Als Spieler enttäuschte Ivica Olic mit der kroatischen Nationalmannschaft bei Turnieren regelmäßig - als Co-Trainer wurde er Vizeweltmeister. Im Interview mit SPOX und Goal erinnert er sich an den Sommer 2018, den weltmeisterlichen Empfang in Zagreb sowie seine Vergangenheit auf den Straßen Kroatiens. Außerdem spricht er über sein Ziel, Bundesligatrainer zu werden.
Olic erzählt von Marcelo Brozovic, der beim Darts regelmäßig 180er wirft. Von seinem ehemaligen Trainer beim FC Bayern München Louis van Gaal, der nach schlechten Trainingseinheiten nichts essen konnte. Und vom aktuellen Bayern-Trainer Niko Kovac, der beim Romme spielen mit der kroatischen Nationalmannschaft einst stets als Einziger um 22.55 schlafen ging.
Herr Olic, Sie sind seit eineinhalb Jahren Co-Trainer der kroatischen Nationalmannschaft. Wie kam es dazu?
Ivica Olic: Ich habe im Sommer 2017 meine Karriere beendet und wollte dann eigentlich ein Jahr lang Ruhe vom Fußball: nichts machen, außer Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Kurz vor den WM-Playoff-Spielen gegen Griechenland bekam ich dann aber einen Anruf von Zlatko (Dalic, Anm. d. Red.), der das Nationaltraineramt selbst erst kurz zuvor übernommen hatte. Er hat mich gefragt, ob ich sein Co-Trainer werden will. Da habe ich keine Sekunde überlegt und sofort zugesagt.
Sie werden es wohl nicht bereut haben: Playoffs überstanden, WM in Russland, zweiter Platz. Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an den Sommer 2018 denken?
Olic: Der Zusammenhalt unserer Mannschaft - so etwas habe ich noch nie erlebt. Wenn so viele Menschen zwei Monate lang eng zusammen sind, sind Probleme eigentlich unvermeidlich. Aber bei uns gab es keinen einzigen Streit. Das schafft man ja nicht einmal mit seiner Frau. Wir Trainer ließen die Spieler nach den Spielen selbst entscheiden, was sie machen. Sie wollten aber immer gemeinsam essen und sind danach noch stundenlang zusammengeblieben. Sie haben geredet, Musik gehört, Spiele gespielt oder irgendeinen Blödsinn gemacht.
Was für Spiele wurden denn gespielt?
Olic: Einige haben Playstation gespielt, aber die meiste Zeit wurde mit Darts verbracht. Das können ein paar richtig gut, vor allem Marcelo Brozovic. Bei ihm ist eine 180 kein Zufall. Er ist erst 26, wenn er so weitermacht, kann er nach seiner Fußballer-Karriere Geld mit Darts verdienen. Hin und wieder wurde auch Tischtennis gespielt, da ging es ausgeglichener zu. Brozovic zählt zwar auch beim Tischtennis zu den besten, Dejan Lovren und Luka Modric sind aber ähnlich gut.
gettyZum Sportlichen: Kroatien musste in allen K.o.-Spielen bis zum Finale in die Verlängerung. Wie hat das die Mannschaft körperlich geschafft?
Olic: Das weiß ich selbst nicht. Nach dem Achtelfinalsieg im Elfmeterschießen gegen Dänemark bin ich in die Kabine gekommen und habe lauter völlig fertige Spieler gesehen. Bei dem Anblick war ich mir sicher, dass wir im Viertelfinale chancenlos sein werden. Dann haben wir gegen Russland wieder im Elfmeterschießen gewonnen und es war das gleiche Bild - aber wir sind auch gegen England weitergekommen. Je länger das Turnier dauerte, desto mehr Zeit haben die Spieler auf den Massagebänken verbracht.
Dann kam das Finale gegen Frankreich.
