1:0 gegen den BVB gewonnen und ich habe das Tor erzielt.
SPOX: Bei Maccabi war schon kurze Zeit wieder Schluss. Im November 2014 waren Sie dann auf einmal vereinslos. Weshalb kam es dort zur Trennung?
Idrissou: Die Begleitumstände waren nur schwer zu ertragen. Der politische Konflikt war allgegenwärtig. Jeden zweiten Tag ertönte abends eine Alarmsirene über der Stadt und man musste sich in einem kleinen Bunker verschanzen. Ich konnte kaum schlafen. Als meine Mutter das hörte, hat sie mir befohlen, sofort den Vertrag aufzulösen.
Mohamadou Idrissou: Vereine und Statistiken
Saison | Verein | Spiele (Tore) |
2001 | FSV Frankfurt | 18 (15) |
2001-2002 | SV Wehen | 31 (13) |
2001-2002 | SV Wehen II | 1 (2) |
2002-2006 | Hannover 96 | 64 (13) |
2005 | SM Caen (Leihe) | 0 (0) |
2006-2008 | MSV Duisburg | 45 (8) |
2008-2010 | SC Freiburg | 74 (25) |
2010-2011 | Borussia Mönchengladbach | 33 (5) |
2011-2012 | Eintracht Frankfurt | 26 (14) |
2012-2014 | 1. FC Kaiserslautern | 61 (30) |
2014 | Maccabi Haifa | 5 (0) |
2015 | KF Shkendija | 5 (0) |
2015-2016 | KFC Uerdingen 05 | 22 (9) |
seit 2018 | Union Hallein |
SPOX: Wenig später fanden Sie im Januar 2015 einen neuen Verein und unterschrieben beim mazedonischen Erstligisten KF Shkëndija. Wie in Haifa kamen Sie dort aber nur fünf Mal zum Einsatz und standen häufig nicht im Kader.
Idrissou: Der Schauspieler Blerim Destani ist ein Kumpel von mir. Sein Vater ist Besitzer des Militärdienstleisters Ecolog International, der Hauptsponsor des Klubs ist. Sie wollten einen prominenten Namen holen, um damit Werbung für den Verein zu machen und neue Spieler zu gewinnen. Ich habe für ein halbes Jahr zugesagt und dort mehr trainiert als gespielt, weil ich vom mazedonischen Verband lange Zeit keine Spielerlaubnis bekam. Das war völlig mysteriös, denn es lagen alle Unterlagen vor. Erst zum Schluss meiner Zeit habe ich verstanden, wo das Problem lag.
Idrissou über die Krankheit seiner Mutter und das Engagement in Uerdingen
SPOX: Und?
Idrissou: Der Klub kommt aus Tetovo und wurde von Albanern gegründet, die in der Stadt wohnten. Noch dazu ist der Präsident Albaner. In der Liga und vor allem im Verband herrscht ein riesiges Konkurrenzdenken, wenn es darum geht, welche drei Mannschaften die Qualifikation zur Champions und Europa League spielen. Shkëndija war 2011 das letzte Mal Meister gewesen und wollte mit mir Platz eins angreifen, um in die CL-Quali zu kommen. Das wurde aber von den Mazedoniern im Verband verhindert, weil dort der Albaner-Klub Shkëndija nicht so gern gesehen ist. Sie haben mich zwei Mal nach München geschickt, damit ich warum auch immer ein neues Visum hole. Als ich damit zum Verband ging, hieß es, die zuständige Person sei gerade zufällig nicht da und so weiter. Reine Schikane.
SPOX: Haben Sie sich zu der Zeit auch mal mit dem Karriereende beschäftigt?
Idrissou: Nie. Als ich aus Mazedonien zurückkehrte, ging es meiner Mutter schlecht. Wir wussten nicht, was sie genau hat, denn die ersten Untersuchungen ergaben keine endgültige Diagnose. Es hat eine Zeit gedauert, bis klar war, dass es Diabetes war. Sie musste dann dringend operiert werden. Ich bin der älteste Sohn, der hat in Kamerun immer eine besondere Bedeutung. Daher war das für mich in dieser Phase die wichtigste Sache, um die ich mich gekümmert habe.
