Olic erzählt von Marcelo Brozovic, der beim Darts regelmäßig 180er wirft. Von seinem ehemaligen Trainer beim FC Bayern München Louis van Gaal, der nach schlechten Trainingseinheiten nichts essen konnte. Und vom aktuellen Bayern-Trainer Niko Kovac, der beim Romme spielen mit der kroatischen Nationalmannschaft einst stets als Einziger um 22.55 schlafen ging.
Herr Olic, Sie sind seit eineinhalb Jahren Co-Trainer der kroatischen Nationalmannschaft. Wie kam es dazu?
Ivica Olic: Ich habe im Sommer 2017 meine Karriere beendet und wollte dann eigentlich ein Jahr lang Ruhe vom Fußball: nichts machen, außer Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Kurz vor den WM-Playoff-Spielen gegen Griechenland bekam ich dann aber einen Anruf von Zlatko (Dalic, Anm. d. Red.), der das Nationaltraineramt selbst erst kurz zuvor übernommen hatte. Er hat mich gefragt, ob ich sein Co-Trainer werden will. Da habe ich keine Sekunde überlegt und sofort zugesagt.
Sie werden es wohl nicht bereut haben: Playoffs überstanden, WM in Russland, zweiter Platz. Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an den Sommer 2018 denken?
Olic: Der Zusammenhalt unserer Mannschaft - so etwas habe ich noch nie erlebt. Wenn so viele Menschen zwei Monate lang eng zusammen sind, sind Probleme eigentlich unvermeidlich. Aber bei uns gab es keinen einzigen Streit. Das schafft man ja nicht einmal mit seiner Frau. Wir Trainer ließen die Spieler nach den Spielen selbst entscheiden, was sie machen. Sie wollten aber immer gemeinsam essen und sind danach noch stundenlang zusammengeblieben. Sie haben geredet, Musik gehört, Spiele gespielt oder irgendeinen Blödsinn gemacht.
Was für Spiele wurden denn gespielt?
Olic: Einige haben Playstation gespielt, aber die meiste Zeit wurde mit Darts verbracht. Das können ein paar richtig gut, vor allem Marcelo Brozovic. Bei ihm ist eine 180 kein Zufall. Er ist erst 26, wenn er so weitermacht, kann er nach seiner Fußballer-Karriere Geld mit Darts verdienen. Hin und wieder wurde auch Tischtennis gespielt, da ging es ausgeglichener zu. Brozovic zählt zwar auch beim Tischtennis zu den besten, Dejan Lovren und Luka Modric sind aber ähnlich gut.
Zum Sportlichen: Kroatien musste in allen K.o.-Spielen bis zum Finale in die Verlängerung. Wie hat das die Mannschaft körperlich geschafft?
Olic: Das weiß ich selbst nicht. Nach dem Achtelfinalsieg im Elfmeterschießen gegen Dänemark bin ich in die Kabine gekommen und habe lauter völlig fertige Spieler gesehen. Bei dem Anblick war ich mir sicher, dass wir im Viertelfinale chancenlos sein werden. Dann haben wir gegen Russland wieder im Elfmeterschießen gewonnen und es war das gleiche Bild - aber wir sind auch gegen England weitergekommen. Je länger das Turnier dauerte, desto mehr Zeit haben die Spieler auf den Massagebänken verbracht.
Dann kam das Finale gegen Frankreich.
Olic: Dieses Spiel konnten wir nicht verlieren, weil wir schon mehr erreicht hatten, als es zuvor irgendjemand erwartet hätte. Die erste Halbzeit war unsere beste im Turnier. Ich hatte das Gefühl, dass Frankreich Angst vor uns hatte. Dann kam dieser Elfmeter zum 1:2, der keiner war. Das hat uns unsere Kraft genommen. Der Schiedsrichter (Nestor Pitana aus Argentinien, Anm. d. Red.) hat sich die Szene in der Review Area etwa zehn Mal angeschaut. Das heißt, dass er selbst nicht sicher war. Heute wird er einsehen, dass es die falsche Entscheidung war. Der Schiedsrichter hat mit diesem Pfiff das Finale entschieden.
Trotz des verlorenen Finals wurde die Mannschaft nach der WM in Zagreb weltmeisterlich empfangen. Was sind Ihre Erinnerungen daran?
Olic: Ich konnte in der Nacht nach dem Finale gar nicht schlafen. Am nächsten Tag in der Früh sind wir zurück nach Zagreb geflogen. Was dort passiert ist, hätte ich mir nicht erträumen lassen. Vom Flughafen bis ins Zentrum waren die Straßen voll. Vom Baby bis zum 90-jährigen Rentner waren alle da. Wir haben die komplette Bevölkerung glücklich gemacht. Diese Bilder werde ich niemals vergessen. Das waren definitiv die schönsten Momente meines Lebens. Aber nicht nur unsere Landsleute haben wir begeistert. Überall, wo ich seitdem hingereist bin - egal ob nach Italien, Frankreich oder Deutschland - haben mir die Leute gesagt, dass sie Kroatien-Fans sind. Wir haben uns Sympathien von Millionen Menschen erarbeitet.
Als Sie noch aktiver Nationalspieler waren, reiste Kroatien oft als Mitfavorit zu Turnieren, enttäuschte dann aber.
Olic: Diese Misserfolge bleiben ein ewiges Loch in meiner Karriere. Wir hatten immer super Einzelspieler, aber keine Mannschaft. Das ist mir erst bei der WM 2018 so richtig bewusst geworden.
Am bittersten war wohl das Aus im EM-Viertelfinale 2008 gegen die Türkei. Ivan Klasnic erzielte in der 119. Minute das 1:0, ehe Semih Sentürk kurz darauf den Ausgleich machte und die Türkei dann im Elfmeterschießen gewann.
Olic: Das war der schlimmste Moment meiner Karriere. Ich bin mir sicher, dass wir mit unseren damaligen Spielern den Titeln hätten gewinnen können. Danach konnte ich einen Monat lang keinen Fußball sehen. Ich habe alles gehasst, was mit Fußball zu tun hat. So habe ich nie zuvor oder danach gefühlt.