Olic: Dieses Spiel konnten wir nicht verlieren, weil wir schon mehr erreicht hatten, als es zuvor irgendjemand erwartet hätte. Die erste Halbzeit war unsere beste im Turnier. Ich hatte das Gefühl, dass Frankreich Angst vor uns hatte. Dann kam dieser Elfmeter zum 1:2, der keiner war. Das hat uns unsere Kraft genommen. Der Schiedsrichter (Nestor Pitana aus Argentinien, Anm. d. Red.) hat sich die Szene in der Review Area etwa zehn Mal angeschaut. Das heißt, dass er selbst nicht sicher war. Heute wird er einsehen, dass es die falsche Entscheidung war. Der Schiedsrichter hat mit diesem Pfiff das Finale entschieden.
Trotz des verlorenen Finals wurde die Mannschaft nach der WM in Zagreb weltmeisterlich empfangen. Was sind Ihre Erinnerungen daran?
Olic: Ich konnte in der Nacht nach dem Finale gar nicht schlafen. Am nächsten Tag in der Früh sind wir zurück nach Zagreb geflogen. Was dort passiert ist, hätte ich mir nicht erträumen lassen. Vom Flughafen bis ins Zentrum waren die Straßen voll. Vom Baby bis zum 90-jährigen Rentner waren alle da. Wir haben die komplette Bevölkerung glücklich gemacht. Diese Bilder werde ich niemals vergessen. Das waren definitiv die schönsten Momente meines Lebens. Aber nicht nur unsere Landsleute haben wir begeistert. Überall, wo ich seitdem hingereist bin - egal ob nach Italien, Frankreich oder Deutschland - haben mir die Leute gesagt, dass sie Kroatien-Fans sind. Wir haben uns Sympathien von Millionen Menschen erarbeitet.
gettyAls Sie noch aktiver Nationalspieler waren, reiste Kroatien oft als Mitfavorit zu Turnieren, enttäuschte dann aber.
Olic: Diese Misserfolge bleiben ein ewiges Loch in meiner Karriere. Wir hatten immer super Einzelspieler, aber keine Mannschaft. Das ist mir erst bei der WM 2018 so richtig bewusst geworden.
Am bittersten war wohl das Aus im EM-Viertelfinale 2008 gegen die Türkei. Ivan Klasnic erzielte in der 119. Minute das 1:0, ehe Semih Sentürk kurz darauf den Ausgleich machte und die Türkei dann im Elfmeterschießen gewann.
Olic: Das war der schlimmste Moment meiner Karriere. Ich bin mir sicher, dass wir mit unseren damaligen Spielern den Titeln hätten gewinnen können. Danach konnte ich einen Monat lang keinen Fußball sehen. Ich habe alles gehasst, was mit Fußball zu tun hat. So habe ich nie zuvor oder danach gefühlt.
Generell sind die sportlichen Leistungen Kroatiens aber beeindruckend. Obwohl das Land nur knapp vier Millionen Einwohner hat, gibt es etliche Weltklassesportler in verschiedensten Sportarten. Woran liegt das?
Olic: Eigentlich ist das ein Wunder, aber da unten bei uns ist alles möglich. Wir haben sogar beim Skifahren Olympiasieger - und das, obwohl in Kroatien vielleicht einen Monat pro Jahr Schnee liegt. Womöglich ist unsere Genetik einfach besonders. Wir haben eine spezielle Kämpfernatur. Das liegt auch daran, dass wir in Kroatien nicht die besten Ausbildungsbedingungen haben.
Wie meinen Sie das?
Olic: Bis ich 16 war, habe ich eigentlich nur auf der Straße gespielt und keiner hat mir irgendetwas beigebracht. Ich musste mich durchkämpfen. Heute sind die Ausbildungsbedingungen in Kroatien zwar etwas besser, aber immer noch nicht vergleichbar mit Deutschland. In Deutschland gibt es beispielsweise an jeder Ecke Kunstrasenplätze. Bei uns sind das Sehenswürdigkeiten.
