Ziege blickt zurück auf seine Zeit als deutscher U18- und U19-Nationaltrainer und spricht über seine Ex-Spieler Matthias Ginter, Marc-Andre ter Stegen, Samed Yesil und Sinan Kurt. Außerdem berichtet er von seinem "zweiten Vater" Uli Hoeneß und seinem Ex-Trainer Jupp Heynckes.
Mallorca, Thailand, Saalfelden: Ihre drei letzten Trainerstationen muten wie Urlaubsdestinationen an. Welche Rolle spielt der jeweilige Ort bei Ihrer Vereinswahl?
Christian Ziege: Eigentlich gar keine, das hat sich einfach so ergeben. Ich bin gerne Trainer und wenn es passt, bin ich für alles sehr offen. Weil es immer mehr Trainer gibt, wird es gleichzeitig immer schwieriger, einen Job zu finden.
Seit April trainieren Sie den österreichischen Drittligisten FC Pinzgau Saalfelden. Wie kam das Engagement zustande?
Ziege: Mein Sohn Alessandro spielt schon seit Sommer 2018 dort. Ich war bei den meisten Spielen vor Ort und kannte bereits alle Leute. Als sich der Klub in der vergangenen Saison vom alten Trainer getrennt hat, hat man sich unterhalten, ob ich bis Saisonende aushelfen möchte. Das habe ich gemacht und daraus ist ein langfristiges Engagement entstanden.
Wie ist es, den eigenen Sohn zu trainieren?
Ziege: Für mich ist das nichts Neues, ich war vor einigen Jahren auch schon bei der SpVgg Unterhaching sein Trainer. Auf dem Platz ist er nicht mein Sohn, sondern ein Spieler wie jeder andere auch. Wenn er seine Leistung nicht bringt, kriegt er zwischen die Hörner. Natürlich kann das unangenehm werden: Keiner will vor 25 Männern von seinem eigenen Vater zusammengeschissen werden.
Wie professionell sind die Bedingungen beim FC Pinzgau Saalfelden?
Ziege: Bis Sommer waren wir ein ganz normaler Amateurverein, doch dann sind drei amerikanische Investoren eingestiegen, die den Klub in die Bundesliga führen wollen. Deswegen gibt es gerade große Veränderungen, alles wird professionalisiert. Aktuell sind etwa ein Drittel aller Spieler Profis, die anderen studieren oder gehen einer Arbeit nach.
Wie kam es dazu, dass diese Investoren ausgerechnet den FC Pinzgau Saalfelden ausgewählt haben?
Ziege: Sie wollten bei einem österreichischen Verein einsteigen und haben dafür ein Jahr lang den Markt beobachtet und Informationen gesammelt. Dann fiel die Wahl auf unseren Klub. Alle drei ziehen extra mit ihren Familien nach Österreich, einer ist sogar schon da. Die wollen nicht nur aus der Ferne beobachten, sondern tatkräftig mithelfen. Und zwar Schritt für Schritt und nicht mit Unsummen Geld. Bisher wirkt das alles sehr seriös.
Was sind die beruflichen Hintergründe der drei Investoren?
Ziege: Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, ist mir aber auch nicht wichtig. Einer von ihnen hat jedenfalls Erfahrung im Fußball. Er hat lange beim MLS-Klub Real Salt Lake gearbeitet.
Christian Zieges bisherige Trainerstationen
Verein | Liga | Zeitraum |
Borussia Mönchengladbach | Nachwuchs | 07/2006 bis 03/2007 |
Arminia Bielefeld | 2. Liga (Deutschland) | 07/2010 bis 11/2010 |
Deutschland U18 | Nachwuchs | 05/2011 bis 06/2011 |
Deutschland U19 | Nachwuchs | 07/2011 bis 06/2012 |
Deutschland U18 | Nachwuchs | 07/2012 bis 06/2013 |
Deutschland U19 | Nachwuchs | 07/2013 bis 03/2014 |
SpVgg Unterhaching | 3. Liga (Deutschland) | 03/2014 bis 03/2015 |
Atletico Baleares | 3. Liga (Spanien) | 11/2015 bis 03/2017 |
FC Ratchaburi | 1. Liga (Thailand) | 01/2018 bis 02/2018 |
FC Pinzgau Saalfelden | 3. Liga (Österreich) | seit 04/2019 |
Ziege erzählt von seiner kuriosen Zeit in Thailand
Vor Ihrem Engagement in Österreich waren Sie Anfang 2018 sechs Wochen lang beim thailändischen Erstligisten FC Ratchaburi tätig. Wie kam es dazu?
Ziege: Mit Philipp Roller stand damals bereits ein deutscher Spieler bei Ratchaburi unter Vertrag. Zufällig hat dessen Schwiegervater Spiel und Training von meinem vorherigen Klub Atletico Baleares auf Mallorca gesehen, das ihn offenbar begeistert hat. Als er später bei seinem Schwiegersohn in Thailand zu Besuch war, hat er mitbekommen, dass der Klub einen neuen Trainer sucht - und zwar einen, der Dreierkette spielen lässt, was ich bei Atletico Baleares gemacht habe. Dann hat er mich vorgeschlagen und den Kontakt hergestellt. Die Gespräche liefen super, kurz darauf bin ich hingeflogen und habe unterschrieben.
Wie waren die ersten Eindrücke?