SPOX: Während dieser Zeit unterschrieben Sie im August 2015 beim damaligen Fünftligisten KFC Uerdingen.
Idrissou: Ich wollte einfach dabei bleiben und nicht gar nichts tun. Ich kannte Präsident Agissilaos Kourkoudialos von Immobiliengeschäften und es kam mir gelegen, dass er mir ein Angebot machte. So konnte ich mich in einer unteren Liga fit halten. Ich habe aber von Beginn an darauf bestanden, dass sie mir keine Steine in den Wege legen, sollte sich ein größerer Klub bei mir melden. Ein halbes Jahr später war Kourkoudialos nicht mehr im Amt und der Russe Mikhail Ponomarev übernahm. Er wollte dann von einer möglichen Freigabe nichts mehr wissen.
SPOX: Nach einer Saison wurde der Vertrag in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst und Sie nahmen Abstand vom Fußball. Wie sehr war diese Entscheidung gewollt?
Idrissou: Mir ist in Uerdingen die Lust vergangen, ich habe kaum noch trainiert. Donnerstag Training, Samstag Spiel - das war's. Ich war einfach nicht fit. Also habe ich beschlossen, das Thema Fußball fürs Erste zur Seite zu legen und mich noch stärker um meine Mutter zu kümmern. Wir haben sie dann zur Operation nach Frankreich gebracht, da ging es über drei Monate intensiv hin und her.
SPOX: Wie geht es ihr heute?
Idrissou: Sehr gut. Es ging ihr nach dem Eingriff zum Glück schnell wieder deutlich besser und sie konnte nach Kamerun zurückkehren. Vier Monate nach der OP bat sie mich, doch bitte wieder mit dem Fußball anzufangen, da ich es ja nach all den Jahren nur ihretwegen erstmals komplett gelassen habe. Für sie wäre es nicht zu ertragen gewesen, wenn meine Karriere zu Ende gegangen wäre, nur weil sie krank geworden ist. Sie hat mir sogar verboten, sie noch einmal in Kamerun zu besuchen und meinte nur: Jetzt such dir einen neuen Verein, besuchen kannst du mich später immer noch. (lacht)
Idrissou über den Wechsel zu Union Hallein und seine Zukunft
SPOX: Den neuen Verein haben Sie nun gefunden. Seit Januar spielen Sie in Österreich beim Viertligisten Union Hallein aus der Nähe von Salzburg, den schon Werner Lorant trainierte. Der Verein kämpft gegen den Abstieg. Wieso kam Deutschland nicht mehr in Frage?
Idrissou: Diese Entscheidung ist nach und nach, aber auch spät gereift. Dort ist mein Ruf einfach ruiniert und ich habe mich schon oft genug lächerlich machen lassen. Ich will meine Ruhe und habe jetzt einen Ort gefunden, an dem mich die Leute respektieren und so akzeptieren, wie ich bin. Man freut sich hier, dass ich gekommen bin. Das ist für mich schon Motivation genug.
SPOX: David König, Halleins sportlicher Leiter, hatte den Kontakt zu Ihnen über Facebook gesucht. Das war bestimmt auch für Sie ungewöhnlich, oder?
Idrissou: Klar. Wenn mir Leute schreiben, mit denen ich auf Facebook nicht befreundet bin, sehe ich das manchmal, aber nicht regelmäßig bei meinen Nachrichten. Deshalb war es reiner Zufall, dass ich Davids Nachricht nur Stunden später gelesen habe. Daraufhin haben wir uns ein paar Mal geschrieben. Anfangs wusste ich nicht einmal, dass der Verein aus Österreich kommt. (lacht)
SPOX: 13 Pflichtspiele stehen in dieser Saison noch für Sie auf dem Programm. Sehen Sie diese Aufgabe hier noch als mögliches Sprungbrett an?
