Warum wollten Sie eigentlich so lange nicht zurück in den Fußball?
Sutter: Ich brauchte nach meiner Spielerkarriere viel Zeit und Abstand. Der Verarbeitungsprozess hat bei mir länger gedauert. Ich wollte auch unabhängig vom Fußball sein. Ich wollte herausfinden, wer ich ohne den Fußball bin. Was ist mir wichtig? Was nicht? Die Zeit nach dem Fußball war so wertvoll für mich. Ich profitiere auch in meinem Job als Sportchef ernorm davon, dass ich länger auf anderen Wegen unterwegs war. Ich glaube, das ist auch mein größter Vorteil gegenüber den Kollegen, die immer im Fußball drin geblieben sind.
Sie wurden als Spieler mal als ein Brasilianer bezeichnet, der zufällig in Bümplitz am Rande Berns geboren wurde. Wie war Ihre Kindheit?
Sutter: Wir haben in einer Hochhaussiedlung gewohnt, in der viele junge Familien mit vielen Kindern ansässig waren. Das war perfekt für mich, weil wir ständig draußen waren und Sport gemacht haben. Je nach Jahreszeit haben wir Fußball oder Eishockey gespielt. Ich war praktisch nie im Stadion und habe auch keine Trikots von irgendwelchen Stars gehabt, ich hatte einfach eine riesige Spielfreude. Diese hat mich immer ausgezeichnet. Auch als ich mit 17 schon in die erste Mannschaft von den Grasshoppers kam und wenige Monate später schon Nationalspieler wurde, habe ich nie groß überlegt, was das genau für mich bedeutet. Ich habe einfach gekickt.
Alain Sutter: "Bei Uli Hoeneß und mir sind zwei Welten aufeinander geprallt"
Nach Ihrer GC-Zeit ging es für eine Saison nach Nürnberg und nach einer starken WM 1994 in den USA landeten Sie beim FC Bayern.
Sutter: Ich bin mit viel zu viel Respekt nach München gekommen. Das ist der größte Fehler, den du machen kannst. Es war ein Zeichen des mangelnden Selbstvertrauens und der Unsicherheit. Dazu kam, dass ich von der WM mit einem gebrochenen Zeh zu den Bayern kam und so keine normale Vorbereitung absolvieren konnte. Ich habe dann trotzdem von Anfang an gespielt. Ich erinnere mich, dass ich gleich zu Beginn der Saison mal einen Weitschuss abgefeuert habe, der an die Unterkante der Latte sprang und nicht ins Tor ging. Irgendwie war das symptomatisch für meine Zeit in München, es lief nicht rund. Ich war nicht befreit in München. Ich habe im Training zwar gesehen, dass ich mithalten kann, aber im Spiel war es eine andere Geschichte. Auch gesundheitlich war ich angeschlagen, ich fühlte mich schlapp und müde, verlor viel Gewicht und niemand wusste, warum. Erst nach meiner Karriere stellte sich eine Glutenunverträglichkeit bei mir heraus.
Sie spielten bei den Bayern unter Giovanni Trapattoni und hatten generell viele große Trainer. Was hat sie besonders gemacht in der Rückblende?
Sutter: Trap war fantastisch, ein ganz besonderer Mensch. Er hat das Herz am richtigen Fleck, war immer sehr ehrlich, authentisch und respektvoll. Als ich nach der WM Probleme hatte, sagte er mir: "Bei Juve konnte man Platini nach einem großen Turnier ein halbes Jahr auch nie gebrauchen, lass dir Zeit." Sein Feuer und seine Besessenheit für den Fußball haben mich neben seinen menschlichen Qualitäten tief beeindruckt. Aber wie Sie sagen, ich hatte viele tolle Trainer. Timo Konietzka war mein erster Trainer bei GC und hat mich sehr gefördert. Ottmar Hitzfeld hatte eine unglaublich hohe Sozialkompetenz und ein sehr feines Gespür, wie er mit den Spielern umgehen muss und wer auf dem Feld zusammenpasst. Volker Finke war in Freiburg eine absolute Gallionsfigur, ohne sein Einverständnis wurde in Freiburg nicht mal der Rasen gemäht. (lacht) Alle Top-Trainer hat für mich immer eines ausgemacht, so verschieden sie sonst auch waren. Sie hatten eine feste Überzeugung und haben ihren Weg konsequent verfolgt. Die weniger erfolgreichen haben dagegen mal dies und das versucht.