Ziege: Ratchaburi ist eine Kleinstadt im Landesinneren, mit Urlaub hat das nichts zu tun. Die infrastrukturellen Voraussetzungen und das Stadion waren in Ordnung. Als Problem hat sich bald die reiche Besitzerfamilie des Klubs herausgestellt.
Inwiefern?
Ziege: Die Mutter ist Präsidentin, der Vater Vizepräsident und der Sohn, Mitte 30, eine Art sportlicher Leiter. Der Klub ist sein Baby, er hat sich überall eingemischt und wollte alles bestimmen. Wenn der Mann etwas gesagt hat, hat es keiner gewagt, zu widersprechen. Immer wieder wollte er auch selbst mittrainieren. Bei jedem Abschlusstraining stand er mit auf dem Platz.
Inwieweit hat er sich in Ihre Arbeit eingemischt?
Ziege: Beim ersten Vorbereitungsspiel hat sich in der 60. Minute auf einmal ein Spieler umgezogen und neben die Bank gestellt. Ich habe den thailändischen Co-Trainer gefragt, was der macht, und er meinte: "Der Boss will, dass er eingewechselt wird." Daraufhin habe ich gesagt, dass sie alleine weitermachen sollen. Letztlich wurde der Spieler doch nicht eingewechselt. Nach dem Spiel habe ich das Gespräch mit dem Sohn des Präsidenten gesucht. Er meinte, dass es eine Unverschämtheit gewesen sei, dass ich in der Halbzeit nicht mit ihm über meine taktischen Pläne gesprochen hätte und er mich das mit dieser Aktion spüren lassen wollte. Ich habe ihm gesagt, dass ich den Verein verlasse, wenn das noch einmal passiert.
Wie ging es weiter?
Ziege: Er hat sich entschuldigt und eine Zeit lang war alles okay, dann fing es wieder an. Auf einmal wollte er bei meinen Mannschaftssitzungen mitreden und die Trainingszeiten festlegen. Daraufhin bin ich nach Deutschland geflogen, wo er mich eine Woche lang oft angerufen und angefleht hat, dass ich ihm unbedingt helfen muss. Ich habe ihm noch eine Chance gegeben und bin bei den ersten beiden Ligaspielen auf der Bank gesessen, aber an der Situation hat sich nichts geändert. Nach insgesamt sechs Wochen haben wir uns einvernehmlich getrennt.
Haben Sie sich mit den Spielern über das Verhalten des Präsidenten-Sohnes ausgetauscht?
Ziege: Klar! Die meinten, dass es bei meinem Vorgänger noch schlimmer war. Das war ein Spanier, der es zwei Jahre mit dem Kerl ausgehalten hat. Mein Nachfolger hat den Klub übrigens nach knapp zwei Wochen verlassen.
Wie stand es um die Qualität der Spieler?
Ziege: Wir hatten schon gute Spieler, aber vor allem hinsichtlich der Fitness gab es ein großes Gefälle in der Mannschaft. Die Ausdauer von manchen war absolut nicht in Ordnung. Bei einem 1000-Meter-Lauf kam ein Spieler nach acht Minuten ins Ziel und ich dachte, der stirbt mir weg. Er fiel zu Boden und war vollkommen am Ende.
Wie hat die Saisonvorbereitung ausgesehen?
Ziege: Das war absolut chaotisch. Ein malaysischer Verein hat uns zu einem Vorbereitungsturnier nach Kuala Lumpur eingeladen, das wir mit einem zehntägigen Trainingslager vor Ort verbinden wollten. Unser Manager hat mit dem dortigen Verein mündlich ausgemacht, dass uns ein Trainingsplatz gestellt wird. Bei unserer Ankunft hieß es aber, dass wir keinen Trainingsplatz bekommen, weil wir keine schriftliche Anfrage gestellt hätten. Von den zehn Tagen konnten wir letztlich spontan für drei Tage einen Platz organisieren, an den anderen haben wir nur Lauf- und Kraftübungen in einem Park hinter dem Hotel gemacht. Legendär war auch ein Vorbereitungsspiel, das letztlich abgesagt wurde.
Erzählen Sie!
Ziege: Zwei Tage vor dem bereits arrangierten Spiel meinte der Sohn des Präsidenten, dass die Spieler nicht 90 Minuten durchspielen können, weil am Abend davor die Geburtstagsfeier eines Spielers steigt. Sie würden eventuell lange feiern und dann am nächsten Tag zu müde sein. Ich habe ihm geantwortet, dass mir das egal ist und wir uns ordentlich auf die Saison vorbereiten müssen. Eine halbe Stunde später rief mich der thailändische Co-Trainer an und meinte, dass das Spiel abgesagt ist. Das muss man sich mal vorstellen: eine Spielabsage, weil die Jungs nachts zuvor wild feiern wollten.
Haben Sie noch weitere Anekdoten parat?
Ziege: Sehr gut erinnern kann ich mich noch an eine Busfahrt zu einem Auswärtsspiel. Es hat damit angefangen, dass wir zwar einen riesigen Doppeldeckerbus hatten, der aber über kein Gepäckfach verfügt hat. Alle Spieler haben ihre Taschen in die Gänge geschmissen, sodass keiner mehr durchgehen konnte. Nach etwa zwölf Minuten meinten die Jungs, dass sie Hunger haben. Daraufhin sind wir stehen geblieben und alle haben sich bei Essständen am Straßenrand etwas geholt. Eine halbe Stunde gab es die nächste Pause, weil einer auf die Toilette musste. So ging das die ganze Fahrt.