Idrissou: Ja. Ich bin jetzt erst einmal bis zum Sommer da und danach sehen wir weiter. Ich trainiere gerade wieder regelmäßig, fühle mich fit und nähere mich den 100 Prozent allmählich an. Sobald ich die Spiele in den Knochen habe, gilt zumindest das Argument nicht mehr, ich hätte ein Jahr lang keinen Fußball mehr gespielt. Und meine Stärken sind geblieben, die verschwinden nicht so schnell.
SPOX: Es könnte aber auch genauso gut sein, dass Sie noch eine weitere Saison in Österreich verbringen?
Idrissou: Natürlich, warum nicht? Ich spiele nicht mehr für das Geld, das ist für mich nicht ausschlaggebend. Ich helfe mir hier selbst, um weiter zu kommen. Der Verein stellt mir eine Unterkunft zur Verfügung und den Rest übernehme ich. Ich freue mich, dass ich hier helfen kann und das honoriert wird. Seitdem ich angekommen bin, fühle ich mich wie neu geboren.
spoxSPOX: In welchem Alter wollen Sie aufhören?
Idrissou: Ich bin immer noch jung und knackig. Meine Karriere muss noch weitergehen. Bis 40 will ich mindestens noch spielen und das schaffe ich definitiv auch. Ich fühle mich nicht zu alt.
SPOX: Wenn Sie heute zurückblicken auf die zahlreichen Vereine und Ihre bewegte Vita, bereuen Sie irgendetwas davon?
Idrissou: Nein. Es gibt so viele Vereine auf der Welt. Wenn welche Interesse an dir zeigen und dich wollen, dann heißt das, dass du gut bist und weiterkommen kannst - sportlich wie finanziell. Ich bin nur deshalb vier Jahre in Hannover geblieben, weil dort fast alle Trainer auf mich gesetzt haben. Dann verletzte ich mich und bekam häufig Spritzen ins Knie, die mich zwischenzeitlich fast die Karriere kosteten. Oft konnte ich auch einfach nicht nein sagen. Manche Mitspieler haben mich schon spaßeshalber als Söldner betitelt, weil ich immer wieder so schnell gegangen bin.
Idrissou über den Freiburger Playstation-Fangesang
SPOX: Der Klassiker zum Schluss: Im Februar 2010 sollen Sie als Freiburger Spieler zu Ihren Teamkollegen gesagt haben: "Ich habe eh keine Lust mehr, mit euch Absteigern zu spielen. Ich spiele nächstes Jahr in der Champions League." Daraufhin dichteten Freiburger Fans das Lied "Idrissou spielt Champions League auf PS3, die ganze Nacht, von 12 bis 8". Haben Sie das wirklich gesagt?
Idrissou: Nein, der Satz ist von mir nie gefallen. Das entstand aus einem Gespräch mit Kapitän Heiko Butscher. Er sagte, dass ich in Freiburg bleiben soll, damit wir nochmal ein Jahr Bundesliga zusammenspielen. Dann kam Stefan Reisinger dazu, hörte das und lachte laut: 'Der Mo wird nächste Saison Champions League spielen. Felix Magath ist heiß auf ihn, er hat auf Schalke schon unterschrieben.' Das war es. Die beiden haben sich auch bei mir entschuldigt, als das so hohe Wellen schlug. Keine Ahnung, wie das auf diese Weise nach außen drang.
SPOX: Wie empfanden Sie den Fangesang?
Idrissou: Das hat mich natürlich geärgert. Die Freiburger Fans sind nicht dankbar. Ich habe diese Mannschaft in die Bundesliga geschossen. Christian Streich hat zu mir gesagt, dass die Freiburger Fußballschule ohne mich pleite wäre. Ich habe nicht nur mit meiner späteren Ablösesumme geholfen, sondern auch durch die Rückkehr in die 1. Liga. 'Mo, ich werde dir mein Leben lang danken' - das hat Streich zu mir gesagt. Fragen Sie ihn, er kann das bestätigen.