Beneiden Sie wegen der etwas besseren Bedingungen die Kinder, die heute aufwachsen?
Olic: Gar nicht. Wenn ich mich mit meinen Kindern vergleiche, sehe ich einen großen Unterschied. Ich hatte als Kind nur eine Sache im Kopf: Fußball. Nach der Schule habe ich so lange auf der Straße gespielt, bis meine Mutter kam und meinte, ich solle heimgehen, weil ich sonst nichts mehr zum Essen kriege. Die Kinder heute haben immer zehn verschiedene Sachen gleichzeitig im Kopf, weil sie viel mehr Möglichkeiten haben.
Sie wollten also immer schon Fußballer werden?
Olic: Da gab es gar keine Wahl. Der Sport war für mich die einzige Chance, es zu etwas zu bringen. Damals hieß es für mich: Entweder du gehst auf den Platz und versuchst, in einem Sport gut zu werden. Oder du hast als Jugendlicher nichts zu tun und später keinen Job. Ich bin stolz, dass ich diese Chance genutzt habe.
gettyZurück in die Gegenwart. Wie kann man sich Ihren Alltag als Co-Trainer der kroatischen Nationalmannschaft vorstellen?
Olic: Ich wohne immer noch in Hamburg, reise mit der Mannschaft aber natürlich zu allen Länderspielen. Ansonsten beobachte ich unsere Spieler bei ihren Vereinen und führe Gespräche. Ich bin jeden Samstag und Sonntag im Stadion. In Champions-League-Wochen auch am Dienstag und Mittwoch - aber das würde ich ohnehin schauen und betrachte es deshalb nicht als Arbeit. Am liebsten beobachte ich natürlich unsere Stürmer.
Mario Mandzukic hat seine Nationalmannschafts-Karriere beendet. Wer ist die Zukunft?
Olic: Wir haben aktuell leider keinen Stürmer, der auch nur annähernd Mandzukics Qualitäten besitzt. Andrej Kramaric und Ante Rebic haben wir ganz vorne getestet, aber sie sind keine richtigen Neuner. Zuletzt bekamen Ivan Santini (ehemals SC Freiburg, Anm. d. Red.) und Bruno Petkovic von Dinamo Zagreb ihre Chance.
Wie sehen Ihre persönlichen Zukunftsplanungen aus?
Olic: Zlatko hatte nach der WM viele Angebote, aber er will bis zur EM 2020 weitermachen. Das passt mir sehr gut, weil ich so im Umgang mit Weltklassespielern weitere Erfahrungen sammeln und gleichzeitig meine Trainerscheine machen kann. Um als Cheftrainer arbeiten zu dürfen, fehlt mir noch die Pro-Lizenz. Damit fange ich im September an. Nach der EM 2020 werde ich entscheiden, wie es weitergeht.
Wollen Sie Bundesligatrainer werden?
Olic: Klar! Als kleiner Junge will man Bundesligaspieler werden und als Ex-Bundesligaspieler natürlich Bundesligatrainer. Aber das ist leider noch schwieriger, als Spieler zu werden. Es gibt hunderte Bundesligaspieler, aber nur 18 Trainerposten. Um einen Job zu bekommen, braucht man besondere Fähigkeiten als Trainer.
Würden Sie sich den Cheftrainerposten beim HSV zutrauen?
Olic: Natürlich ist der Druck beim HSV sehr, sehr groß. Es ist schwierig, einen Verein zu trainieren, bei dem vieles schiefläuft. Aber wenn mich der Klub fragen würde, würde ich natürlich helfen - in welcher Funktion auch immer. Beim HSV ist es wie bei der kroatischen Nationalmannschaft: Ich könnte niemals nein sagen. Mein Herz gehört dem HSV und bei meinen Söhnen ist das übrigens nicht anders.