Neben Trapattoni erlebten Sie in München natürlich vor allem auch Uli Hoeneß, der einst über Sie sagte: "Der Alain Sutter muss nur mal ab und zu auf sein Müsli verzichten und sich einen Schweinebraten einverleiben."
Sutter: Bei Uli Hoeneß und mir sind zwei Welten aufeinander geprallt. Zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen aufs Leben. Ich hatte kontroverse Diskussionen mit Uli, das war ab und zu schon heftig. Danach ist er Kopf schüttelnd nach Hause gefahren und hat seiner Frau erzählt, dass der Sutter spinnt. (lacht) Ich hatte aber immer großen Respekt vor ihm und habe früh erfahren, was für ein guter Mensch er ist.
Als Lars Lunde im Koma lag - Alain Sutter über den Menschen Uli Hoeneß
Welche Erfahrung haben Sie gemacht?
Sutter: Es war Ende der 80er, als mein guter Freund Lars Lunde einen Unfall hatte und im Koma lag. Lars hatte früher bei den Bayern gespielt, war zu dem Zeitpunkt aber schon wieder zurück in der Schweiz. Ich habe dann hautnah erlebt, wie sich Uli um Lars gekümmert hat, obwohl er ja keinen Nutzen mehr davon hatte. Uli ist sehr hart und konsequent in der Sache, er hat eine klare Haltung und vertritt diese auch mit allem, was er hat. So kompromisslos musste er aber auch sein, sonst hätte er Bayern nicht zu dem Imperium gemacht, das der Verein heute ist. Aber wenn jemand Hilfe benötigt, ist er immer zur Stelle, ohne es an die große Glocke zu hängen. Ich finde, dass er es verdient hat, dass er jetzt sein Leben etwas ruhiger gestalten kann, es sei ihm gegönnt.
Nach einer Episode beim SC Freiburg ging es zum Abschluss Ihrer Karriere in die USA zu Dallas Burn. Was war das für eine Zeit?
Sutter: Ich wollte damals schon ein Jahr vorher in die USA wechseln, aber da legte Volker Finke noch sein Veto ein. Mir war klar, dass ich gerne noch etwas Exotisches machen will und durch meine gute WM 1994 in den USA hatte ich mich bei ihnen in den Fokus gespielt. Die wollten mich unbedingt haben. Es war eine sehr lehrreiche Zeit, die mich als Mensch wieder weitergebracht hat. Ich bin in eine komplett neue Welt eingetaucht. Bei Bayern musste ich meine dreckigen Schuhe nur in ein Loch hinunter schmeißen, am nächsten Tag standen sie geputzt wieder an meinem Platz. In Dallas haben wir uns in einem Container umgezogen mit provisorischen Duschen und Toiletten. Der Platz war ein richtiger Acker. Ich habe in Dallas teils haarsträubende Dinge erlebt. Aber es war eine super spannende Zeit.
Und es ging spannend weiter. Sie sind ein bisschen durch die Welt gezogen mit Ihrer Frau.
Sutter: Ja, wir haben im Anschluss noch eine Weile in Florida gelebt, direkt in South Beach. Später haben wir Freunde in Rom besucht und zufällig war neben ihnen noch eine Wohnung frei. Da sind wir eingezogen und von Rom aus durch die Welt gereist. Wieder später sind wir nach Mallorca gezogen und haben dort lange Jahre gelebt. Wir sind heute noch häufig dort und bieten auf einer Finca Entspannungsferien an. So schließt sich wieder der Kreis meiner zwei Leidenschaften. Fußball und die Arbeit als Coach.
Alain Sutter im Steckbrief
geboren | 22. Januar 1968 in Bern |
Position | Mittelfeld |
Vereine | Grasshopper Club Zürich, Young Boys Bern, 1.FC Nürnberg, FC Bayern München, SC Freiburg, Dallas Burn |
Länderspiele | 62 (5 Tore) |
Bücher | Stressfrei glücklich sein (2013), Herzensangelegenheit (2016) |