Ihre erfolgreichste Zeit in Deutschland hatten Sie aber beim FC Bayern, wo Sie von 2009 bis 2012 spielten. Was verbinden Sie mit dem Klub?
Olic: Der FC Bayern hat mir die Möglichkeit gegeben, Titel zu gewinnen und europäischen Spitzenfußball zu spielen. Als kleines Kind war ich Bayern-Fan - so wie die meisten anderen Kroaten auch. Der FC Bayern ist der beliebteste Verein in Kroatien. Das liegt wohl auch daran, dass Zagreb und München nur knapp 500 Kilometer voneinander entfernt sind.
Sie kamen 2009 gleichzeitig mit dem neuen Trainer Louis van Gaal in den Verein.
Olic: Ich hatte bereits unterschrieben, bevor klar war, dass van Gaal kommen würde. Das erste, was er zu mir sagte, war: "Ich habe genügend Stürmer, du kannst gleich wieder gehen." Immerhin standen damals Miroslav Klose, Luca Toni und Mario Gomez unter Vertrag. Daraufhin habe ich geantwortet: "Ich bin doch gerade erst gekommen und will um meine Chance kämpfen. Zurück zum HSV kann ich auch im nächsten Sommer."
gettyWie ging es weiter?
Olic: Nach drei Wochen Vorbereitung kam er wieder zu mir und meinte: "Wenn du so weitermachst, bist du Stammspieler." Viele Trainer sagen, dass nicht der Name, sondern nur die Leistung zählt - van Gaal ist einer der wenigen, der das auch tatsächlich umsetzt.
Wie hat er persönlich auf Sie gewirkt?
Olic: Am Anfang hat er mir ein bisschen Angst eingejagt. Ein Erlebnis werde ich nie vergessen: Wir waren bei einer Trainingseinheit nicht so konzentriert und daraufhin wurde er so nervös, dass er nicht mal essen konnte. Nur weil ein einziges Training schlecht war. Aber wenn alles gut lief, war er auch zu Späßen aufgelegt.
Aktuell trainiert Ihr Landsmann Niko Kovac den FC Bayern. Zuletzt stand er in der Kritik.
Olic: Niko hat es verdient, Bayern-Trainer zu sein. Ich bin mir sicher, dass er in den nächsten Jahren noch viele Titel mit Bayern gewinnen wird. Mit Frankfurt hat er beinahe Unmögliches geschafft. Als er den Trainerposten übernahm, war es dort fast so chaotisch wie in Hamburg. Und als er ging, war der Klub DFB-Pokalsieger. Er hat Stabilität gebracht und auch schönen Fußball spielen lassen.
gettySie haben in der kroatischen Nationalmannschaft mit Kovac zusammengespielt. Was ist er für ein Charakter?
Olic: Niko ist ein Deutscher in kroatischer Haut. Schon als Spieler war er ein hundertprozentiger Profi und das gleiche fordert er jetzt von seinen Spielern. Ich glaube, er ist in seiner gesamten Karriere kein einziges Mal zu spät gekommen. Wir haben damals bei der kroatischen Nationalmannschaft am Abend oft Romme gespielt. Die Vorgabe vom Trainer war, dass wir um 23 Uhr im Bett liegen. Niko ist immer als Einziger um 22.55 Uhr aufgestanden und in sein Zimmer gegangen. Alle anderen haben die Zeit kroatisch ausgelegt: erstmal bis 23.10 Uhr weiterspielen und schauen, was passiert.
War damals schon absehbar, dass er das Potenzial zum Trainer besitzt?
Olic: Als ich 2002 erstmals nominiert wurde, war Niko schon lange dabei und sehr erfahren. Er spielte als Sechser und war eigentlich der Trainer auf dem Platz. Er hat gedacht und gehandelt wie ein Trainer. Wenn ich eines Tages einen Cheftrainerposten bekommen sollte, würde ich als erstes Niko anrufen und mir Tipps von ihm holen.